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Standpunkt 06.03.2025
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Der Paukenschlag: Viel Geld und noch mehr Fragen

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Ein Paukenschlag. Die Sondierer aus Union und SPD planen ein 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur, einen Blankoscheck für Verteidigungsausgaben, mehr Verschuldungsspielraum für die Länder und eine Reform der Schuldenbremse. Ein Gamechanger, Signal der Entschlossenheit und Baustein für den Aufbruch aus der Stagnation rufen die einen, Schulden-Orgie, Verschiebebahnhof und Aufkündigung des Stabilitätsversprechens hadern die anderen. Doch wohin geht die Reise nun?

 

Verteidigung:

Klar ist: Der plötzliche Zusammenbruch der bisherigen Sicherheitsarchitektur ist eine Ausnahmesituation, die eine Neubewertung und Priorisierung der Verteidigungsausgaben notwendig macht. Aus ökonomischer Sicht lässt sich durchaus begründen, einen plötzlich auftretenden Bedarf an staatlichen Mehrausgaben nicht allein durch kurzfristige Steuererhöhungen oder Kürzungen anderer Ausgaben zu finanzieren, sondern zusätzliche Schuldenvehikel für den Übergang zu schaffen. Ebenso klar ist jedoch: Verschuldung schafft die Kosten der Aufrüstung nicht aus der Welt, sondern verschiebt sie lediglich in die Zukunft. Auch wenn höhere Verteidigungsausgaben gut begründet sind, erhöhen sie in der Regel nicht das Wachstumspotenzial. Um eskalierende Schuldenstände und Zinslasten in der Zukunft zu vermeiden, muss deshalb von einer gefährlichen Defizitfinanzierung abgesehen werden. Man kann sogar festhalten, ohne funktionierende Schuldenregeln können stark erhöhte Verteidigungsausgaben gar nicht dauerhaft sichergestellt werden. Die Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm bringt es treffend auf den Punkt: „Das Argument, unsere Verteidigungsfähigkeit wird am Geld nicht scheitern, trägt nur, wenn man die fiskalische Tragfähigkeit auch auf Dauer aufrechterhält."

 

Doch genau bei dieser Frage bleiben die Sondierungsvorschläge noch zu unscharf. Dort heißt es, künftig sollen Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP von der Schuldenbremse ausgenommen sein. Bei dem BIP von 2024 würde das alle Verteidigungsausgaben betreffen, die die Marke von etwa 44 Milliarden Euro übersteigen. In den kommenden Jahren dürften Verteidigungsausgaben von etwa drei Prozent des BIP notwendig sein. Man muss sich klarmachen: Wenn zwei Prozent defizitfinanziert werden, übersteigt alleine dieser Betrag das deutsche Potenzialwachstum. Das ist für einen Übergang darstellbar, aber kann offensichtlich keine Dauerlösung sein, da es unweigerlich in eine Schuldenspirale führt. Die 1-Prozent-Regelung wirkt auf den ersten Blick zwar nicht so spektakulär wie ein funkelndes Sondervermögen, ohne klar festgelegte zeitliche Befristung - etwa in Form einer Sunset-Klausel-entzieht sie jedoch der Schuldenbremse ihre Grundlage und kann zu einer gefährlichen Dynamik von steigender Staatsschuldenquote und wachsenden Zinslasten führen. Die Perspektive auf ein perpetuiertes strukturelles Defizit wäre eine mit der Sozialen Marktwirtschaft unvereinbare Finanzpolitik. 

Infrastruktur:

Bei den 500-Milliarden-Euro Infrastrukturausgaben braucht man nicht drumherum reden: Hier hätte es aus meiner Sicht bessere Alternativen gegeben. Es gibt viele Möglichkeiten und Instrumente, die private Investoren einbeziehen, das Haftungsprinzip einhalten und Preissignale zulassen. Öffentliche Infrastruktur ließe sich beispielsweise viel stärker nach dem Pay-as-you-use-Prinzip über Gebühren finanzieren. Und man könnte viele Aufgaben an private Infrastrukturgesellschaften übertragen und so die Belastung des Staatshaushaltes in Grenzen halten. Gleichwohl wird Erfolg oder Misserfolg auch hier eine Frage der Gestaltung sein. Natürlich gibt es eine gewaltige Infrastrukturlücke bei Bund, Ländern und Gemeinden. Wenn das Sondervermögen wirklich für zusätzliche Investitionen in diesen Bereichen sorgt, dem Kapitalstock zugutekommt und von einem radikalen Reformprogramm zur Verbesserung der Rahmendaten für den Wirtschaftsstandort begleitet wird, kann es einen positiven Effekt haben. Wenn dagegen die bisherigen Infrastrukturausgaben einfach in die neuen Töpfe verschoben werden, die neuen Spielräume dann den Reformdruck senken und wie in den vergangenen Jahren für konsumtive Ausgaben und soziale Wohltaten verausgabt werden, dann wäre das ein Desaster. Die entscheidende Frage ist also: Ist das Sondervermögen der Enabler einer Wachstumsdynamik mit der Begleitmusik eines beispiellosen marktwirtschaftlichem Reformprogramms oder ein zusätzliches Ruhekissen, das dafür sorgt, dass wichtige Aufgaben gar nicht erst angepackt werden und der Staat sich zudem noch in der Wirtschaft weiter ausbreitet?

