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Standpunkt 30.05.2025
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Standpunkt Steiger: Nach kopernikanischer Wende und EU-Mondlandung nun der globale Euro-Moment?

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Die geopolitische Ordnung ist im Umbruch – und mit ihr das Fundament des globalen Geldsystems. Fast täglich beobachten wir neue Symptome, die in erschreckender Eindeutigkeit dafür sprechen, dass etwas Grundsätzliches ins Wanken gerät, das weit über die viel diskutierte Zoll- und Handelspolitik hinausgeht: Mit Moody's entzog nun auch die letzte der drei großen Ratingagenturen den Vereinigten Staaten ihr Triple-A-Spitzenrating und stufte die Kreditwürdigkeit herab. Zentralbanken kaufen Gold auf Rekordniveau. Anleiheauktionen in Japan und den Vereinigten Staaten verlaufen außergewöhnlich enttäuschend und wir beobachten einen besorgniserregenden Anstieg der Renditen für langfristige Staatsanleihen. Wenn Anleiheauktionen schlecht verlaufen, ist das ein Alarmsignal dafür, dass die Anleger verunsichert sind  - etwa wegen nicht nachhaltiger Staatsschulden, hoher Inflationserwartungen oder beidem. Sie verlangen höhere Zinssätze, um diese Risiken auszugleichen. Höhere Zinssätze fressen sich dann durch das gesamte Finanzsystem. Ray Dalio, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der Investmentwelt, bringt die Entwicklungen auf den Punkt: „Ich bin besorgt über etwas Schlimmeres als eine Rezession. Wir haben etwas, das noch viel tiefgreifender ist, wir haben einen Zusammenbruch der monetären  Ordnung.“

China arbeitet mit dem digitalen Yuan oder Projekten wie mBridge bereits seit geraumer Zeit daran, den internationalen Zahlungsverkehr direkter und unabhängiger vom Dollar zu gestalten. Nun reagiert auch Europa mit überraschend kühnen Aussagen auf die Entwicklungen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hält die erratische Politik Donald Trumps für "eine hervorragende Gelegenheit", um die globale Bedeutung des Euro zu stärken. Grundsätzlich ist sicher alles, was die europäische Resilienz stärkt und Wachstumskräfte freisetzt zu begrüßen. Es gibt ohne Frage auch geeignete Maßnahmen, um die Verlässlichkeit des Währungsraums herauszustellen. Doch die Schritte dahin sind mühsam, kleinteilig und langwierig. An vielen notwendigen Punkten - wie etwa die Schaffung eines einheitlichen europäischen Kapitalmarkts - arbeitet sich Europa seit Jahren vergeblich ab.  

Sich aus dieser Situation nun selbst zum Anwärter für die neue Leitwährung auszurufen, ist so, als ob man versucht, mit einer Gabel Akupunktur zu betreiben. Lagardes Ankündigungen, dem Dollar dauerhaft das Wasser abgraben zu können, scheinen sogar so weit von der Realität entfernt, dass die Frage aufkommt, ob letztlich ein anderes Motiv dahinter steht: Die Forderung nach weiteren gemeinsamen EU-Anleihen.

„Die laufenden Veränderungen schaffen die Voraussetzungen für einen 'globalen Euro-Moment'", so Lagarde. Aus der Vergangenheit kennen wir, dass es den politischen EU-Programmen selten an großen Worten, dafür aber umso mehr an Durchschlagskraft gefehlt hat. So wurde der EU-Green Deal als „Europas Mondlandung“ gefeiert. Die erstmalige gemeinsame Schuldenaufnahme im großen Stil über das EU-Next-Generation-Programm wurde als „kopernikanische Wende“ gepriesen. Anspruch und Wirklichkeit klafften jedoch immer weit auseinander. Auch dieses Mal ist Skepsis angebracht.

Schnell wird deutlich, dass die aktuelle Euro-Stärke nicht auf eigenen überzeugenden Fundamentaldaten fußt, sondern in erster Linie aus dem Vertrauensverlust vieler Investoren in die USA resultiert. Es ist zudem nicht nur Trumps unvorhersehbar wirkendes Verhalten, das zu der Frage führt, ob US-Staatsanleihen weiterhin der sichere Hafen der letzten Jahrzehnte sind. Es ist vielmehr die Sorge, über die dramatisch fortschreitende staatliche Verschuldung. Durch die Wunderwaffe DOGE erhoffte man sich zunächst eine Umkehr und jährliche Einsparungen in Höhe von 1 bis 2 Billionen Dollar. Damit hätte das Defizit nahezu halbiert und unter die von Finanzminister Scott Bessent im 3–3–3-Plan vorgesehene Zielgröße von 3 Prozent gedrückt werden können. Doch den DOGE-Aktivitäten scheint die Puste ausgegangen zu sein, zuletzt wurde  das Einsparpotenzial  nur noch auf knapp 155 Milliarden Dollar beziffert - zu wenig, um die Überschuldungsspirale nachhaltig stoppen zu können.

