None

Ungeduld der Industrie steigt

23. Klausurtagung Energie- und Umweltpolitik des Wirtschaftsrates

Nur wenige Tage nach dem mit Spannung erwarteten Energiewende-Monitoring von Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche fand in Berlin die energie- und klimapolitische Leuchtturmveranstaltung des Wirtschaftsrates statt. Auf der 23. Klausurtagung Energie- und Umweltpolitik diskutierten die führenden Energiepolitiker Deutschlands mit den Spitzen der deutschen und europäischen Industrie über die Konsequenzen aus dem Sachstandsbericht der Forschungsinstitute. 

Die Tagung stand unter dem Titel „Energie- und Umweltpolitik unter internationalem Druck – Die Pläne der neuen Bundesregierung“ und wurde vor Ort von Leitmedien begleitet. Breite Nachberichterstattung erfolgte unter anderem durch Tagesspiegel Background, POLITICO Pro Energie & Klima, SZ Dossier und energate messenger. Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates, eröffnete die Veranstaltung und machte zum Auftakt klar: „Wir brauchen deutliche Anpassungen in der Energiepolitik. Kosmetische Änderungen werden nicht reichen."

JSCH3026.jpeg

Astrid Hamker ©Jens Schicke

Dr. Markus Kamieth, CEO des weltweit führenden Chemiekonzerns BASF, sieht grundsätzlich keinen Widerspruch zwischen Klimaverträglichkeit und wirtschaftlicher industrieller Stärke: „Entweder Klimaschutz oder Wettbewerbsfähigkeit für die Industrie - eine Scheindiskussion. Wir brauchen beides.“ Allerdings mahnte er dringend Verbesserungen bei den Energiepreisen und bei der Bürokratie an.

JSCH3088.jpeg

Dr. Markus Kamieth ©Jens Schicke

Der energiepolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Lenz MdB, wies auf die beschlossene Stromsteuersenkung sowie den Zuschuss zu den Netzentgelten hin. Im Hinblick auf die von Katherina Reiche fortgeführte Kraftwerksstrategie ihres Vorgängers warnte Katrin Uhlig MdB von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor einer zu großen Abhängigkeit von Gaslieferländern.

JSCH3268.jpeg

v.l.n.r.: Andreas Lenz, Katrin Uhlig MdB ©Jens Schicke

Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Energieverbands BDEW, Kerstin Andreae, lobte ebenfalls den Monitoringbericht, hob aber hervor, dass der fast gleichzeitig veröffentlichte Versorgungssicherheitsbericht der Bundesnetzagentur gleichermaßen wichtig sei. Sorgen bereiteten ihr nach ihren Angaben im Hinblick auf die geplanten Gaskraftwerke die vollen Auftragsbücher der Turbinenhersteller. Insgesamt müsse die deutsche Energiepolitik die europäische Perspektive noch stärker berücksichtigen. Die Finanzchefin der holländischen Tennet-Holding, Arina Freitag, wies auf die immensen Kosten des Netzausbaus hin und betonte, dass eine Staffelung der Investitionen und eine bessere Planung bei der off shore-Anbindung Kosten gespart werden könnten. Danielle Jarski, Global COO von Iberdrola Energia Internacional erinnerte an die geplatzte letzte off shore-Ausschreibung und mahnte verbesserte Ausschreibungsbedingungen an. Auf die Bedeutung der Planungssicherheit für Investoren wies der Vorstandsvorsitzende der österreichischen Verbund AG, Michael Strugl hin. Matthias Ohl, der neue Vorsitzende der Geschäftsführung der Iqony Energies, ergänzte, dass zusätzlich Pragmatismus erforderlich sei, um die vielen Zielparameter miteinander verbinden zu können.

JSCH3464.jpeg

v. l. n. r.: Nikolaus Valerius, Dr. Andreas Lenz MdB, Katrin Uhlig MdB, Kerstin Andreae, Dr. Arina Freitag, Danielle Jarski, Matthias Ohl, Dr. Michael Strugl  ©Jens Schicke

In der Diskussion um die Weiterentwicklung der Stromnetze scheint sich die Ansicht durchzusetzen, dass der von der Bundesnetzagentur formulierte Szenariorahmen A für 2030 nahe an der Wirklichkeit liegt. Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, berichtete außer vom neuen Versorgungssicherheitsbericht vor allem über die geplanten Änderungen bei der Anreizregulierung im Rahmen des „NEST“-Prozesses sowie die neuen Grundsätze der Netzkostenverteilung („Agnes“-Prozess).