 

Finanzierung:

Häufig ist diese Tage auch die Begründung zu hören, der gewaltige finanzielle Kraftakt müsse für Deutschland doch alleine deshalb problemlos darstellbar sein, weil einige andere Euro-Länder schließlich noch viel höhere Schuldenquoten haben. Bei diesem Argument gilt ebenso höchste Vorsicht, wie bei der zweifelhaften Annahme, dass mehr staatliche Ausgaben, Schulden und Interventionen automatisch für mehr Wachstum sorgen. Wenn man alle Komponenten der Sondierer zusammenfasst, kann die Bundesrepublik damit künftig in einer konjunkturellen Normallage vier Prozent des BIP schuldenfinanzieren und das verfassungskonform und dauerhaft. Das ZEW hat ausgerechnet, dass Deutschland sich auf diese Weise schnell zu den Hochschuldenstaaten der EU gesellen würde. In nicht mal neun Jahren würde sogar die Schulden-BIP-Schallmauer von 100 Prozent durchbrochen. Rogoff und Reinhart haben in ihrer berühmten Studie nachgewiesen, dass bereits ab einer Schuldenquote von etwa 90 Prozent des BIP das Wachstum einer Volkswirtschaft abnimmt. Wir wären wie Frankreich, nur ohne Kernkraft!

 

Wer zudem der Meinung ist, Schuldenregeln würden eine künstliche Grenze setzen, wo ansonsten keine Restriktionen bestünden, der sollte sich die Entwicklungen an den Bondmärkten genau ansehen. Die Risikoaufschläge für 10-jährige Bundesanleihen sind nach Bekanntgabe der Pläne in kürzester Zeit sprunghaft um 40 Basispunkte hochgeschossen. Da die Bundesanleihen den Benchmark-Wert in Europa bilden, haben sich im Windschatten auch die Risikoprämien für Länder wie Frankreich oder Italien schlagartig erhöht. Verlässt Deutschland seinen auf Stabilität ausgerichteten finanzpolitischen Kurs, führt das unweigerlich zu einer Neubewertung der europäischen Anleihemärkte und ihrer Risikostruktur. Das kann nicht nur höhere Refinanzierungskosten für Deutschland bedeuten und eine Verschlechterung der Finanzierungskonditionen unserer Nachbarn, sondern am Ende auch höhere Kreditkosten für jeden, der einen Immobilienkredit aufnehmen möchte, sowie für Unternehmen, die eine Investition finanzieren wollen. Es droht ein Crowding out von Privatinvestitionen. Das Öffnen von gewaltigen Verschuldungsfenstern muss deshalb dringend mit Strukturreformen für mehr Wachstum sowie glaubhaften Signalen für langfristige finanzielle Solidität einhergehen, sonst greift unweigerlich die brutale Disziplin der Anleihemärkte. Auch die Notenbanken werden diese Entwicklung nicht ausschalten können, EZB und Bundesbank haben für das Jahr 2024 gerade die höchsten Verluste ihrer jeweiligen Geschichte ausgewiesen. 

Markenkern:

Für die verhandelnden Parteien geht es auch um ihren Markenkern und ihre Glaubwürdigkeit. Die CDU hat unter Friedrich Merz in den letzten Jahren wieder klare Konturen bekommen. Ein Politikwechsel ist nun Auftrag und Eigenanspruch. Hierfür muss die Union in den weiteren Sondierungen und anschließenden Koalitionsverhandlungen sichtbar ihre Leitlinien akzentuieren. Günstige Energieversorgung, Maßnahmen gegen den massiven Anstieg der Sozialbeiträge, wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern und andere Punkte gehören dazu. Insbesondere ist ein klares Signal notwendig, dass Deutschland nicht durch mehr Verschuldung an Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnt, sondern nur durch eine mutige Reform- und Wachstumspolitik. Auch für die SPD wäre ein weiterer Abstieg des Wirtschaftsstandortes dramatisch. Sie kann den Überbietungswettbewerb nach immer mehr Sozialleistungen nicht gewinnen, da die Grünen und die Linkspartei aus der Opposition heraus bei jeder Forderungen noch draufsatteln können und das entgegen jedweder ökonomischen Vernunft und Verantwortung.  Ein überzeugender und einender Grundton einer schwarz-roten Koalition könnte es vielmehr sein, sich zum Anwalt des Aufstiegsversprechens zu machen. Doch Aufstieg braucht eine starke Wirtschaft. Es braucht deshalb schnell Einvernehmen über einen marktwirtschaftlichen Reformkurs und die Verbesserung der Standortqualität.

 

Zum Abschluss bleibt noch ein letzter sorgenvoller Gedanke: Für viele Bürger in Deutschland ist eine solide Finanzpolitik ein ganz zentrales Anliegen. Die Schuldenbremse hat einen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Die AfD ist damals entstanden aus dem Gefühl, dass durch die europäische Rettungspolitik von diesem Kurs abgewichen wird. Anschließend gab es über viele Jahre das Bedürfnis, die ungesteuerte Zuwanderung zu bremsen und Migration zu ordnen. Dieser politischen Nachfrage wurde bei den etablierten Parteien zu lange nicht mit einem adäquaten Angebot entsprochen. Nachfrage schafft sich ihr Angebot. Das gilt auch für Stabilitätspolitik. Die FDP als weiterer Verfechter der Schuldenbremse scheidet aus dem Bundestag aus. Stabilitätsorientierte Institutionen wie die Deutsche Bundesbank weichen weit von ihrem bisherigen Kurs ab und legen einen Reformvorschlag vor, der 60 Prozent Schuldenquote von der Höchstgrenze zum Zielwert umdefiniert. Keinesfalls darf bei diesem Thema eine Leerstelle entstehen. Die Union hat eine große Verantwortung, keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass sie eine solide, nachhaltige Finanzpolitik als Teil ihres Markenkerns bewahren und pflegen wird.