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Medienresonanz
02.03.2023
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Inflation nicht mit der Badehose in der Eishalle bekämpfen

Namensbeitrag von Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates

Börsen-Zeitung
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Den Übergang von einem Aggregatzustand zu einem anderen bezeichnet man in der Physik als Phasenwechsel. Für den neuen Aggregationszustand  gelten dann plötzlich ganz andere Gesetze als zuvor. Wenn Ihnen Wasser über den Fuß läuft, haben Sie nasse Füße.  Fällt Ihnen jedoch Eis auf die Füße, tut es weh. Analog ist das mit dem Finanzsystem: Hohe Schulden sind in einer Welt mit niedrigen Zinsen ungemütlich, aber Sie können mit nassen Füßen weiterlaufen. In einer Welt mit hohen Zinsen, fällt Ihnen das ganze Gewicht der Schulden auf die Füße und kann Sie zum Sturz bringen.

Wir erleben das Ende niedriger Inflation und vier Jahrzehnte fallender Zinsen. „Die Welt steht an der Schwelle zu einer neuen inflationären Ära“, stellte Agustín Carstens, Chef der obersten Notenbank BIZ, unlängst in aller Deutlichkeit hinaus. Viele Dynamiken, die in den letzten Jahren für niedrige Preise sorgten, haben sich umgekehrt und wirken strukturell in die entgegengesetzte Richtung. Die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr der niedrigen Zinsen und tiefer Inflation ist damit eine Illusion.

Dieser Phasenwechsel verändert die Spielregeln fundamental – das gilt für die Kapitalmärkte und gerade auch für die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Entsprechend der neuen Spielregeln wird auch dringend eine Anpassung des Instrumentenkastens benötigt: Wenn Sie zum Wasser gehen, brauchen Sie eine Badehose -  gehen Sie aufs Eis, benötigen Sie Schlittschuhe. Gleichwohl dominieren immer noch wirtschaftspolitische Konzepte, die auf den Gesetzmäßigkeiten, der alten Welt beruhen.  Doch wer in Zeiten von zweistelligen Inflationsraten neue große Schulden- und Ausgabenprogramme fordert und wer in diesem wirtschaftlichen Umfeld erodierender Wettbewerbsfähigkeit im Hochsteuerland Deutschland weitere Steuerhöhungen auf den Weg bringen will, der steht mit der Badehose in der Eishalle.

Für die Notenbanken geht es bereits darum, ihr wichtigstes Kapital zurückzuerlangen: Vertrauen. Nachdem die EZB die Inflation erst nicht kommen sehen hat, dann irrtümlich als vorrübergehendes Phänomen fehlinterpretiert hat, darf sie nun auf keinen Fall weitere Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen lassen, die hartnäckige Teuerung auch konsequent zu bekämpfen. Durch den Versuch, die Quadratur des Kreises zu schaffen und das viel zu späte Einschwenken auf einen Zinserhöhungskurs mit dem gleichzeitigen lancieren von Stützungs- und Anti-Fragmentierungsprogrammen zu verbinden, hat sie bereits einen dramatischen  Fehlstart hingelegt.

Ein notwendiger Paradigmenwechsel in der Geldpolitik alleine reicht jedoch nicht. Eine stabilitätsorientierte Politik gelingt nur, wenn Geld- und Fiskalpolitik zwar strikt getrennt sind, aber doch nach den gleichen Prinzipien handeln. Die Inflation wird sicher nicht besiegt werden können, wenn die Fiskalpolitik jeden adversen Effekt der geldpolitischen Normalisierung durch defizitfinanzierte Ausgabenprogramme ausgleichen will. Es ist geradezu unverantwortlich weiterhin über die Aufweichung von Schuldenbremsen und Stabilitätspakte zu debattieren.  Längst werden aus fragwürdigen Narrativen, noch viel fragwürdigere wirtschaftspolitische Implikationen abgeleitet. Fehlinterpretationen und Etikettenschwindel sind der ständige Begleiter dieses Phasenwechsels.

  • Als Bundesfinanzminister Lindner die kalte Progression abschmelzen wollte, haben das seine Koalitionspartner umgehend  als unerwünschte „Geschenke“ für die Besserverdienenden uminterpretiert. Dabei hat das Ifo-Institut gerade ausgerechnet, dass die Bundesregierung neben den bereits ausgeglichenen rund 5 Mrd. Euro im Jahr 2022 weitere Steuerentlastungen in Höhe von 11 Mrd. Euro gewähren müsste, nur um die inflationsbedingten Steuermehreinnahmen durch kalte Progression, vollständig an die Steuerpflichtigen zurückzugeben.
  • Als Folge der Inflation stehen Eingriffe des Staates in die Preise wieder hoch im Kurs: Sprit- und Gaspreisbremse, Neun- beziehungsweise 49-Euro-Ticket, Mietendeckel, in Berlin wird sogar über Dönerpreisdeckel diskutiert. Langfristig verschärfen Preisbremsen jedoch das Problem, das sie beseitigen sollen. Wenn das wichtige Preissignal stumm gestellt wird, müssen Produktions- und Verteilungsentscheidungen nach anderen Kriterien allokiert werden. Im Regelfall ist das dann eine Mischung aus Zwang, Zufall und Privilegien – es entsteht eine Interventionsspirale, die ineffizient und teuer ist.
  • Immerhin haben wir nicht die alleinige Hoheit über wirtschaftspolitische Etikettenschwindel. Der amerikanische Inflation Reduction Act hat gerade  - entgegen seines verheißungsvollen Titels - vom Budgetbüro des Kongresses bescheinigt bekommen, er habe absolut „keinen erkennbaren Einfluss auf die Inflationsrate“.

Hohe Inflationsraten dämpfen das Wirtschaftswachstum, wirken sich negativ auf den Arbeitsmarkt aus und können die Investitionsentscheidungen der Unternehmen negativ beeinflussen. Umso gefährlicher sind aufkommende Überlegungen, eine höhere Inflation zugunsten einer milderen Rezession zu akzeptieren. Die Geldpolitik muss dringend entschlossen handeln, um Preisstabilität zu gewährleisten und ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Gleichzeitig darf die europäische Finanzpolitik  den restriktiven Kurs nicht weiter konterkarieren. Die EZB rechnet vor, dass 90 Prozent der fiskalischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiekrise überhaupt nicht zielgenau waren. Der Kampf gegen die Inflation ist nicht weniger als der Kampf um unsere Wirtschaftsordnung. Ludwig Erhard hat immer wieder betont, dass die Soziale Marktwirtschaft ohne eine konsequente Politik der Preisstabilität überhaupt nicht denkbar ist. Ersparnisse sind geparkte Leistungen. Diese gilt es zu schützen.