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Standpunkt 03.07.2024
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Standpunkt Steiger: Ein sorgenvoller Blick nach Frankreich und eine Lehrstunde für die Schuldenbremse-Gegner

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Aus der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich ist das Rassemblement national (RN), die Partei von Marine Le Pen, als stärkste Kraft hervorgegangen. Es folgt das neu gegründete Linksbündnis Nouveau Front populaire (Neue Volksfront - NFP). Im zweiten Wahlgang kommt es darauf an, ob sich dieser Trend verfestigt und es zu einem Machtwechsel kommt. Bereits jetzt ist jedoch absehbar, dass die Ergebnisse die europäische Statik grundlegend verändern werden. 

Umso wichtiger ist es, sich mit den ökonomischen Rahmenbedingungen und jetzt einsetzenden Dynamiken zu befassen. Dabei gibt es aus deutscher Sicht keinen Grund, mit Hochmut auf die Entwicklungen in Frankreich zu schauen. Im Gegenteil: Während Deutschland in den Jahren der Ampelkoalition einen beispiellosen Nettoabfluss an Unternehmenskapital zu verzeichnen hat, war Frankreich zuletzt ausgesprochen erfolgreich darin, ausländische Investoren ins eigene Land zu locken. Eine verlässliche Energiestrategie und aktive Vermarktungspolitik haben dazu geführt, dass Unternehmen wie etwa Amazon, Microsoft, Pfizer oder AstraZeneca angekündigt haben, Investitionen in Milliardenhöhe in Frankreich zu tätigen. Mehrere Studien und Rankings weisen Frankreich gar als attraktivsten Standort Europas aus, deutlich vor UK und Deutschland. 

Doch dieses Bild hat in den letzten Tagen massive Risse bekommen. Ohne klare Mehrheit in der Nationalversammlung droht Frankreich ein gefährlicher Stillstand. Eine absolute Mehrheit von RN oder NFP würde jeweils die Gefahr bergen, dass der ohnehin hoch verschuldete Staatshaushalt vollends an die Belastungsgrenze gelangt.  Beide Parteien haben hemmungslose Ausgabenprogramme und üppige Sozialgeschenke versprochen. Rente ab 60, Anhebung von Mindestlohn und Beamtenvergütung und der Ausstieg aus dem europäischen Strommarkt sind nur einige der Versprechungen. Die zusätzlichen Kosten würden sich auf 100 bis 200 Milliarden Euro belaufen – jedes Jahr. Es sei nochmal betont: Hier geht es nicht nur um die Politik der Le Pen-Partei, die Märkte halten die Pläne des Linksbündnisses sogar für noch bedenklicher. 

Der amtierende Finanzminister Bruno Le Maire hat deshalb bereits gewarnt: „Wir geraten in eine Schuldenkrise und werden in ein Anpassungsprogramm des Internationalen Währungsfonds gezwungen werden.“ Auch der britische „Telegraph“ befürchtet: „Präsident Macron löst eine neue Euro-Zonen-Schuldenkrise aus“. Fakt ist: Im Vorfeld der Wahl erreichte der Spread zwischen den Renditen 10-jähriger französischer und deutscher Staatsanleihen – ein Barometer für die Risikoprämie auf französische Staatsanleihen – tatsächlich Höchststände, wie zuletzt während der Euro-Schuldenkrise 2012. Bleibt dieses Niveau erhalten, drohen Frankreich jährliche Mehrkosten in Milliardenhöhe. Steigt die Renditedifferenz sogar noch weiter an, drohen weitreichende Auswirkungen auf den Euro. Dass es keine gute Idee ist, die Kreditmärkte zu ignorieren hat die kurze Amtszeit von Liz Truss in Großbritannien gezeigt. Ein Liz-Truss-Moment in Frankreich wäre nicht weniger als eine Katastrophe für die gesamte Eurozone. 

Hier gilt nüchtern festzuhalten, dass die Risiken deshalb so groß sind, weil Frankreich sich durch eine katastrophale fiskalische Situation anfällig gemacht hat. Mit 110 Prozent des BIP hat Frankreich die dritthöchste Schuldenquote der Eurozone. Bereits vor der Ankündigung der Neuwahlen hatte die Ratingagentur Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit Frankreichs von AA auf AA- weiter herabgestuft und die Europäische Kommission ein Defizitverfahren gegen Frankreich angekündigt. Seit 1974 hat Frankreich keinen ausgeglichenen Staatshaushalt mehr ausgewiesen. 2023 lag die Neuverschuldung bei 5,5 Prozent. Damit dürfte auch die EZB nicht mehr eingreifen, sollten sich die Zerwürfnisse an den Märkten manifestieren. Das „Transmission Protection Instrument“ (TPI) der Notenbank darf nur für Länder eingesetzt werden, die nicht gegen Defizitkriterien der EU verstoßen.

Auch in Deutschland ist es nicht verboten, aus diesen Entwicklungen zu lernen. Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass Staatsschulden ab einem gewissen Umfang zunehmend negative Auswirkungen mit sich bringen und ab einer Schuldenquote von etwa 90 Prozent des BIP das Wachstum einer Volkswirtschaft tendenziell abnimmt. Vor allem geht der fiskalische Handlungsspielraum zur Bewältigung von Schocks und zur Gestaltung von Zukunftsaufgaben verloren. Die Aufgabe von Schuldenregeln wie dem Stabilitätspakt und der Schuldenbremse ist es, Länder eben nicht zu nah an diese Schuldengrenze rücken zu lassen. 

Im Jahr 2007 hatten die USA, Frankreich und Deutschland alle Staatsschuldenquoten von etwa 65 Prozent, die dann in den Folgejahren signifikant auseinanderliefen. In Frankreich und USA blieben die Ausgaben und Haushaltsdefizite auch im Aufschwung konstant auf hohem Niveau und die Schuldenquoten explodierten bis 2020 auf 131 Prozent (USA) bzw. 118 Prozent (Frankreich). Nur in Deutschland konnte durch die Umsetzung der Schuldenbremse das Vorkrisenniveau wieder erreicht werden. Gerade für diejenigen, die in Deutschland täglich gegen die Schuldenbremse agitieren, steckt hier die Chance, die segensreiche Wirkung dieser Fiskalregel zu verstehen.