Standpunkt Steiger: Rotes Wetterleuchten?
Die wirtschaftspolitische Kolumne von Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates
Der linke Außenseiter Zohran Mamdani hat die Bürgermeisterwahl in New York gewonnen. Mamdani, der sich selbst einen „demokratischen Sozialisten" nennt, versprach unter anderem eine Mietpreisbremse, 30 Dollar Mindestlohn, universelle Kinderbetreuung, die komplett kostenlose Nutzung von Bussen und dazu staatlich betriebene Supermärkte, die keine Gewinnabsicht haben und so die Lebensmittelpreise senken würden. Prägend für Mamdanis Wahlkampf waren vor allem zwei Elemente. Erstens, ein konsequent negatives Markt- und Unternehmerbild. Böse Reiche müssten mehr Steuern zahlen und profitgierige Vermieter enteignet werden, wenn sie ihre Pflichten nicht erfüllen. Zweitens, ein ausgeprägter staatlicher Allmachtsglaube. Für Mamdani sind Preise kein Signal für ökonomische Knappheiten, sondern das Produkt einer politischen Steuerung - sie gilt es einzufrieren, zu lenken oder festzusetzen. „Es gibt kein Problem, das so groß ist, dass die Regierung es nicht lösen könnte“, rief Mamdani immer wieder aus. Diese einfachen und verführerischen Botschaften verfangen, die Folgen sind für die Bürger jedoch stets verheerend. Die Realität zeigt, dass genau die Mittel, die Mamdani heranziehen will, niemals zu Preissenkungen geführt haben und dass staatliche Eingriffe in Preissysteme die zugrundeliegenden Probleme regelmäßig noch verschlimmern – sie sind häufig die Ursache von Ungleichgewichten, nicht deren Heilmittel.
Umso besorgniserregender ist es, dass Mamdanis Agenda auch hierzulande von vielen zum Vorbild genommen wird. Der Spiegel schreibt vom neuen „Superstar“, der Stern erkennt in Mamdani gar das „Gesicht eines amerikanischen Traums“. Angesichts der politischen Schockstarre, Ideenlosigkeit und der schwachen Wahlergebnisse vieler linker Parteien in Europa soll Mamdanis Kampagne auch für sie den Weg in eine erfolgreiche Zukunft weisen. „Mamdani hat sich unerbittlich auf die Ungleichheit fokussiert, und genau das werde ich hier auch tun“, erklärt etwa Zack Polanski, Vorsitzender der britischen Grünen. Auch hierzulande soll die Mamdani-Wahl Rückenwind geben. „Sein Wahlkampf ist wie eine Blaupause für die Wahlen nächstes Jahr in Berlin“ sagt Linken-Parteichef Jan van Aken. „Wenn ein Linker in New York gewinnen kann, dann genauso gut in Berlin“, sekundiert die Linken-Spitzenkandidatin in Berlin, Elif Eralp. Juso-Chef Philipp Türmer ist überzeugt, Mamdanis Erfolg sei „ein starkes Signal gegen ein diffuses Mitte-Gerede und für demokratischen Sozialismus“. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetović, sieht durch Mamdani ein „neues Kapitel progressiver Politik“ eröffnet und seine Parteichefin Bärbel Bas steht Madamis strammer Anti-Wall-Street-Rhetorik nicht nach und ruft in einer beispiellosen Entgleisung mitten in einer Wachstums- und Strukturkrise den Kampf gegen Arbeitgeber aus.
Auch die Grünen vollziehen einen beachtlichen Schwenk in die Richtung von Mamdani. Der Forderungskatalog wirkt wie bei ihm abgeschrieben - von der Rückkehr zum Deutschlandticket für neun Euro bis zu dem „Bezahlbare-Mieten-Gesetz“, das Berliner-Vermietern vorschreiben will, einen bestimmten Anteil an Wohnungen zu „bezahlbaren Preisen" anzubieten. Allerdings erfolgt der Richtungswandel bei den Grünen dezenter, da er mit der heimlichen Beerdigung einer folgenschweren Fehlwahrnehmung verbunden ist. Mamdanis Erfolgsrezept heißt „Affordability“ – es geht also um das politische Gespür, die Sorge der Bürger über die steigenden Lebenshaltungskosten aufzunehmen. Das große Thema der Grünen war in den letzten Jahren die grüne Transformation. Über die gewaltigen Preissteigerungen, die mit ihr direkt verbunden sind, hat man sich dagegen wenig Gedanken gemacht, weil dem Habeckschen Mantra gefolgt wurde, Klimaschutz sei ein Wirtschaftstreiber und die Dekarbonisierung finanziere sich so von allein – Trittins bekannte Kugel Eis. Von dieser Erzählweise haben sich die Grünen bei ihrem jüngsten Parteitag verabschiedet. Nun wird die Klimaerzählung mit der Mamdani erprobten Klassenkampf-Rhetorik garniert. Es müsse Schluss damit sein, dass sich Menschen mit geringem Einkommen für ihr Verhalten schämten, während Superreiche viel stärker dem Klima schadeten, wütet Parteichef Felix Banaszak in der neuen Tonlage. Es brauche nun dringend eine Übergewinnsteuer für fossile Konzerne sowie höhere Steuern für Privatjets und Business-Tickets.