Doch auch in Europa sind einige Länder bis zum Limit verschuldet. Acht Mitgliedstaaten – darunter Frankreich und Italien – befinden sich bereits im sogenannten Defizitverfahren. Auch sonst sind die Entwicklungen keineswegs so glänzend, wie von Lagarde dargestellt. Es ist zwar richtig, dass der Euro nach dem Dollar die zweitwichtigste Reservewährung der Welt ist, aber diese reine Währungsbetrachtung blendet einen wichtigen Trend aus. Schon Ende 2023 wurde der Euro bei seinem Anteil an den weltweiten internationalen Reserven von Gold überholt. Bezieht man das Edelmetall in die Betrachtung ein, wird ein zunehmender Bedeutungsverlust des Euros als Währungsreserve sichtbar.

Um Mark Twain zu paraphrasieren: Die Berichte über den Tod des Dollars sind stark übertrieben. Die EU hat keine einheitliche Fiskalpolitik und sie ist von einer politischen Union weiter entfernt als bei Gründung des Euros. Vor allem aber kommt kein anderer Markt auch nur annähernd an die Tiefe oder Liquidität des US-Schatzmarktes heran. Genau an diesem Punkt setzt Lagarde nun an und fordert einen größeren Markt an EU-Anleihen und die gemeinsame Finanzierung von europäischen öffentlichen Gütern - also Infrastruktur, Energienetze, Grundlagenforschung, Klimaschutz, Verteidigung. „Die wirtschaftliche Logik sagt uns, dass öffentliche Güter gemeinsam finanziert werden müssen", so Lagarde. Bislang hat die EU insgesamt etwa eine Billion Euro an Gemeinschaftsanleihen ausgegeben, insbesondere über das EU-Next-Generation-Programm. Der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Peter Praet sekundiert, für einen wirklich liquiden Markt brauche man das Zwanzigfache.

Der Aufschlag von Christine Lagarde ist also letztlich ein erneutes Plädoyer für Euro-Bonds. NextGenEU  läuft 2026 aus und es scheint, ein Narrativ für eine Perpetuierung und Nachfolgedebatte gefunden zu sein.  Dabei sind dutzende Milliarden Euro noch gar nicht abgerufen, die Wachstumsziele wurden weit verfehlt und ein ehrliches Fazit muss zu dem Ergebnis kommen, dass die europäischen Anleihen auch keineswegs das erhoffte Safe Asset der Europäischen Währungsunion sind. Die Risikoprämien sind mittlerweile nicht mehr nur höher als die der Länder mit dem besten Bonitätsrating (etwa Deutschland und Niederlande), sondern übersteigen auch die von Ländern wie Portugal, das mit einem deutlich schlechteren Risikoprofil ausgestattet ist. Gleichzeitig wurde die EU-Kommission von den steigenden Zinsen vollkommen überrascht und sie hat sich bei  den eigenen Finanzierungskosten massiv verkalkuliert. Ab 2028 beginnt zudem die Rückzahlung der NextGenEU-Schulden. Etwa 30 Milliarden Euro werden dann jährlich dafür fällig, das entspricht rund einem Fünftel des regulären EU-Haushalts. Außer einem „Rollover“ der Schulden gibt es keinerlei Konzept wie das abgebildet werden soll.

Es ist in der Tat ein zentraler Zeitpunkt für Europa. Es gilt die Leistungsfähigkeit und Resilienz des Wirtschaftsraums ebenso wie den Euro in dieser undurchsichtigen weltpolitischen Situation zu stärken. Aber über Euro-Bonds neue Verschuldungskapazitäten zu schaffen, ist nicht der richtige erste Schritt für die holprige Reise auf der wir uns befinden. Um Interesse und Vertrauen in den Euro zu erhöhen, braucht es in erster Linie ein stärkeres Wirtschaftswachstum und mehr Innovationen. Doch genau hier kämpft Europa derzeit um seine Relevanz in der Welt. Der Kontinent macht nur noch 21 Prozent des Welt-BIP aus. Der geringste Anteil seit 500 Jahren. Laut Artificial Intelligence Index Report 2025 der Stanford Universität  wurden zuletzt 70 Prozent aller weltweiten KI-Patente in China angemeldet. Der Anteil Europas  dagegen liegt bei dieser entscheidenden Zukunftstechnologie bei prekären 2,77 Prozent. Solange Europa beim Wachstum hinterherhinkt, wird der Euro auch keine Reservewährung. Es gilt deshalb, mit entschlossener Reformpolitik dazu beizutragen, die Voraussetzungen zu größeren Produktivitätsgewinnen, höherem Wachstumspotenzial, weniger bedrohlichen Defiziten und Schulden, einer gerechteren Handelsordnung und einem stabilen Zahlungssystem zu schaffen.

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