Wirtschaftstag der Innovationen 2024: Deutschlands Zukunft braucht mehr Innovationskraft
Der Wirtschaftstag der Innovationen warf ein Blick auf die Innovationsfähigkeit Deutschlands. Schwierigkeiten wurden benannt, Lösungen aufgezeigt.
Der Wirtschaftstag der Innovationen warf ein Blick auf die Innovationsfähigkeit Deutschlands. Schwierigkeiten wurden benannt, Lösungen aufgezeigt.
Am 6. November 2024 versammelte der Wirtschaftsrat führende Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zum Wirtschaftstag der Innovationen in Berlin. Unter dem Motto „Die Zukunft im Blick: Kurssetzung für ein innovatives und starkes Deutschland“ diskutierten die Teilnehmer die drängendsten Fragen zur Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
Alarmierender Befund zur Eröffnung
Die Eröffnungsrede von Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates der CDU e.V., setzte gleich zu Beginn einen deutlichen Akzent. Mit einem historischen Vergleich artikulierte sie die dramatische Entwicklung der letzten Dekade: „2014 war Deutschland noch das Paradepferd Europas, was wirtschaftliche Entwicklung und strukturelle Aufstellung anbetrifft: Exportweltmeister, Wachstumslokomotive. Knapp zehn Jahre später wirkt der Wirtschaftsstandort wie ein abgehalfterter Gaul: Wachstumsschlusslicht, Rekordkapitalabfluss, Regulierungsweltmeister.“
Schlüsseltechnologien als Chance
Im Opening Talk zur Erschließung globaler Wirtschaftsräume durch Schlüsseltechnologien wurde die Diskrepanz zwischen Deutschlands Potenzial und der aktuellen Realität besonders klar. Nadine Schön MdB, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, benannte die Kernprobleme: „Wir sind nach wie vor sehr gut in der Forschung. Aber unser Wissenschaftssystem ist vollkommen überbürokratisiert. Wir müssen unsere Förderprogramme entbürokratisieren und auch verstetigen, sonst brechen ganze Ökosysteme zusammen.“
Thomas Boué, General Manager EMEA der Software Alliance, kritisierte die mangelnde finanzielle Schlagkraft europäischer Digitalinitiativen: „In den kommenden fünf Jahren legt die EU 500 Millionen Euro auf den Tisch, um Cloud Computing zu fördern. Wenn man bedenkt, dass die fünf größten Cloud-Unternehmen der Welt jedes Jahr zwischen sieben und 27 Milliarden Euro investieren – macht das Sinn? 500 Millionen sind ein Witz.“
Die praktischen Auswirkungen überbordender Bürokratie illustrierte Kevin Berghoff, CEO des Quantum-Computing-Start-ups QuantumDiamonds, mit einem konkreten Beispiel: „Unser Team besteht aus zwanzig Leuten, zehn davon sind mit bürokratischen Fragen beschäftigt. Das Traurige daran ist, dass das alles Quantenphysiker sind.“ Frank S. Jorga, CEO von WebID, forderte einen Mentalitätswandel: „Wir brauchen hier in Deutschland ein anderes Mindset. Das ist extrem wichtig. In den USA wird nicht über Probleme, sondern über Lösungen geredet.“
Deep Dives in die Zukunft
In den sich anschließenden Deep Dives wurde der Blick auf konkrete Handlungsfelder gerichtet. Daniela Geretshuber, Mitglied der Geschäftsleitung PwC Deutschland, betonte die Notwendigkeit zum Handeln: „Wir müssen jetzt entschlossen die Segel für die Zukunft setzen. Viele Segler begreifen den Wind als Chance zum Aufbruch. Diese Bereitschaft sollten wir uns alle aneignen.“
Nathanael Liminski, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei, lenkte den Blick auf die geopolitischen Herausforderungen: „Nur durch enge Zusammenarbeit innerhalb der EU können wir die Stärken des Binnenmarkts, den Zugang zu Technologien und die notwendigen Standards in Europa weiter ausbauen und so den Innovationsstandort sichern."
