Standpunkt 18.12.2025
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Standpunkt Steiger: Mit Zuversicht in ein neues Jahr

Die wirtschaftspolitische Kolumne von Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates


„Lassen wir alles so, wie es ist, wird der Sozialstaat selbst zum Sozialfall“, brachte es der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück unlängst auf den Punkt. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz spricht es in aller Klarheit aus: „Wir können uns dieses System, das wir heute haben, einfach nicht mehr leisten.“ Ein Sozialstaat, der immer mehr kostet und ineffizienter wird, verliert nicht nur langfristig seine Akzeptanz, sondern gefährdet auch den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Lohnzusatzkosten sind längst auf ein Niveau gestiegen, das viele Unternehmen im internationalen Wettbewerb aus der Kurve wirft. Hohe Abgaben drücken nicht nur die Nettolöhne, sondern verhindern auch Investitionen. In der Kombination von Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung können die Sozialbeiträge bereits kurz nach 2030 die 50-Prozent-Marke überschreiten und in den 40er-Jahren in Richtung 60 Prozent steigen. Ein solcher Abgabendruck ist schlicht nicht tragbar. Schon heute passt die Abgabenquote nicht zur Sozialen Marktwirtschaft und ihrem Aufstiegs- und Leistungsversprechen. Sie passt zu einem bevormundenden Staatsdirigismus, der eher mit dem Begriff „Gängelung“ korrespondiert als mit den Prinzipien Freiheit und Verantwortung.

Statt hier mit mutigen Reformen gegenzusteuern, wurden die Ansprüche in den letzten Jahren immer weiter ausgeweitet und die Lasten in die Zukunft geschoben. Doch ein Sozialstaat, der mit einer überhöhten Abgabenlast sein eigenes wirtschaftliches Fundament zerstört, ist sicherlich nicht zukunftsfähig - erst Recht nicht, wenn zusätzliche Schuldenfinanzierung über Zins- und Tilgungskosten die Gestaltungsspielräume des Staates - auch für Soziales - verringert. Wenn der Sozialstaat auf Dauer gesund bleiben soll, kann er niemals mehr leisten als nur die „Abwehr von Not“. Nahezu täglich rief Ludwig Erhard den Bürgern durch den Äther zu: Maßhalten! Maßhalten bei Löhnen, bei Preisen und vor allem Maßhalten bei den Ansprüchen. Der Sozialetat lag damals bei 25 Prozent des Gesamthaushaltes. Das empfand Erhard als zu viel. Dieser eng begrenzte „Sozialstaat“ Erhard’scher Prägung war human, entsprach der christlichen Soziallehre und war vor allem bezahlbar. Ludwig Erhard forderte die Bürger, bevor er sie förderte. Jede Sparleistung, so klein sie auch war, wurde steuerlich belohnt: das Alterssparen, das Kapitalmarktsparen, das Bausparen - und alles gleichzeitig bei niedrigen Einkommen durch Prämien, bei höheren Einkommen durch steuerliche Absetzmöglichkeiten.

Ein Netz der sozialen Sicherung, das Härten abfedert und Menschen vor wirtschaftlicher Not schützt - das war die Erhard’sche Maxime, mehr ist nicht zu verantworten. Diese Vorstellungen sind längst uferlosen Ansprüchen gewichen. Politiker haben einen Sozialstaat geschaffen, der offensichtlich die Belastungskraft der nächsten Generation übersteigt. Die Debatte um das Rentenpaket hat gezeigt, wie grundlegende Zusammenhänge zwischen Beiträgen, Steuern und wirtschaftlicher Leistung vollkommen negiert werden. Unbestritten ist, dass der Sozialstaat nicht nur Kostenfaktor ist, sondern auch demokratisches Fundament. Er stellt sicher, dass Menschen in Krisensituationen und bei Schicksalsschlägen nicht ins Bodenlose abstürzen, Chancen gerecht verteilt sind und der gesellschaftliche Zusammenhalt trägt. Im Gegenzug fordert er von den Bürgern Eigenverantwortung ein. Es geht darum, dieses Verhältnis wieder neu auszutarieren und Sozialpolitik nicht aus einer von der wirtschaftlichen Realität entkoppelte Umverteilungsperspektive zu betrachten, sondern Effizienz, Priorisierung und nachhaltige Finanzierung in den Mittelpunkt zu stellen. 

„Bei Gesundheit und Pflege verschwenden wir Beitragsmittel für die ineffiziente Versorgung“, beklagt etwa Prof. Dr. Martin Werding vom Sachverständigenrat. Hier braucht es nicht unbedingt Leistungskürzung, sondern mehr Kostenbewusstsein. Was einst ein klar definiertes Schutzversprechen war, ist längst zu einem hochkomplexen Leistungsgeflecht geworden. Über 500 verschiedene Sozialleistungen hat das ifo-Institut jüngst identifiziert. Hinter jeder Maßnahme mag für sich genommen eine hehre Absicht stecken, doch sind die einzelnen Leistungen nur vollkommen ungenügend aufeinander abgestimmt und erzeugen im Zusammenspiel dramatische Fehlanreize und kafkaeske bürokratische Strukturen, die Mittel binden, anstatt sie den Menschen zugutekommen zu lassen. Wir reden viel zu wenig darüber, dass beim Bürgergeld die Verwaltungskosten bei bis zu 30 Prozent der ausgezahlten Leistungen liegen.

