Standpunkt 11.12.2025
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Standpunkt Steiger: Findet die KI die „unsichtbare Hand“ des Marktes?

Die wirtschaftspolitische Kolumne von Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates


"KI-Ära" ist von der Gesellschaft für deutsche Sprache gerade zum "Wort des Jahres" 2025 gekürt worden. Künstliche Intelligenz habe „die Mitte der Gesellschaft erreicht", heißt es in der Begründung der Sprachexperten. Das Wort sei ein starkes Symbol für die Chancen und Risiken, die mit dieser Technologie verbunden seien, und damit ideal geeignet, um die derzeitige Stimmung zwischen Aufbruch und Sorge zu repräsentieren. Es steht außer Frage, dass KI viele Felder grundlegend revolutionieren wird und wahrscheinlich die größte technologische Umwälzung darstellt, die wir zu unseren Lebzeiten erfahren werden. Viele der damit verbundenen Auswirkungen sind erst im Ansatz zu erahnen. Sehr deutliche Konturen bekommt dagegen bereits eine Dynamik, die regelmäßig technologische Neuerungen begleitet und die reflexartig das Ende von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten ausruft. Denn wo Disruptionen absehbar sind, da sind auch die Auguren der Angst nicht weit. Ihre Argumente für Protektionismus, ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine Renaissance der Planwirtschaft wissen heute jedoch genauso wenig zu überzeugen wie in der Vergangenheit. 

Klar ist, dass KI auch auf die Wirtschaftsordnung und klassische Bewertungslogiken maßgebliche Auswirkungen haben wird. Kennzahlen wie das Preis-Umsatz-Verhältnis oder der Return on Investment müssen neu gedacht werden, wenn Rechenleistung zur Commodity wird. Und die US-Notenbank FED befasst sich bereits mit der Frage nach neuen Prognose- und Steuerungsmodellen, die notwendig werden, falls KI das BIP von der Beschäftigung entkoppelt. So berechtigt diese Fragen sind, so unangebracht ist die völlige Überzeichnung von Bedrohungen und die lautstarke Warnung vor technologiebedingter Massenarbeitslosigkeit. Schon 2017 gab es im Europäischen Parlament Überlegungen, eine Robotersteuer zu beschließen und mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Auswirkungen, die  intelligente Maschinen angeblich auf den Arbeitsmarkt haben, auszugleichen. Selbst KI-Experten wie OpenAI-CEO Sam Altman bringen Grundeinkommen als mögliche Lösung für technologiebedingte Arbeitslosigkeit in die Debatte.

Dieser Vorschlag wird von linken Parteien dankbar aufgegriffen, und er ist ein schönes Beispiel für ein organisationstheoretisches Verhaltensmuster, das als "Mülleimer-Modell" (garbage can model) bezeichnet wird. In Umbruchphasen erkennen Interessensgruppen die Chance, alte lang gehegte Pläne als neue Problemlösungen zu verkaufen. Die Pläne sind weitestgehend ausgearbeitet, konnten bislang jedoch nicht überzeugen. Kommt es nun zu einer disruptiven Situation, gibt es eine historische Chance, die bisherigen Ladenhüter erfolgreich auf den Markt zu werfen. Genauso verhält es sich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen als Antwort auf den vermeintlichen KI-Job-Kahlschlag. 

Doch dieses Argumentationsmuster ist lediglich ein weiterer Beleg für George Santayanas Wort, dass derjenige, der seine Vergangenheit vergisst, dazu verurteilt ist sie zu wiederholen. Die Sorge, dass Maschinen den Menschen zurückdrängen, ist wahrlich kein neues Phänomen. Der brillante Marktbeobachter Henry Hazlitt widmete diesem Thema bereits 1946 ein eigenes Kapitel („Der Fluch der Maschine“) in seinem berühmten Ökonomie-Klassiker „Economics in one Lesson“. Er beschreibt dort, wie Strumpfhersteller Häuser niederbrannten als Strumpfwirkmaschinen aufgestellt wurden. Düstere Prognosen sagten voraus, dass es viele Jahrzehnte dauern werde, die 50.000 englischen Strumpfhersteller und ihre Familien von dem Hunger und Elend zu befreien, welche die Maschine über die Menschen bringen würden. Doch stattdessen stieg die Anzahl der Beschäftigten rapide.