Christina Raab, Vorsitzende der Accenture-Ländergruppe DACH, sieht in den fehlenden technologischen Schlüsselkompetenzen ein entscheidendes Defizit: „Bei unseren Schlüsselkompetenzen sind wir derzeit nicht gut aufgestellt. Zum einen investieren wir zu wenig in neue Technologien, zum anderen fehlt es unseren Mitarbeitenden an den notwendigen Fähigkeiten, um das Potenzial dieser Technologien voll auszuschöpfen“.
Wachstumskrise im Fokus
Der Policy Talk widmete sich dem Thema „Wachstumsschlusslicht Deutschland – Wie schaffen wir den Turnaround?“. Jens Spahn MdB, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fand dabei besonders eindringliche Worte: „Die Hütte brennt. Und zwar ziemlich. Jeden Tag werden in der Industrie Entscheidungen gegen den Standort Deutschland getroffen. Wir verlieren gerade massiv an Substanz.“
Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Christian Dürr MdB unterstrich die strukturelle Dimension der Krise: „Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geht seit 2024 in jedem Jahr zurück. Wir haben eine Strukturkrise, keine einfache Konjunkturkrise.“
Digitale Infrastruktur und Cybersicherheit
Nach der Mittagspause standen digitale Infrastruktur und Cybersicherheit im Mittelpunkt. Dr. Daniela Brönstrup, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, zog eine differenzierte Bilanz: „Wir haben gute Netze, die für viele Unternehmen immer noch ausreichend Bandbreite bieten. Aber wir brauchen auch zukunftsfähige Glasfasernetze.“
Gertrud Husch, Abteilungsleiterin Digitale Konnektivität im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, verwies auf positive Entwicklungen: „Wir sorgen als Staat für verlässliche Rahmenbedingungen, damit Unternehmen in Netze investieren. 90 Prozent der Glasfaserleitungen werden von Unternehmen verlegt. Die EU bescheinigt uns, dass Deutschland eine spektakuläre Aufholjagd hingelegt hat.“
Im Bereich Cybersicherheit forderte Claudia Plattner, Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, mehr Engagement: „Nicht motzen, machen: Cybersicherheit gehört auf die Tagesagenda der Entscheider in diesem Land. Es wird besser, aber gut ist es heute noch nicht.“ Dr. Reinhard Brandl MdB, Digitalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unterstrich die Notwendigkeit ausreichender Ressourcen: „Es ist ganz wichtig, dass Cybersicherheit ganz oben auf der Agenda steht. Noch wichtiger aber ist es, dass sie auch im Haushalt mit Finanzmitteln verankert wird.“
Transformation und Innovation
In den Transformation Talks wurde die praktische Umsetzung der digitalen Transformation diskutiert. Florian Roth, Chief Digital and Information Officer der SAP SE, gab Einblick in die Praxis: „Bei SAP geht es derzeit ganz stark darum, wie wir Prozesse verschlanken und automatisieren können.“
Matthias von Bredow, Geschäftsführer der Bredow Media GmbH, plädierte für einen optimistischen Blick auf die Digitalisierung: „Wenn man Digitalisierung gut macht, kann man neue Kunden erschließen. Denn sie bietet Mehrwert. Junge Leute wollen kein Papier ausdrucken, um ein Konto zu eröffnen. Wir sollten keine Angst vor der Digitalisierung haben.“
Thomas Jarzombek MdB hielt es mit dem Vorsitzenden der CDU und dessen konkretem Vorschlag zur Verbesserung der Digitalsteuerung: „Friedrich Merz hat kürzlich ein Ministerium für Digitales ins Spiel gebracht, wenn es wirklich was zu sagen habe. Ich denke, seine Sichtweise ist richtig. Denn wir haben zu viele Gremien, wo am Ende nie etwas entschieden wird.“
KI als Zukunftstechnologie
