Standpunkt 04.09.2025
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Standpunkt Steiger: Der Sommer des Hasen

Die wirtschaftspolitische Kolumne von Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates


Ein Herbst der Reformen soll kommen. Er muss auch kommen. Die Industrieproduktion in Deutschland bricht ein und sinkt auf den schlechtesten Stand seit Corona im Jahr 2020.  Der Titel Exportweltmeister ist ohnehin lange weg. Deutschland verliert im Gleichschritt Wettbewerbsfähigkeit und internationale Marktanteile. Und seit nunmehr zehn Quartalen ist das deutsche BIP nicht mehr gestiegen. Vor diesem Hintergrund sollte auch der Letzte verstanden haben: Wir befinden uns in einer dramatischen Struktur- und Wachstumskrise. Doch offensichtlich sind die Verweigerungs- und Beharrungskräfte so stark, dass selbst unbestreitbare Entwicklungen immer noch einfach weggewischt werden. Oder es werden als Therapie genau die Maßnahmen vorgeschlagen, die zu diesem Abwärtstrend geführt haben. So haben inzwischen zu viele Menschen in Deutschland den Eindruck, dass bevor der Herbst der Reformen beginnt, zunächst ein Sommer des Hasen endet.  Denn im Vergleich zu den Wendungen und Haken, die die Regierungskoalition in den letzten Wochen insbesondere in wirtschaftspolitischen Fragen schlägt, ist der Lauf eines Hasen geradezu geradlinig.

Traurige Realität ist: Fast 20 Jahre hat es in Deutschland keine wirklich standortstärkenden Reformen mehr gegeben. Und jeder noch so zaghafte Vorschlag in diese Richtung, scheint unmittelbar eine wütende Blockadehaltung zu provozieren. Nur einige der abrupten Richtungsänderungen, die exemplarisch für diese Dynamik stehen:

Private Investitionen

Marode Verkehrsinfrastruktur, Ausweitung der Energie- und Stromnetze und auch die Ertüchtigung der digitalen Infrastruktur – die notwendigen Investitionsvolumina in Deutschland sind so gewaltig, dass sie absehbar über das 500 Milliarden Euro Infrastruktur-Sondervermögen hinausgehen. Deshalb wurde im Koalitionsvertrag die Einbeziehung privaten Kapitals ausdrücklich festgeschrieben: „Mit dem Errichtungsgesetz zum Sondervermögen werden wir klare Ziele und Investitionsfelder definieren, eine Erfolgskontrolle verknüpfen und wo möglich privates Kapital hebeln.“

In der konkreten Gesetzesvorlage ist davon allerdings keine Rede mehr. Vielmehr wiegelt das Bundesfinanzministerium ab: Man konzentriere sich zunächst auf „klassische Infrastrukturprojekte“. Zudem würden ja „allgemein durch staatliche Investitionen Effekte entstehen, die auch privates Kapital mobilisieren“. Das soll suggerieren, dass doch ohnehin jede staatliche Investition in Infrastruktur den Standort attraktiver macht und damit automatisch mehr private Investitionen nach sich führt. Bequemer kann man seinen festgeschriebenen Auftrag eigentlich nicht verweigern. Diese Argumentation hat rein gar nichts mit der vereinbarten Hebelung von privatem Kapital zu tun und wird so auch nicht aufgehen.

Die aktive Einbindung privater Partner verringert die Belastungen für Steuerzahler und zukünftige Generationen und führt nachweislich zu kurzfristigeren Umsetzungsmöglichkeiten, größerer Prozesseffizienz und höherer Termin- und Kostentreue. Von der Politik erfordert sie aber, dass Investitionsbarrieren wie etwa Planungs- und Genehmigungsverfahren, Umweltauflagen oder Themen der Kapitalanlageverordnung konkret angegangen werden. Das ist Kärrnerarbeit. Eine glaubwürdige und wirkungsvolle Infrastrukturoffensive kann es nur durch eine solche Einbeziehung privater Partner und privaten Kapitals geben. Umso wichtiger ist es, dies auch als explizites politisches Ziel und als Aspekt bei der Mittelverwendung glaubhaft im Gesetz zu verankern und entsprechende Instrumente zur Mobilisierung privaten Kapitals – wie Garantien und Bürgschaften – auszuarbeiten.