Dieses Muster wiederholt sich seitdem immer wieder. Hazlitt kommt zu dem Fazit: „Wenn es wirklich zuträfe, dass die Einführung arbeitssparender Maschinen eine Ursache ständig zunehmender Arbeitslosigkeit und Not wäre, dann müssten wir den gesamten zukünftigen technischen Fortschritt als Unglück betrachten und den der Vergangenheit ebenso.“ Realität ist: 85 Prozent des Beschäftigungswachstums der letzten 80 Jahre ist auf die technologiebedingte Schaffung neuer Stellen zurückführen. 60 Prozent der Arbeitnehmer sind heute in Berufen beschäftigt, die es 1940 noch gar nicht gab. Auch KI wird dazu führen, dass es nicht weniger Jobs geben wird, aber sicherlich andere. Die dafür erforderliche Anpassungsbereitschaft und der korrespondierende Kompetenzerwerb sind gesellschaftliche Großaufgaben.

Doch damit nicht genug - die Möglichkeiten der KI veranlassen einige Akteure sogar dazu, eine lange und eindeutig beantwortete Systemfrage der Wirtschaftsordnung neu aufzuwerfen. Vordenker wie Friedrich August von Hayek und Alfred Müller-Armack haben herausgearbeitet, dass kein noch so klug planender staatlicher Akteur die Informationen so effizient bündeln und verarbeiten kann, wie der Markt es tut. Nach Adam Smith verdichtet die „unsichtbare Hand des Marktes“ das verstreute Wissen aller Marktteilnehmer zu Preisen, die die Wirtschaft für eine effiziente Allokation, Bedürfnisbefriedigung und Produktion benötigt. Hayek legt deshalb Interventionisten und Planwirtschaftlern die „Anmaßung von Wissen“ zur Last. In der KI sehen Dirigisten nun den fehlenden Baustein, um dieses Informationsproblem der Planer zu lösen. Das renommierte MIT stellt deshalb die Frage, ob ein KI-gesteuerter Kommunismus funktionieren würde und eine algorithmische Steuerung den Weg in ein sich selbst optimierendes, dynamisches System zur optimalen Ausbalancierung von Angebot und Nachfrage darstellen kann. Alibaba-Gründer Jack Ma hat bereits im Jahr 2017 die Vision einer digitalen Planwirtschaft 2.0 skizziert: „Wenn wir Zugang zu allen möglichen Daten haben, finden wir die unsichtbare Hand des Marktes“. Unter diesen Voraussetzungen sei dann eine zentralistisch gelenkte Wirtschaft das Maß der Dinge. 

Doch auch diese Geschichte ist nicht neu. In den späten 1980er wurde die japanische Wirtschaft als unschlagbar angesehen. Die Kombination aus zentralwirtschaftlicher Planung, rund  um das berühmte japanische Wirtschaftsplanungsamt MITI, und privatwirtschaftlicher Dynamik galt als überlegen gegenüber dem chaotischen, westlichen, freiheitlich marktwirtschaftlichen Modell. Der Film „Zurück in die Zukunft“ ist ein Relikt aus dieser Zeit. In der dort prognostizierten „Zukunft“ wird die amerikanische Wirtschaft aus Japan heraus gesteuert. Die Realität sieht anders aus. Für Japan folgten verlorene Jahrzehnte der Stagnation und eine Staatsschuldenquote von über 240 Prozent.

Mit oder ohne KI - die planwirtschaftlichen Phantastereien verkennen völlig die Rolle des Wettbewerbs als Such- und Entmachtungsinstrument. Wettbewerb ist ein Garant für die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft. Zu jedem Wettbewerb gehört auch die Möglichkeit des Scheiterns. Marktwirtschaft ist kein konstanter Zustand der perfekten Effizienz. Sie ist ein permanenter Versuch-und-Irrtum-Prozess. Irrtümer müssen in Zukunft wieder in diesem Suchprozess korrigiert werden können. Wohlstand muss immer wieder neu erarbeitet werden. Die Voraussetzungen dafür liegen in einer freiheitlich marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, deren Erfolge man allzu gerne für selbstverständlich hält und deshalb gibt es immer wieder Tendenzen, dagegen zu verstoßen.  Doch auch wenn Technologiesprünge wie KI neue Fragen aufwerfen, die zugrunde liegenden Prinzipien bleiben die gleichen. Die Rolle des Staates etwa hat Walter Eucken trefflich beschrieben: „Staatliche Planung der Formen – ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses – nein.“


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