Das letzte Panel der Konferenz bildete ein KI-Talk zum Thema „Vom Potenzial zur Praxis: Deutschlands Rolle im globalen KI-Wettrennen“. Stefan Schnorr, Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, unterstrich die strategische Bedeutung der digitalen Infrastruktur: „Die Rechenzentren sind das A und O der Digitalisierung und für die Künstliche Intelligenz. Ich bin zuversichtlich, dass wir mithilfe der EU eine digitale Souveränität hinbekommen. Daten, Infrastruktur und Innovationsfreudigkeit sind der Schlüssel für die Zukunft.“
Der hessische Staatssekretär für Digitalisierung und Innovation Stefan Sauer plädierte für eine bessere Kommunikation: „Der Begriff KI ist zu sperrig. Wir brauchen deshalb positive Beispiele für KI-Anwendungen, um die Menschen zu begeistern.“
Christian Korff, Mitglied der Geschäftsführung von Cisco Deutschland, mahnte zur Eile beim Infrastrukturausbau: „Deutschland und Europa benötigen eine bessere digitale Infrastruktur. US-Unternehmen investieren jede Woche eine Milliarde Dollar in die digitale Infrastruktur. Wir brauchen jetzt einen konsolidierten, paneuropäischen Ansatz, um einen Impuls für Investitionen in die digitale Infrastruktur in Europa auszulösen.“
Carsten Kraus, Gründer und Geschäftsführer der CK Holding, verwies auf die Bedeutung von Vorzeigeprojekten: „Wahrnehmung richtet sich nach Narrativen. Finnland zum Beispiel betreibt das größte Rechenzentrum der Welt. Und das war noch nicht einmal so besonders teuer. Darüber reden Leute. Wir müssen deshalb ebenfalls Leuchtturmprojekte fördern, um Deutschland als KI-Standort voranzubringen."
Prof. Dr. Marco Barenkamp, Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der LMIS AG, betonte den praktischen Nutzen von KI: „Wir müssen KI als Werkzeug nutzen. Repetitive Aufgaben sollten KI-Tools übernehmen, damit wir bei diesen ganzen nicht wertschöpfenden Tätigkeiten schlanker werden.“
Handlungsaufruf für die Zukunft
Die ehemalige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger MdB fasste in ihrer Keynote die Herausforderungen zusammen: „Wir brauchen einen klaren Richtungswechsel, damit Deutschland wieder stark wird. Wir brauchen eine Neuausrichtung unserer Wirtschaftspolitik mit einem klaren Fokus auf Leistung, auf Innovationen und auf Vertrauen in den Einzelnen.“
Dr. Klaus Wiener MdB, Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, kritisierte den Ansatz der Bundesregierung: „Diese Bundesregierung hat einen falschen ordnungspolitischen Ansatz. Der Staat gibt die Richtung vor. Wir brauchen stattdessen gute Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie und mehr Freiheit für Unternehmen.“
Aufbruchssignal für Deutschland
Den Schlusspunkt der Veranstaltung setzte Wirtschaftsratspräsidentin Astrid Hamker mit einem eindringlichen Appell für einen Mentalitätswandel: „Wir brauchen eine neue Haltung in der aktuellen Krise. Wieder mehr Anpacken, mehr Leistungsbereitschaft und mehr Unternehmertum sind gefragte Qualitäten in diesen Zeiten.“ Deutschland müsse „weg von Kleinmut und Verlustängsten hin zu Technologieoffenheit, mehr Risikobereitschaft und Unternehmergeist“.
Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl betonte die Präsidentin des Wirtschaftsrates deren Bedeutung als „Richtungsentscheidung über die Zukunft Deutschlands“. Sie zeigte sich überzeugt, dass Deutschland wieder auf einen intakten Innovationspfad zurückkehren könne. Die Konferenz habe wichtige Antworten auf die aktuelle Innovationsschwäche geliefert. „Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft sehen, dass es so wie jetzt nicht weitergehen kann und sind bereit für grundlegende Reformen“, stellte Astrid Hamker fest. „Der heutige Tag sollte uns deshalb alle ermutigen, mit Zuversicht die Zukunft unseres Landes in die Hand zu nehmen und gemeinsam zu gestalten.“