Klimawandel als Frage des Lebensstils

Bei der Regierungsbefragung Anfang Juli hatte Bundeskanzler Friedrich Merz vor zu hohen Erwartungen an die Folgen einer vorzeitigen deutschen Klimaneutralität gewarnt und verwies darauf, dass Deutschland nur rund ein Prozent der Weltbevölkerung repräsentiere und rund zwei Prozent der globalen CO₂-Emissionen verursache. Der ehemalige SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagierte umgehend mit großer Empörung auf X: „Was soll dann erst der einzelne Bürger denken. Auf seine Wärmepumpe käme es dann erst recht nicht an.“ Damit beweist Lauterbach ähnlich viel Fachkenntnis, wie ein unglückselige Praktikant eines renommierten Berliner Opernhauses, der kürzlich nach einem ausgesprochen selbstbewussten Vorstellungsgespräch am Schluss gefragt wurde, was er denn von Richard Wagner halte. Seine Antwort: „Ich liebe seine Tiefkühlpizza“.

Außer Frage steht mittlerweile, dass die Energiepolitik der Ampelregierung nicht der versprochene Wachstumsbeschleuniger war, sondern – ganz im Gegenteil – ein wesentlicher Baustein für die erodierende Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes. Unbestreitbar ist auch, dass dieser Kurs entgegen der eigenen Hybris kein Modell ist, das international Nachahmer findet. Der Drang, aus dem Klimaproblem eines der individuellen Moral zu machen und entsprechende Koordinationsmechanismen auf Kontrolle, Zwang und Verzicht aufzubauen, ist vollends gescheitert.

Um nicht falsch verstanden zu werden, es gibt fraglos gute Gründe für Wärmepumpen und natürlich auch für viele Formen der eigenverantwortlichen, bewussten und nachhaltigen Lebensweise. Doch mit bestimmten Technologien, Ernährungs-, Wohn- oder Reisegewohnheiten einen besonderen moralischen Anspruch zu transportieren, ist kein Modell für die Bewältigung des Klimawandels. Das liegt zum einen daran, dass ein solcher Mikroaktionismus den Blick auf das Gesamtbild verstellt und wir auf der individuellen oder sogar nationalen Ebene die Konsequenzen des eigenen Handelns für das weltweite CO2-Problem in seiner Vielschichtigkeit nur unzureichend bemessen können. Denken Sie an die E-Autos oder Lastenfahrräder, die vorwiegend mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Oder daran, dass es zwar die eigenen kleinteiligen Zielwerte verbessern kann, in Deutschland die Ammoniak-Produktion abzubauen. Wenn diese dann jedoch nach China abwandert, wo sie mit deutlich höherem CO2-Ausstoß verbunden ist, hilft das dem Weltklima überhaupt nicht. Zum anderen sind Steuerungsmechanismen, die auf Verboten und moralischen Druck beruhen, für die Koordination einer liberalen Gesellschaft und Eigentumsordnung gänzlich ungeeignet. Ein solches Korsett kann der Komplexität des Zusammenwirkens der Aktivitäten vieler Millionen Menschen nie gerecht werden. Entweder bleiben die Ausweichmechanismen zu groß, sodass sich Teile der Gesellschaft entziehen können, oder es entwickelt sich ein gefährlicher Trend ins Totalitäre. Die bessere Alternative bleibt, endlich auf einen marktwirtschaftlichen Mix umzuschwenken, bestehend aus Technologieoffenheit, Innovationsanreizen und einem Emissionshandel, der so ausgestaltet ist, dass dort CO2 eingespart wird, wo dies die geringsten Folgen für den Wohlstand hat.

Die Liste der spektakulären Hasen-Haken ließe sich mit absurden Forderungen nach wachstumsschädlichen Steuererhöhungen oder der bemerkenswerten Ansicht fortführen, dass unser Sozialstaat trotz Demografiebombe, Adam Riese und sichtbar falscher Anreize keine Überholung notwendig hätte, da wir doch ein reiches Land sind. Nicht nur ist es problematisch, dass offensichtlich ein Unvermögen besteht, zwischen Fluss- und Bestandsgrößen zu unterscheiden. Viel dramatischer noch ist es, dass Teile der Politik der Bevölkerung seit Jahren suggerieren, dass man nicht reformieren muss, weil man nie versiegende Ressourcen einfach generieren kann, indem man die „Superreichen“ besteuert oder eine "moderne Schuldenpolitik" verfolgt. Doch diese Maßnahmen strangulieren dann Wachstum und Arbeitsanreize an anderer Stelle und verzerren den Kapitalstock. Sie sind immer nur der Versuch, den bestehenden Kuchen anders zu verteilen. Der Kernauftrag dieser Bundesregierung ist es jedoch, schnell eine wachstumsorientierte Angebotsagenda zu entwickeln, die für einen größeren Kuchen sorgt. 

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