Standpunkt 11.09.2025
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Standpunkt Steiger: This time is different – ist das wirklich so?

Die wirtschaftspolitische Kolumne von Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates


Die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff untersuchten in ihrem bahnbrechenden Buch „This time is different“ akribisch die Finanzkrisen der letzten acht Jahrhunderte. Obwohl die Finanzkrisen in verschiedenen Ländern und Jahrhunderten unter sehr unterschiedlichen Bedingungen stattfanden, wiesen ihre Verläufe bemerkenswerte Parallelen auf. Ein besonders häufig wiederkehrendes Muster: In spekulativen Preisblasen wird immer wieder die Behauptung ausgerufen, dass ökonomische Gesetze in dieser speziellen Situation nicht mehr gelten würden, da sich die Rahmenbedingungen geändert hätten.

Eine Dynamik, die einem bekannt vorkommt: 1997 konnte Asien angeblich nicht in Schieflage geraten, weil es billige Arbeitskräfte und hohes Wachstum hatte. 1998 wurde dem Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM) Unfehlbarkeit unterstellt, weil zwei Nobelpreisträger daran beteiligt waren. Die Dotcoms der Jahrtausendwende waren die vermeintlich neue Zeitrechnung und in der Internetökonomie würden ohnehin neue Regeln gelten, tönten damals viele Analysten. Lehman schien too big to fail und US-Hypotheken galten als absolut sicher, weil es nie zuvor einen landesweiten Absturz der Immobilienpreise gegeben hatte. Bei all diesen Krisen gingen Menschen davon aus, die bisherigen ökonomischen Grundannahmen seien überholt und ungehemmtes Schuldenmachen das Gebot der Stunde. Es gebe keinen Grund zur Sorge und keinen Grund für Reformen. Wir sind doch ein reiches Land, könnte sich Bundesministerin Bärbel Bas in diesen Chor einreihen und Jean-Claude Juncker wüsste beizutragen, dass Frankreich eben Frankreich ist.

Erschreckend, wie naiv wir ökonomische Debatten führen und wesentliche Fakten ignorieren. Statt heute erneut in diese gefährlichen Muster zu verfallen, sollten wir uns vor Augen führen, wie die Folgen der jüngsten dieser Fehlannahmen uns bis heute in unterschiedlichen Facetten begegnen. Nach der Finanz- und Eurokrise und der gewaltigen Intervention der Zentralbanken herrschte die wahnwitzige Annahme, dass man für immer an der Nullzinsgrenze bleiben würde. Keynesianische Ökonomen wie Paul Krugman erklärten, dass Schulden dauerhaft kostenlos seien und Staaten deshalb einfach Kredite aufnehmen statt Reformen durchführen sollten.  Auch in Deutschland gab es Anhänger dieses Irrwegs. So warb etwa Robert Habeck noch 2021 – obwohl die Inflation bereits Fahrt aufnahm – für einen kräftigen Schuldenkurs, da, so Habeck, „die Zinsen seit Jahren extrem niedrig oder gar negativ sind und es auf absehbare Zeit sein werden, so dass der Staat dafür, dass er sich Geld leiht, faktisch nichts zahlt.“ Ups, falsch gedacht – kurz nach dieser Aussage kam es dann zur Zinswende.

Eine solche Wette ist stets hochriskant und sie geht nur so lange gut, wie der Zinssatz auf die Staatsschuld niedriger ist als die Wachstumsrate der Wirtschaft (auf Basis des BIP). In dem Moment, in dem sich dieses Verhältnis umdreht, machen sich die hohen Schulden in Verbindung mit den versäumten Reformen schnell und unangenehm bemerkbar. Die Politik verschätzt sich regelmäßig bei beiden dieser Kennzahlen. So sehen wir zum einen bereits wieder höhere Zinssätze, die sich gleich auf zwei Wegen in den Bundeshaushalt fressen. Denn sie betreffen sowohl die Finanzierung des laufenden Defizits als auch die Anschlussfinanzierung für auslaufende Anleihen, die in den Jahren mit Null- und Negativzinsen ausgegeben wurden. Als Folge werden sich in Deutschland die Ausgaben für den Schuldendienst in den nächsten Jahren verdoppeln. Bis zum Ende der Legislatur werden Zinsausgaben den drittgrößten Posten im Bundeshaushalt darstellen und allein 2029 über 72 Milliarden Euro verschlingen – zu Lasten der Gestaltungsspielräume für Zukunftsausgaben.

Zum anderen liegt die Politik auch bei der Wachstumswirkung von politischen Programmen regelmäßig daneben und überschätzt den Multiplikatoreffekt zusätzlicher Schulden massiv. Das ausgebliebene „grüne Wirtschaftswunder“ in Deutschland ist ebenso ein Beleg dafür, wie der gewaltige EU-Next Generation Fonds. Von den 750 Milliarden Euro hat allein Italien knapp 200 Milliarden erhalten. Die dortige Administration konnte dieses Volumen jedoch gar nicht bewältigen und die Summen ausgeben.

Ökonomische Gesetze werden auch in Zukunft Bestand haben. Doch es vollziehen sich in der Tat gerade viele Änderungen der Rahmenbedingungen. Diese sollten jedoch Anlass für mehr Reformeifer und finanzpolitische Nachhaltigkeit sein, nicht für weniger. Bislang war die Dynamik im Euroraum so, dass wenn die Risikoprämien in Ländern wie etwa Griechenland oder Italien stiegen, sie in Deutschland im Gleichschritt fielen, da Anleger Bundesanleihen als sicheren Hafen ansteuerten. Diese Safe-Haven-Flows wären heute bei einer weiteren Zuspitzung der französischen Haushalts- und Schuldenkrise keineswegs sicher. Deutschlands eigene Schuldenpläne kombiniert mit der verfestigten Wachstumsschwäche haben dafür gesorgt, dass Anleger für zehnjährige Bundesanleihen heute bereits 60 Basispunkte mehr als noch Ende letzten Jahres verlangen. Diese Entwicklungen sind keineswegs nur für den Bundeshaushalt relevant, denn die Rendite von Staatsanleihen gelten als Untergrenze für die Rendite bei Unternehmensanleihen. Konkret heißt das, wenn der Staat höhere Risikoprämien zahlen muss, steigen die Kosten für private und staatliche Investitionen.

Abzusehen ist, dass die Situation in Frankreich die Diskussionen über neue EU-Schuldentöpfe noch zusätzlich anfachen wird. Ein durch Eurobonds finanzierter EU-Verteidigungsfonds nimmt bereits Konturen an, der französische Ökonom und ehemalige IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard schlägt zudem unter dem Begriff „Blue Bonds" vor, dass die EU-Staaten einen begrenzten Anteil ihrer nationalen Anleihen durch gemeinsame europäische Wertpapiere ersetzen und auch die europäische Nutzung von Mortgage Backed Securities, hypothekenbesicherte Wertpapiere, macht die Runde. Auch die EZB steht mit ihrem Transmission Protection Instrument bereit, obwohl sie eigentlich nicht zur Stützung eingreifen darf, da gegen Frankreich aktuell ein europäisches Defizitverfahren läuft. Alle diese Maßnahmen wären jedoch nur eine weitere Strophe des bekannten „This time is different“-Liedes, mit langfristig ebenso dramatischen wie verheerenden Folgen. Viel wichtiger ist es, einen entschlossenen marktwirtschaftlichen Kurswechsel einzuleiten, der langfristig die Basis für mehr Wachstum und neuen Wohlstand schafft.

 

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