Es bleibt fraglich, ob es den linken Parteien in Deutschland wirklich gelingt, auf den Mamdani-Zug aufzuspringen. Zum einen gibt es hier keinen Donald Trump, dessen polarisierende Art es erleichtert, die scharfen Konturen eines Gegenmodells herauszustellen. Damit aus dem Thema Lebenshaltungskosten für die Parteien links der Mitte ein politisches Erfolgsrezept wird, müssten sie zum anderen nachweisen, wie sie das Problem in den Griff bekommen wollen. Doch Mamdanis Wundermittel haben sich hierzulande längst als untauglich selbst entzaubert. Der grüne Interventionismus hat die wirtschaftliche Dynamik erstickt und dafür gesorgt, dass Investitionen um den Standort Deutschland einen beispiellosen Bogen machen. Die Linke spielt im Wahlkampf um das Berliner Rathaus zwar aggressiv das Thema Wohnungsnot, doch ist vielen noch im Gedächtnis, dass die Partei 12 der letzten 20 Jahre im Senat mitregiert hat und mit ihrer Politik Bauträger und Investoren aus der Hauptstadt vertrieben hat – nicht zuletzt durch den verfassungswidrigen Mietendeckel. Auch die Mindestlohnerhöhung packt die Probleme sichtbar nicht an der Wurzel. Laut ifo-Umfrage wollen 22 Prozent der betroffenen Unternehmen wegen der anstehenden Mindestlohnerhöhung Stellen streichen. Zudem rechnen 28 Prozent mit weniger Investitionen. Das Thema Kosten ist für einen ohnehin schwächelnden Standort nun mal nicht unerheblich. Jedes zweite betroffene Unternehmen plant übrigens, die Preise zu erhöhen, was dann sogar zu einer Verschärfung des Affordability-Problems führt.
Auch wenn es gute Gründe für die Annahme gibt, dass Deutschland keinen Mamdani-Moment erlebt, wäre es gleichwohl töricht, nicht einzugestehen, dass Mamdani den Finger in die richtige Wunde gelegt hat. Auch in Deutschland wächst die Sorge vieler Bürger, bei Kernbedürfnissen wie Wohnen, Mobilität, Gesundheit und Lebensmitteln abgehängt zu werden. Der Einkauf im Supermarkt schlägt spürbar stärker zu Buche als noch vor einigen Jahren. Um mehr als 40 Prozent haben sich die Lebensmittelpreise seit 2019 verteuert. Damit sind sie deutlich stärker gestiegen als die Löhne. Steigende Zinsen, hohe Lebenshaltungskosten und ein schwächerer Arbeitsmarkt sorgen laut Creditreform dafür, dass die Zahl der überschuldeten Haushalte in nahezu jeder Altersgruppe steigt. Ifo-Präsident Clemens Fuest warnt, dass wir in Deutschland ohne Reformen auf „italienische Verhältnisse“ mit Stagnation, sinkendem Lebensstandard und gesellschaftlichen Spaltungen zusteuern. Aktuelle Umfragen zeigen, dass sich die hohen Lebenshaltungskosten längst zu der größten Angst der Deutschen entwickelt haben – vor Krieg und weit vor dem Klimawandel.
Gerade der Union muss deshalb klar sein, dass sie diese Entwicklungen adressieren und einen Gegenentwurf entwickeln muss. Einen Ansatzpunkt hierfür stellt der US-Ökonom und ehemalige Pimco-Chef Mohamed El-Erian heraus. Er betont, dass „Affordability“ eben nicht nur von den Preisen, sondern in erster Linie von den Einkommen abhängt. Und hier liegt der Raum zur klaren politischen Abgrenzung. Eine wirkungsvolle bürgerliche Politik muss sich darauf konzentrieren, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Früchte des technischen Fortschritts zu ernten. Wenn der neuen Klassenkampf- und Neid-Rhetorik kein überzeugendes Zukunftsbild von Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und Freiheit entgegengesetzt wird, drohen sich die Zerrbilder unwidersprochen immer stärker in der Gesellschaft durchzusetzen. Doch nur Wettbewerb, offene Märkte sowie Leistungs- und Risikobereitschaft können Preise nachhaltig senken und Engpässe beseitigen. Erhards „Wohlstand für Alle“ bleibt das richtige Ziel und die Soziale Marktwirtschaft der einzig richtige Weg dorthin.