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Standpunkt 29.05.2024
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Standpunkt Steiger: Bürokratiewahnsinn – Schluss mit der Selbstausbremsung

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

„Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“  - diese Maxime von Charles de Montesquieu scheint heute vollständig in Vergessenheit geraten zu sein. Denn das Einzige, was in Deutschland noch wächst, ist die Bürokratie. Wir haben eine historisch hohe Staatsquote. Der Koalitionsvertrag verspricht zwar einen modernen, agilen und digitalen Staat, doch die Realität zeigt das Gegenteil. Die Ampel-Koalition hat den Verwaltungsapparat so weit aufgebläht, wie nie zuvor und über 10.000 neue Beamtenstellen in der Bundesverwaltung geschaffen. Für die Einführung der Kindergrundsicherung wären weitere 5000 bis 9000 Stellen erforderlich. Mehr als 40 Beauftragte für besondere Themen leistet sich die Bundesregierung – ebenfalls Rekord. 

Die Erfolge dieser Wucherung: Die Ministerien und deren nachgeordnete Behörden beschäftigen zwar selbst mehr als 10.000 Juristen – geben aber gleichwohl 30 Millionen für externe juristische Prüfungen aus. Das Bundeswirtschaftsministerium war einst Bollwerk der Sozialen Marktwirtschaft. Heute wird mit voller Kraft an einer staatlich verordneten Transformation gearbeitet und allein die „Industriepolitik“ umfasst 32 (!) Abteilungen, Unterabteilungen und Referate – Unternehmensinvestitionen fließen seitdem in nie dagewesener Größenordnung aus Deutschland ab. Um den Wohnungsbau anzukurbeln, hat die Ampel das Thema aus dem Innenministerium herausgeholt und ein eigenes Bauministerium geschaffen. Über 200 Stellen sind zusätzlich entstanden. Doch die Baugenehmigungen brechen ein und die selbstgesteckten Ziele werden deutlich verfehlt. 

Ein effizienter Regulierungsrahmen ist für die Funktionsfähigkeit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung unerlässlich. Wir sind aber längst in einer gefährlichen Abwärtsdynamik – das gilt für Deutschland und Europa. Für permanent neue Eingriffe in die Wirtschaft braucht es immer mehr Personal. Immer mehr Bürokraten erzeugen dann immer mehr Gesetze und Regulierung, über dessen Einhaltung sie achten. Die Ministerialbürokratie ist längst ein sich selbst fütterndes System, ein Organismus, der nach Selbstvermehrung strebt. Spiegelbildlich müssen Unternehmen beständig zusätzliche Kapazitäten für Verwaltungsaufwand zur Verfügung stellen. Selbst ein Bäckermeister ist heute 40 Prozent seiner Arbeitszeit mit der Erfüllung von Auflagen beschäftigt. Bürokratie kostet Geld, weil sie die wirtschaftliche Dynamik erstickt. Bürokratie kostet Wachstum, weil sie Freiheit einschränkt und Ressourcen in unproduktive Verwaltungstätigkeiten und Dokumentationspflichten sowie teuren Erfüllungsaufwand lenkt. Sie ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern erweist sich als gefährliche Innovations- und Investitionsbremse.

Nachhaltigkeitsberichterstattung, Grundsteuerreform, Lieferkettengesetz – es gibt zahllose aktuelle Beispiele, wo deutlich über das Ziel einer angemessenen Regulierung hinausgeschossen wird.  Ludwig Erhard wusste noch: „Es gibt nur einen Richter über Gut und Böse in der Wirtschaft, über das Nützliche und Unnütze: den Verbraucher.“ Heute wird dem Verbraucher jedoch nicht mehr zugetraut, selbst seine Heizung oder die Antriebsart seines Autos auszuwählen. Mit dramatischen Folgewirkungen, wie etwa die europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) zeigt. Bereits zugelassene Produkte müssen nach der MDR in einem komplizierten und langwierigen Verfahren erneut zugelassen werden. Deutsche Unternehmen verkaufen als Konsequenz über die Hälfte ihrer Produkte nicht mehr in Europa. Medizinprodukte wie Herzkatheter für Neugeborene, Notfallbeatmungsgeräte oder Mikro-Instrumente für die Chirurgie verschwinden vom Markt. Schlecht für die Patienten und ein riesiger Wettbewerbsnachteil für die heimische Industrie. Dabei gilt das deutsche Tuttlingen als „Welthauptstadt der Medizintechnik“.

Dieses Beispiel zeigt: Das Geschäftsmodell Deutschland funktioniert. Nur momentan nicht in Deutschland! Die kafkaeske Bürokratie ist ein Ausdruck, dass viele Politiker in Berlin und Brüssel das Grundvertrauen in die Bürger und die Unternehmer komplett verloren haben. Das immer stärkere direkte Einmischen des Staates in den Wirtschaftsprozess, die kleinteilige Vorgabe von Preisen, Mengen und Technologien zeigen erbarmungslos: Das Selbstverständnis als Schiedsrichter und die Kunst, klare Regeln zu etablieren, sich aber dann rauszuhalten, ist verloren gegangen. Hier braucht es mehr als technische „One-in-One-Out-Regeln“. Es benötigt wieder ein anderes Denken und eine Haltung, die Eigenverantwortung und unternehmerische Freiheit fördert statt einschränkt.