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Standpunkt 13.03.2025
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Standpunkt Steiger: Der mühsame Weg bergauf

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Die in den letzten Wochen offen zur Schau getragene Unkalkulierbarkeit eines Donald Trump kommt einer sicherheitspolitischen Disruption gleich. Es war und ist deshalb richtig, schnell zu handeln und ein substanzielles Paket in den Raum zu stellen, um die nicht mehr ausreichend vorhandene Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen. Doch dieses wichtige Signal der Entschlossenheit hat unübersehbar massive Nebenwirkungen. Gerade für die Akteure, die für einen grundlegenden Wechsel in der Wirtschaftspolitik angetreten sind, bedeutet es, dass die Verhandlungen von nun an unter erschwerten Bedingungen geführt werden müssen. Denn die Schrittfolge, erst einen großen Geldtopf zu beschließen und anschließend die begleitenden Reformschritte und konkreten Einsparungen zu definieren, ist nicht nur aus verhandlungstaktischer Perspektive höchst anspruchsvoll. Doch auch, wenn der Weg für eine echte Wirtschaftswende jetzt bergauf verläuft, ist sie weiterhin zwingend erforderlich. Bleibt sie aus, droht auch das Finanzpaket von Union und SPD seine Wirkung zu verfehlen.

Es ist zwar zu erwarten, dass die geplante massive zusätzliche Verschuldung kurzfristig Wachstumseffekte erzeugen wird. Die entscheiden Frage bleibt jedoch, ob dies lediglich ein vorübergehendes Strohfeuer sein wird, oder, ob es gelingt, das Wachstumspotenzial langfristig zu stärken. Genau nach diesen Gesichtspunkten muss die Mittelverwendung erfolgen. Umso besorgniserregender ist jedoch, dass auf der einen Seite schon jetzt immer neue konsumtive Ausgabenwünsche vorgebracht werden und es sogar in das Sondierungspapier geschafft haben und  auf der anderen Seite versäumt wurde, die Bürger darauf einzustimmen, dass alle auf etwas verzichten müssen, wenn dauerhaft deutlich mehr Geld in die Verteidigung fließen soll. So geht mit der Lockerung der Budgetrestriktionen auch ein Momentum verloren: Der Reformdruck hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit reduziert sich ebenso wie die sichtbare Notwendigkeit, die höheren Ausgaben zumindest zu einem Teil durch Einsparungen und Umschichtungen zu kompensieren.

Noch offen bleibt die Frage, ob die höheren Defizitspielräume auch wirklich genutzt werden, um Verteidigung und Infrastruktur zu stärken.  Oder droht eine Verschiebung der Investitionen in das Sondervermögen, um im Kernhaushalt Platz für Konsum zu schaffen? Geradezu absurd ist das häufig zu vernehmende Argument, man dürfe Verteidigungsausgaben nicht gegen andere Ausgaben ausspielen. Aus- und Aufgaben zu priorisieren ist doch genau die Aufgabe der Politik. Die Skepsis wächst, wenn dann noch argumentiert wird, es dürfe keine getrennten Abstimmungen über die Schuldenbremse und das Sondervermögen für Infrastruktur geben, weil die Verteidigungsausgaben nicht "auf Kosten der sozialen Sicherheit" gehen dürften. "Investitionen in Infrastruktur" werden wie von Zauberhand zu Ausgaben für die "soziale Sicherheit." Das gibt einen Eindruck, welche grundlegenden Debatten über Investitionsbegriffe und Zusätzlichkeitskriterien noch bevorstehen.

Ebenfalls kein überzeugendes Argument ist es, auf den angeblich niedrigen Schuldenstand Deutschlands zu verweisen. Deutschland taugt hier keineswegs zum Musterschüler. Wir liegen bei der Schuldenquote in Europa bestenfalls im Mittelfeld und überschreiten die 60 Prozent-Grenze bereits jetzt. Der Anteil an den EU-Gemeinschaftsschulden und die absehbar hohen demografischen Kosten, die etwa in den Sozialversicherungen schlummern, sind hier noch nicht einmal abgebildet. Vor allem ist nicht der Abstand zu Ländern mit weitaus höheren Schuldenquoten die relevante Bezugsgröße, sondern vielmehr die eigene Nähe zu kritischen Schuldenständen. Dauerdefizite würden Deutschland innerhalb kurzer Zeit in diese Dimensionen bringen. ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach erinnert daran, dass laut Bundesfinanzministerium die Schuldenbremse 2009 eingeführt wurde, "um das Vertrauen der Kapitalmärkte in die Rolle Deutschlands als Stabilitätsanker des Euroraums zu stärken." Ändert sich dieses Selbstverständnis, dann ändert sich auch die Statik der europäischen Anleihemärkte – mit weitreichenden Folgen.

Nicht nur die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen stieg als Reaktion auf das Fiskalpaket so stark, wie erst einmal seit der Wiedervereinigung, auch die italienischen Anleihen mit derselben Laufzeit nähern sich wieder der problematischen 4 Prozent-Grenze. Schuldenbremsen und Fiskalregeln lassen sich ausschalten, der Druck der Anleihemärkte jedoch nicht. Die damit zusammenhängenden Folgen und Risiken sollten nicht ignoriert werden. Nur einige Gedanken zu möglichen Wirkungszusammenhängen. Die Transmissionsweise der Geldpolitik ändert sich, wenn die Märkte den Fokus nahezu ausschließlich auf die Fiskalpolitik der Staaten legen. Die EZB-Leitzinssenkung um 0,25 Prozentpunkte ist im allgemeinen Zinsanstieg völlig verpufft.  Bei vergangenen Krisen im Euroraum war zudem eine Flucht in Sicherheit zu beobachten. Kapital wurde aus hoch verschuldeten Ländern abgezogen und strömte nach Deutschland. Die EZB konnte mit verschieden Programmen auf diese Bewegungen reagieren. Sollte bei dem nächsten ökonomischen Schock Deutschland nicht mehr als sicherer Hafen angesehen werden und das Kapital außerhalb des Euroraumes abfließen, hätte das eine massive Abwertung und eine schnellere Inflation zur Folge.  Ein Europa in einer veritablen Schuldenkrise würde Putin sicherlich wenig beeindrucken. Um diesem Szenario nicht zu nahe zu kommen, gilt es deshalb nicht nur kurzfristig mehr Geld für Verteidigung zu mobilisieren, sondern auch den Bundeshaushalt dauerhaft in Richtung Zukunftsaufgaben auszurichten und vor allem die Standortqualität wieder zu verbessern. Zur Verteidigungsfähigkeit gehört auch ausreichend fiskalischer Handlungsspielraum und nachhaltige Wirtschaftskraft.