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Standpunkt 11.07.2024
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Standpunkt Steiger: Haushalt als „Merken-die-es-noch“-Moment?

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

„Früher fragten mich die Politiker: Henry, was soll ich davon halten? Heute fragen sie mich: Henry, was soll ich dazu sagen?“, mit diesen Worten beschrieb Henry Kissinger, der Altmeister der US-Außenpolitik, kurz vor seinem Tod einen grundsätzlichen politischen Wandel. In der Tat wirkt es zunehmend, als ob Teile der Politik nicht mehr auf der Suche nach Lösungen sind, sondern vielmehr nach einem medientauglichen eingänglichen Narrativ Ausschau halten – nach einer gut klingenden Geschichte. Nicht mehr die Auseinandersetzung über alternative Zukunftsentwürfe, sondern das Inszenieren von Realität im passenden Licht der eigenen Absichten, wird zum Hauptteil der politischen Arbeit. Gerade die Begleitmusik rund um die Haushaltseinigung der Ampelkoalition ist in vielen Punkten ein Musterbeispiel für Kissingers Beobachtung. Wenn die erzählten Geschichten jedoch nicht mehr mit der Realität in Einklang zu bringen sind, dann droht ein hartes Erwachen, ein gefährlicher „Merken-die-es-noch“-Moment. Lassen Sie uns nur drei Punkte exemplarisch anschauen.

„Deutschland muss jetzt der Stabilitätsanker in Europa sein“, ordnete Bundeskanzler Scholz die Haushaltseinigung gleich mal ins oberste Besteckfach ein. Der deutsche Haushalt schaffe „Sicherheit und Stabilitäten in Zeiten, die von Unruhe und Verunsicherung geprägt sind“. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sekundierte und versicherte, dass die französischen Wahlergebnisse den Einigungswillen nochmals verstärkt hätten: „Deutschland darf nicht auch noch chaotisieren, wenn in so vielen Ländern um uns herum der Baum brennt.“ Aus dem grundlegendsten politischen Handwerkszeug – der Aufstellung von Haushaltseckpunkten - wird so ein Akt großer staatspolitischer Verantwortung. Es geht plötzlich um nicht weniger als das Halten der letzten Stabilitätsbastion im Weltbeben zwischen Le Pen und Trump. Die Mücke hat ihren Auftritt als Elefant.

Diese Selbstdarstellung kann nur Kopfschütteln auslösen. Aus zahllosen Umfragen lässt sich ablesen, dass die deutschen Bürger der Arbeit der Ampel-Regierung ein vernichtendes Urteil ausstellen. 85 Prozent der Befragten sind mit der Ampel unzufrieden und trauen ihr die Lösung von wesentlichen Problemen nicht mehr zu. Sich vor diesem Hintergrund als Stabilitätsanker darzustellen, zeugt von fehlender Demut und muss zu dem beschriebenen „Merken-die-es-noch“-Reflex führen. Auch im internationalen Kontext ist diese Tonlage vollkommen unangebracht. Während sich die Ampel nach der französischen Wahl selbst als europäischen Stabilitätsanker und große Gestaltungskraft betrachtet, wird Deutschland im Ausland längst als Abschreckungsbeispiel gesehen. Viele internationale Analysten und Kommentatoren fürchten, dass Frankreich nun in eine „Berlin-like paralysis“ verfallen könnte und eine zweite große EU-Nation ihre Stimme und Handlungsfähigkeit verliert.

Als zweiten Punkt müssen wir über die Haushaltseinsparungen sprechen. Welche Einsparungen? Genau!  Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge schimpft über die FDP mit Blick auf die Schuldenbremse, sie habe sich „sehr stark in bestimmten Fragen eingemauert". DIW-Chef Marcel Fratzscher kritisiert einen „schmerzhaften Sparhaushalt". Und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich behält sich sogar das Instrument der Notlage weiter vor. Harte Einsparungen sind im Haushalt jedoch gar nicht zu finden. Auch eine Prioritätensetzung oder Strukturanpassungen haben schlicht nicht stattgefunden.

Finanzminister Lindner verordnete den Ministern im Vorfeld noch einen strikten Sparkurs.  452 Milliarden Euro sollten die harte Oberkante sein, 25 Milliarden Euro weniger als im Jahr 2024. Rausgekommen ist nun aber ein Haushalt über 481 Milliarden Euro – also rund 30 Milliarden Euro mehr als geplant. Durch einen Nachtragshaushalt wird das Defizit des laufenden Jahres gleich auch nochmal um elf Milliarden Euro hochgefahren – die schwache Wirtschaftslage und eine Änderung der Konjunkturkomponente bei der Schuldenbremse erlauben dem Bund einen größeren Schluck aus der Schuldenpulle. Allein in den Jahren 2024 und 2025 werden damit rund 100 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Schuldenbremse bis zur Neige ausgeschöpft. Allein diese Schulden bedeuten neue Belastungen in Milliardenhöhe an Zinszahlungen für die kommenden Haushalte.  Statt zu sparen hat man etwa Belastungen bei der Schuldenaufnahme durch Änderungen der Buchungspraxis in die Zukunft geschoben, Zinsausgaben und Zuführungen an den EU-Haushalt einfach geringer kalkuliert und es der nächsten Bundesregierung überlassen, ausreichend Geld für die Landesverteidigung freizuschaufeln und auf demografische Realitäten zu reagieren.

Den größten „Merken-die-es-noch“-Moment erzeugt die Ampel zweifellos mit ihrem Vorschlag, einen Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte einzuführen. Diese Idee lässt sich nicht getrennt von der Entwicklung betrachten, dass in Deutschland mittlerweile jeder zweite Bürgergeld-Empfänger kein deutscher Staatsbürger ist. Das führt zu massiven Akzeptanz-, Anreiz- und Finanzierungsproblemen. Schon Milton Friedman wusste, man könne einen Sozialstaat haben oder offene Grenzen – aber nie beides zusammen. Wenn ich dadurch nun eine zunehmend migrationsskeptische Gesellschaft habe, kann ich doch nicht einen solchen Vorschlag, der In- und Ausländer gegeneinander ausspielt, wie eine tote Katze über den Zaun werfen. Das verunsichert und zieht vollkommen unnötig neue Spaltungslinien ein. Natürlich schreckt die hohe Steuer- und Abgabenlast in Deutschland ab. Die Ampel ist gut beraten, hier entschlossen entgegenzuwirken. Aber dann doch bitte für alle.