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Standpunkt 20.03.2025
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Standpunkt Steiger: Gegen das Störgefühl

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Eine neue Bundesregierung steht vor großen Aufgaben: Sie muss die eigene Verteidigungsfähigkeit sicherstellen und wieder wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort schaffen. Die Entwicklungen und Reaktionen rund um die Verabschiedung der Grundgesetzänderung im Rahmen der Finanzverfassung haben jedoch verdeutlicht, dass auf die Union in einer designierten schwarz-roten Regierung noch eine weitere gewaltige Herausforderung hinzukommt. Sie muss für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einen echten und sichtbaren Politikwechsel durchsetzen. Gelingt das nicht, wächst bei vielen Menschen das gefährliche Störgefühl, im Raum der Politik nicht gehört, nicht verstanden, ignoriert zu werden, weil sich „sowieso nichts ändert“.

Die Mehrheit der Bürger in Deutschland hat gegen eine Fortsetzung der dirigistischen und wachstumsschädlichen Wirtschaftspolitik der Ampel votiert – und fürchtet nun, genau diesen Kurs wieder aufgezwungen zu bekommen. Gerade der Klima- und Transformationsfonds (KTF) ist das Symbol einer undurchdachten und realitätsfernen Energiewende. Genau dieses Instrument jetzt ins Zentrum zu stellen und mit neuer Feuerkraft auszustatten, speist zwangsläufig die Sorge, dass die subventionsgetriebene Industriepolitik fortgesetzt wird.

Eine wesentliche Erwartung an eine neue Bundesregierung liegt auch darin, Klima und Wirtschaft zusammen zu denken und auf diese Weise eine wirkliche Vorreiterrolle einzunehmen. Wer dagegen - wie Deutschland bisher - die eigene Wirtschaft mit seiner Klimapolitik schädigt, ist für andere Abschreckung und kein Vorbild. Die Fixierung des Ziels der Klimaneutralität bis 2045 sendet deshalb ein fragwürdiges Signal - ganz unabhängig davon, ob es nun als selbst zweckhaftes Rechtsprinzip oder lediglich als Zweckbestimmung verankert wurde. In Großbritannien ruft Kemi Badenoch, die Vorsitzende der Konservativen, dieser Tage aus: „Netto-Null-Emissionen bis 2050 sind unmöglich, das sage ich nicht mit Freude. Ich sage es, weil jeder, der eine ernsthafte Analyse durchgeführt hat, weiß, dass dies nicht ohne eine ernsthafte Senkung unseres Lebensstandards oder durch unseren Bankrott erreicht werden kann.“ 

Auch wir müssen wirtschaftspolitische Maßnahmen wieder anhand ihrer Wirkungen messen und nicht anhand ihrer guten Absichten. Wenn die europäischen Partner sich auf Klimaneutralität bis 2050 einigen, dann spart ein deutsches Vorziehen um fünf Jahre in einem gemeinsamen Emissionshandel, in dem die Anzahl der Zertifikate europaweit gilt, nicht ein einziges Gramm CO2. Was hier eingespart wird, wird anderswo emittiert - es zählt einzig die europäische Gesamtbilanz. Nationale Klimaneutralität bringt dem Klima gar nichts, kann für den Industriestandort jedoch über Wohl und Weh entscheiden.

Spätestens mit diesen Zusätzen – KTF und Klimaneutralitätsziel bis 2045 – sieht sich das Paket auch mit einer weiteren Kritik konfrontiert – der fehlenden inneren Konsistenz. Zielkonflikte und Widersprüchlichkeiten waren ein Wesensmerkmal der Ampel-Wirtschaftspolitik. Beispielhaft hierfür steht etwa das Vorgehen, das Energieangebot zu verknappen und gleichzeitig zu versuchen, über Subventionen energieintensive Industrien wie Halbleiterhersteller oder Batteriezellen anziehen zu wollen. Mit dem Ampel-Ende ist auch die Hoffnung nach einer Rückkehr zu Walter Euckens Prinzip der Konstanz in der Wirtschaftspolitik verbunden gewesen. Doch die Ausrufung des Ziels, Verteidigungsfähigkeit aufzubauen, erfordert nicht nur viel Geld, sondern zwangsläufig auch, dass die grüne Agenda daran angepasst werden muss. Wenn ich ambitioniert aufrüsten will, dann müssen Lieferketten darauf ausgerichtet sein und die Produktion muss hochgefahren werden. Zudem werden dafür in den nächsten Jahren absehbar massiv Rohstoffe, Mining und Energie benötigt. Die Rüstungsindustrie braucht dringend seltene Erden - Satelliten etwa Germanium und Silizium, Munition braucht Nitrozellulose, ebenso benötigt es etwa Wolfram und Titan. Klimaneutralität bis 2045, Lieferkettengesetz und Taxonomie bewirken jedoch genau das Gegenteil: Deindustrialierung und Abbau der Lieferkettendiversifizierung. Olaf Scholz und Robert Habeck wollten mit ihrer interventionistischen Transformationspolitik eine doppelte Rendite einfahren - Dekarbonisierung und Wirtschaftswachstum sollten sich zum grünen Wirtschaftswunder vereinen. Dabei ist es konzeptionell immer problematisch, verschiedene Politikziele über ein Instrument anzusteuern.  Eine neue Regierung sollte ihre Ziele und Prioritäten stringent aufeinander abstimmen.

Die aufgeworfenen Fragen gehen weit über reine Wirtschaftspolitik hinaus. Sie sind Teil einer fundamentalen politisch-kulturellen Verschiebung, die der schottische Historiker Niall Ferguson „Vibe-Shift“ bezeichnet. Prof. Andreas Rödder spricht sogar vom „Ende der Hegemonie des grünen Denkens“. Peter Graf von Kielmansegg hat bereits in der letzten Legislatur davor gewarnt, dass bei vielen Bürgern ein Ohnmachtsgefühl wächst, weil Minderheiten, denen man sich nicht zugehörig fühlt, die Politik in einem irritierenden Maße dominieren und den Diskussionsraum für die kontroverse Suche nach Problemlösungen zu ihrem Vorteil einengen. Er warnt: „Die Dinge gehen ihren Gang, scheinbar unaufhaltsam; der demokratische politische Prozess hält sie nicht auf und lenkt sie nicht um, er geht an ihnen vorbei; Mehrheiten werden allenfalls noch demoskopisch sichtbar, bleiben aber folgenlos – das sind Wahrnehmungen, die, wenn sie sich weit verbreiten, in eine Legitimationskrise führen müssen.“ 

Umso wichtiger ist es für die Union, ein positives und zugleich von der Realität gedecktes bürgerlich-liberales Gegenmodell aufzuzeigen und im Regierungshandeln auch durchzusetzen. Ein Narrativ, das Lust auf Zukunft macht und sich auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückbesinnt. In der Migrationsdebatte hat sich die Union vor der Wahl vom rot-grünen Anspruch befreit, darüber zu bestimmen, was legitim ist und was nicht.  Diesen Geist braucht es jetzt!

 

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