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Standpunkt 18.06.2025
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Standpunkt Steiger: Mentalitätswandel statt wirtschaftspolitischer Geheimwaffen

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger


Geopolitische Erdrutsche, technologische Revolutionen und ein beginnender monetärer Klimawandel haben das wirtschaftliche Umfeld Deutschlands verändert und werden es weiter verändern. Die einzige Gewissheit ist, dass die Wucht des Wandels in den nächsten Jahren nicht an Kraft verlieren wird. Deutschland ist wie kaum ein anderes Land mit der Weltwirtschaft verknüpft und hängt ganz wesentlich am Export. Die weiteren Verschärfungen von geopolitischen Konflikten und Handelsstreitigkeiten sind für Deutschland damit auch eine direkte ökonomische Bedrohung. Umso wichtiger ist es im Inland seine Hausaufgaben zu machen und eine konsequente Neubesinnung auf die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft zu vollziehen. Dazu sind die richtigen politischen Weichenstellungen notwendig. Doch es geht weit über Regulierungs- oder Finanzierungsfragen hinaus. Es braucht wieder einen breiten gesellschaftlichen Konsens mit Blick auf unsere marktwirtschaftliche Grundordnung.

Das links-grüne Wirtschafts- und Gesellschafts-Leitbild, das die letzten Jahre dominierte, war ein negatives und pessimistisches. Wachstum war in dieser Lesart verpönt und Leistung zumindest verdächtig. Wirtschaft muss gelenkt, reguliert und an die Kandare genommen werden. Statt den Bürgern Eigenverantwortung zuzumuten, fand das Ideal eines Rundum-Wohlfahrtsstaates im Bürgergeld seinen Gipfelpunkt - "komfortable Stallfütterung" hätte Wilhelm Röpke diese Auswüchse genannt. Das alles ist nicht der Grundton der Sozialen Marktwirtschaft. Ludwig Erhard verstand es wie kein zweiter, den Menschen den Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit zurückzugeben. Er war es, der die oft leidgeprüften Menschen mitriss durch seine freiheitliche Vision und optimistische Ausstrahlung.  Auch heute gilt: Zukunft erschließt sich nicht den Ängstlichen, sondern den Wagemutigen, den Erfindungsreichen, den Fleißigen. 

Es geht darum, in dem sich gerade vollziehenden Paradigmenwechsel dem negativen Ansatz des grünen Denkens eine positive Vision einer freiheitlichen Gesellschaft entgegenzusetzen. Bürgerliche Politik braucht den positiven Spin der Möglichkeiten, die sich dem freien Willen und der Leistungsbereitschaft der Menschen eröffnen. Es geht darum, dass die Ergebnisse marktwirtschaftlicher Leistung akzeptiert und nicht als ungerechtfertigte Bereicherung Einzelner diffamiert oder als Ausbeutung verdammt werden. Es geht um ein Grundverständnis, das sozial gerecht ist, wenn Gerechtigkeitsüberlegungen nicht erst bei der Umverteilung des Sozialproduktes ansetzen, sondern früher bei der Schaffung von Leistungs- und Chancengerechtigkeit. Und wir müssen uns der Realität stellen, dass in einer Zeit beständigen Wandels nicht Größe oder lähmende Vollkasko-Illusionen die relevanten Kriterien sein können, sondern vor allem die Anpassungsfähigkeit an die sich ändernden Rahmenbedingungen.

Der Weg zur Reaktivierung der ursprünglichen Erhardschen Ordnungspolitik ist dabei durchaus weit und nicht ohne Tücken. Insbesondere gilt Vorsicht vor vermeintlichen Wundermitteln - auch diese benötigen den richtigen Ordnungsrahmen. Jeder ist etwa für Bürokratieabbau. Zu Recht! Nur wenn Ideenreichtum, die Kreativität und der Wille zu Leistung und eigenverantwortlichem Handeln nicht durch lähmende Vorschriften erstickt werden, kann eine neue wirtschaftliche Dynamik in Gang gebracht werden. Als Geheimwaffe wird häufig die Digitalisierung der Verwaltung ins Feld geführt. Und zweifellos liegen hier auch riesige Potenziale für Effizienzgewinne. Doch die Digitalisierung ist letztlich nur ein Werkzeug, das ohne strikten Mentalitätswandel sogar die gegenteilige Wirkung erzeugen könnte. Der Schweizer Ökonom Bruno Frey etwa warnt, dass die digitale Transformation der staatlichen Institutionen sogar zu einer drastischen Zunahme der Regulierungsflut führen könnte. Dank digitaler Technologien, KI und einer konstant anschwellenden Datenmenge bestehe die Gefahr, dass die staatlichen Regeln ganz neue Lebensbereiche erobern und in bisherige regulatorische Nischen vordringen könnten. Niedrige Grenzkosten würden zudem bisherige Beschränkungen zur Ausweitung, Umsetzung und Kontrolle gesetzlicher Vorschriften aufheben, denn eine digitale Lösung beschwert sich nicht über das Aufhalsen von zusätzlichen Aufgaben oder Nachtschichten.

Hier geht es keineswegs um eine Perspektive, die ähnlich wie Karl Marx den „Kapitalisten“ nunmehr den staatlichen Bürokraten als den unvermeidlich auftretenden Theaterschurken betrachtet, der innerhalb des Systems unweigerlich gemeinschädliche Eigenschaften entwickeln müsse. Eine solche Sichtweise würde dem hohen persönlichen Einsatz vieler Staatsdiener für das öffentliche Interesse nicht gerecht und sie spräche auch für ein grundlegendes Unverständnis von Ordnungspolitik, die ja auf einen starken Staat angewiesen ist. Aber es geht um die Tendenz, die schon Alexis de Tocqueville herausgearbeitet und die Max Weber bekräftigt hat, dass Staat und Bürokratie durchaus geneigt sind, ihre „Verwaltungsaufgaben im Dienst der zu beglückenden Beherrschten“ wahrzunehmen. Digitale Technologien ermöglichen nun ungeahnt komplexe und detaillierte Regeln und entsprechende bürokratische Prozesse. Ob der Einsatz von Technologien zu Effizienzgewinnen oder überbordender Regulierung führt, ist deshalb schlicht eine Kulturfrage, eine Frage der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die von Frey beschriebenen Gefahren drohen augenscheinlich dann, wenn nicht mit dem emsigen Streben der letzten Jahre gebrochen wird, mit anmaßendem Wissen allen noch so kleinen Sachverhalten jeweils genau passende administrative Maßanzüge anzumessen. 

Marktwirtschaftliche Ordnungspolitik ist das Gegeninstrument für diesen Trend – sie ist weder Instrument von Staatsplanung noch Serviceleistung des Staates für Individuen oder Gruppen. Sie muss zum Nutzen aller geschehen, aber sie muss offenlassen und respektieren, was jeder einzelne als Nutzen ansieht. Die Bürger haben in der Sozialen Marktwirtschaft Anspruch auf ein Leben in Freiheit und Eigenverantwortung. Aufgabe der Ordnungspolitik ist es mit Hilfe von allgemeinen Regeln, Institutionen und Normen Freiräume für eigenverantwortliches Handeln zu sichern, ein System zu schaffen, das Anreize zur eigenen Leistung setzt und subsidiär soziale Sicherung für diejenigen bietet, die für die Wechselfälle des Lebens nicht aus eigener Kraft vorsorgen können. Sie sehen, es lohnt sich gerade in Zeiten wie diesen, sich für die Soziale Marktwirtschaft zu engagieren.  


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