Für Klaus Wiener MdB von der CDU/CSU-Fraktion, ändert sich hierdurch nichts an den Klimazielen, die für die Koalition gesetzt seien. Thomas König, Vorstand von E.ON, wies auf den wichtigen Fokus Versorgungssicherheit hin. Erneuerbare Energien in Regionen anzuschließen, in denen die Netze bereits vollständig ausgelastet wären, sei nicht sinnvoll. E.ON lägen Anschlussanträge von Erzeugungsanlagen in Höhe von ca. 200 GW vor, darüber hinaus von Speichern ca. 330 GW. Eine zeitnahe Umsetzung sei aussichtslos. Bereits die aktuell angeschlossenen ca. 2 GW Speicher würden das Netz in erheblichem Umfang stressen. Thomas König ergänzte, dass erheblicher Netzausbau auch im Verteilnetz erforderlich sei und Geld kosten werde, ein Nicht-Ausbau der Netze würde allerdings nochmals deutlich teurer.

Für die Übertragungsnetzbetreiber betonte Stefan Kapferer, CEO von 50Hertz, dass Baukostenzuschüsse auch für Einspeiser kommen müssten, diese müssten sich außerdem nach dem Bedarf richten. Das Windhundprinzip müsse der Vergangenheit angehören. Der Geschäftsführer des Kabelherstellers NKT, Anders Steffen Jensen, wies darauf hin, dass die Energiepolitik verlässlich sein müsse und dies auch für die einmal getroffene Entscheidung für Erdkabel gelten müsse. Außerdem würden die Kabel in Deutschland gefertigt, die Freileitungen dagegen kämen überwiegend aus China.

In Bezug auf die Höhe der Strompreise merkte Philipp Schröder, Gründer und Geschäftsführer von 1Komma5° an, dass die erneuerbaren Energien ein grundlegend neues Marktdesign benötigten. Flexible Netzentgelte könnten zwar die Renditen der Netzbetreiber beeinträchtigen, seien aber erforderlich und beispielsweise in Schweden auch erprobt. Marc Wallraff, CEO von Lichtblick, ergänzte, dass mehr Netzeffizienz erforderlich sei, ein System mit mehr als 800 Netzbetreibern mit unterschiedlichen Spielregeln und Formularen sei nicht effizient. 

JSCH3729.jpeg

v. l. n. r.: Klaus Müller (digital), Dr. Urban Keussen, Dr. Klaus Wiener MdB, Dr. Thomas König, Stefan Kapferer, Anders Steffen Jensen, Philipp Schröder, Marc Wallraff ©Jens Schicke

In einem „Mittagsgespräch Wissenschaft und Politik“ beschrieb Prof. Dr. Marc-Oliver Bettzüge von der Universität Köln den volkswirtschaftlichen Rahmen der Energiewende und betonte, dass die Politik es versäumt habe, die Preisbereitschaft von Verbrauchern und Industrie bei den staatlich verordneten Technologiewechseln abzufragen. Jetzt wundere sich die Politik über eine zurückgehende Nachfrage in vielen Bereichen. Außerdem habe die Politik zu viele Ziele verordnet. Je enger der Zielkorridor sei, desto höher seien die damit verbundenen Kosten. Für eine effiziente Klimapolitik brauche es einen weltweit einheitlichen Preis für CO2.

JSCH3804.jpeg

v. l. n. r.: Jens Henning Fischer, Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Michael Kellner MdB ©Jens Schicke

Weitere Podien befassten sich mit den Diskussionen um das „Heizungsgesetz“ sowie das Verbrennerverbot und mit der Sicherung der Rohstoffversorgung in Deutschland.