Prof. Andreas Peichl rechnet zudem vor, dass es sich für viele Menschen kaum lohnt, mehr zu arbeiten. Für Familien etwa ist es in bestimmten Konstellationen weitgehend egal, ob sie 3500 Euro oder 5500 Euro brutto verdienen, weil sie netto nahezu den gleichen Betrag herausbekommen. Und wir fragen uns, wo eigentlich Leistungsbereitschaft, Aufstiegswille und Fortschrittsglaube geblieben sind? Doch wenn sich Leistung nicht lohnt, funktioniert die Soziale Marktwirtschaft nicht!  Wir müssen transportieren, dass sich ein solches System gegen diejenigen richtet, denen es helfen soll. Der Sozialstaat soll ein aktivierender Sozialstaat sein, dessen Ziel es nicht ist, die dauerhafte Transferabhängigkeit abzusichern, sondern der Perspektiven zur Teilhabe schaffen soll. 

Auch die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ um Bundesminister a.D. Thomas de Maizière und den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle führt ein eindrucksvolles Beispiel für den Irrsinn an: „Eine alleinerziehende Frau mit einem pflegebedürftigen Vater hat Anspruch auf ungefähr zwölf Sozialleistungen, denen vier verschiedene Einkommensbegriffe zugrunde liegen und sie muss sich mit acht Bewilligungsstellen befassen." Die Folge dieser Auswüchse ist eine Bürokratie, die nach einem Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung mittlerweile 500.000 Mitarbeiter in 946 Bundesbehörden umfasst. Aufgaben werden mit großem Aufwand bis zu 14-mal parallel vorgenommen. Leitung und zentrale Verwaltung machen inzwischen fast 20 Prozent der Beschäftigten aus. Jeder fünfte Beamte arbeitet also nur daran, den Apparat am Laufen zu halten. 

Vielleicht hat der erfolgreiche Extrembergsteiger Hans Kammerlander recht gehabt, als er eines seiner Bücher mit dem Titel „Abstieg zum Erfolg“ überschrieb. Seine Kernaussage: Erst wenn man sicher wieder unten ist vom Gipfel, hat man das Ziel erreicht. Davor gehört einem nicht der Berg, sondern man selbst gehört dem Berg. Diesen Teil sollten wir hinter uns haben – Deutschland ist als Wachstumsschlusslicht unten angekommen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht vor ernsthaften Herausforderungen. Doch die gute Nachricht ist, dass wir eine gewaltige Produktivitätsreserve haben, weil es hausgemachte Probleme sind, die uns die Möglichkeiten verstellen. Wir haben es selbst in der Hand, uns von der Anspruchsmentalität abzuwenden und zurückzukehren zur Anpacker-, Aufsteiger- und Leistungsrepublik Deutschland. Das Fenster für echte Reformen steht weit offen, die Menschen spüren, dass es so nicht weitergehen kann. Trotz falscher Weichenstellungen beim Rentenpaket schimmerte in der Begleitdiskussion die Bereitschaft durch, über die  „Verlängerung von Lebensarbeitszeit“ zu reden.  Länger arbeiten hilft den angespannten Systemen. Umso mehr wird es im kommenden Jahr darauf ankommen, in jedem Zweig der sozialen Sicherung zu prüfen, wie dringlich und vor allem wie effektiv die staatlichen Eingriffe sind, was sie kosten, welchen Nutzen sie stiften und welche Wechselwirkungen sie haben. Klar ist: Wirtschaft und Einkommen müssen wieder wachsen, um eine offenere Diskussion über Sozialreformen führen zu können. Wenn wir die Wirtschaftswende nicht bald schaffen, wird der Sozialstaat zusammenbrechen. Die Rechnung zahlen dann genau jene Menschen, die er eigentlich unterstützen soll. 

Hinweis: 

Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich der „Standpunkt Steiger“ bis Anfang Januar in die Weihnachtspause. Ich möchte mich herzlich für die zahlreichen ermutigenden Rückmeldungen, die hilfreichen Anregungen und auch manch kritisches Korrektiv bedanken.

Das kommende Jahr bietet enorme Chancen, das „Geschäftsmodell Deutschland“ zu erneuern und zukunftsfähig zu gestalten. Wohlstand muss immer wieder neu erarbeitet werden. Das hat Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen liegen in einer freiheitlich marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, deren Erfolge man allzu gerne für selbstverständlich hält und deshalb gibt es immer wieder Tendenzen dagegen zu verstoßen.  Umso mehr haben Unternehmer gerade in diesen Zeiten die Verantwortung aufzuklären, wie wichtig Markt, Wettbewerb und Freiräume im wirtschaftlichen System sind. Eine Wirtschaftsordnung, die Wohlstand schafft, muss wieder in den Mittelpunkt rücken. Dafür muss das verlorene Wissen über die Prinzipien und Funktionsweisen der Sozialen Marktwirtschaft wieder zugänglich gemacht werden. Was könnte lohnender sein, als gemeinsam für diese Ziele einzutreten? In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gesegnete Weihnachtstage und freue mich auf ein Wiedersehen im kommenden Jahr. 


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