Dr. Karsten Wildberger, Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, stellte in seiner Keynote heraus, dass Reformen bei der Staatsmodernisierung dringend notwendig seien – etwa mit Blick auf föderale Doppelstrukturen wie 16 Landeseichämter: „Vielleicht klappt es dann auch besser mit dem Smart Meter.“

JSCH4669.jpeg

Dr. Karsten Wildberger ©Jens Schicke

Ein zentrales Thema der Tagung war auch der Wasserstoffhochlauf. Er sei ein Freund des Wasserstoffs, so betonte Nicklas Kappe MdB von der CDU/CSU-Fraktion, aber der Wasserstoff müsse sich im Wettbewerb bewähren. Carola Ruse von Bosch beschrieb, dass außereuropäische, insbesondere chinesische Player in der Wasserstofftechnologie rasch aufgeholt hätten und dort bereits Projekte in Betrieb seien. Für Deutschland forderte sie eine bessere Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik. Markus Lesser von H2APEX wies auf die guten Voraussetzungen beispielsweise des Standorts Lubmin hin, an dem es off shore-Strom, ausreichend Wasser sowie Gasröhren gebe. Friedrich Rosenstock vom Fernleitungsnetzbetreiber Fluxys ergänzte, dass das Wasserstoffkernnetz zwischenzeitlich genehmigt sei und die Baumaßnahmen bereits begonnen hätten. Das sog. „Amortisationskonto“ für die Finanzierung habe sich hier vorteilhaft ausgewirkt. 

Jonathan Weber von der Stahlholding Saar bezeichnete grüne Leitmärkte als gute Idee für den Hochlauf der Wasserstofftechnologie, bemängelte aber, dass es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern keine „grüne Schiene“ gebe. Außerdem sei die staatliche Regulierung frustrierend und erhöhe die Kosten immens. Es müsse auch über Erdgas als Zwischenschritt nachgedacht werden; hierdurch ließen sich die Emissionen allein schon um 60 Prozent senken. Eine „sonnige“ Perspektive für den Bedarf an grünem Strom brachte Heike Freund, Geschäftsführerin von Marvel Fusion, in die Debatte ein: mit Kernfusion könne grüner Strom dort produziert werden, wo er gebraucht würde. Sie prognostizierte energiewirtschaftlich nutzbaren Strom aus Kernfusion bereits vor 2030.

JSCH4862.jpeg

v. l. n. r.: Jan-Frederik Zöckler, Nicklas Kappe MdB, Carola Ruse, Friedrich Rosenstock, Heike Freund, Jonathan Weber, Markus Lesser ©Jens Schicke

Mit der Zukunft einer der wichtigsten Branchen der Wirtschaft, der Stahlbranche, befasste sich Frank Koch, CEO der Swiss Steel Group, in seiner Key Note. Die Bedeutung der Stahlindustrie für die wirtschaftliche Zukunft Europas sei ähnlich hoch wie die aktuellen Probleme angesichts der weltweiten Überkapazitäten; die Politik müsse schnell handeln, damit die europäischen Erzeugungskapazitäten nicht noch weiter zurückgingen.

JSCH4915.jpeg

Frank Koch ©Jens Schicke

Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, zog ein klares Fazit: „Wir brauchen eine pragmatische statt eine dogmatische Energiepolitik. Weniger Symbolpolitik, mehr Vernunft!“

JSCH5011.jpeg

Wolfgang Steiger ©Jens Schicke

In einem Abendvortrag beschrieb Angus Robertson MSP, schottischer Minister für Verfassung, Auswärtiges und Kultur, die Potentiale der schottisch-deutschen Energiepartnerschaft. Insbesondere der große Windüberschuss an den Küsten seines Landes ließe sich in grünen Wasserstoff verwandeln und durch Pipelines in der Nordsee nach Deutschland liefern – eine Win-Win-Situation.

JSCH5126.jpeg

Angus Robertson MSP ©Jens Schicke

Prof. Dr. Stefan Kolev, Leiter des Ludwig-Erhard-Forums in Berlin, führte schließlich aus, warum eine dirigistische Energiewende nicht gelingen könne, sondern es im Gegenteil wirtschaftlicher Freiheit bedürfe, um Klimaziele ohne De-Industrialisierung zu erreichen.

JSCH5173.jpeg

Prof. Dr. Stefan Kolev ©Jens Schicke