Standpunkt 10.07.2025
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Standpunkt Steiger: Wie das Bürgergeld eine wichtige Synthese sprengt

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger


Die Erfahrungen mit dem Bürgergeld sind fatal. Es hat weder eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration noch die soziale Teilhabe gefördert. Dafür hat es zu erheblichen Belastungen der Steuerzahler und schwerwiegenden Begleiterscheinungen geführt. Sozialleistungsmissbrauch nimmt inakzeptable Formen und Dimensionen an: Mehrfachanmeldungen, fingierte Familienverhältnisse und ausbeuterische Scheinarbeitsverhältnisse, die Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland locken – Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas sprach in diesem Zusammenhang sogar von „mafiösen Strukturen“. Weil Menschen wenig überraschend auf ökonomische Anreize reagieren und die Kombination aus Bürgergeld und Schwarzarbeit in diesem fehlgeleiteten System besonders reizvoll ist, steigt auch das Volumen an Schwarzarbeit im Jahr 2024 in Deutschland auf das Rekordvolumen von unfassbaren 511 Milliarden Euro an. Auch der hohe Anteil von Migranten im Sozialleistungsbezug zeugt von völlig falschen Anreizstrukturen.

Da kein Sozialsystem diese Ungleichgewichte dauerhaft tragen kann, kündigt der Koalitionsvertrag nun „eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende“ an. CDU-Generalsekretär Dr. Carsten Linnemann fordert in diesem Kontext, dass jemand, der arbeitsfähig ist und trotzdem wiederholt eine zumutbare Tätigkeit ablehnt, künftig kein Bürgergeld mehr erhalten soll, da er offenbar nicht bedürftig ist. „Herzlos“, „sozialer Sprengstoff“, „mit der Wahrung der menschlichen Würde unvereinbar“, „Kurs der menschlichen Kälte“ schallt es reflexartig zurück – in diesem Fall vom GRÜNEN-Obmann im Arbeits- und Sozialausschuss des Deutschen Bundestages. Doch das hinter dieser Empörungswelle stehende Verständnis von einem Sozialstaat ist nicht nur respektlos gegenüber der Mehrheit, es verzerrt auch grundlegende Zusammenhänge und Fundamente unserer Gesellschaftsordnung. Denn es ist keineswegs so wie  dargestellt, dass die Abkehr vom Bürgergeld einen Bruch mit etablierten und anerkannten Prinzipien bedeutet. Im Gegenteil, vielmehr war es die Bürgergeldreform selbst, die den Charakter der Grundsicherung verändert hat – weg von der dem Subsidiaritätsprinzip entsprechenden temporären Hilfe zur Selbsthilfe hin zu einem bedingungs- und leistungslosen Grundeinkommen. Damit ist ein für das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft erforderliches Gleichgewicht nicht mehr gegeben und wir brauchen uns nicht wundern, wo denn eigentlich Leistungsbereitschaft, Aufstiegswille und Fortschrittsglaube geblieben sind.  

Es war gerade das zentrale Anliegen von Erhards Sozialer Marktwirtschaft, Wirtschafts- und Sozialpolitik in einer Synthese zu verbinden, um die Folgen umverteilender Sozialpolitik zu vermeiden. Seine Lösung besteht in einer Wirtschaftsordnung, in der jeder einzelne die Chance hat, seine Lebensumstände in eigener Verantwortung zu gestalten. Grundlegend für das Gelingen dieser Ordnungspolitik sind die Prinzipien von Subsidiarität und Solidarität. Solidarität heißt, Menschen in Not müssen auf Hilfe zählen können. Hierfür besteht bis heute ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Diese Hilfe ist aber eben nicht bedingungslos, sondern dem Hilfeempfänger wird im Gegenzug das Bemühen abverlangt, die Hilfsbedürftigkeit schnellstmöglich zu beenden. Subsidiarität ist also die andere Seite dieser Medaille und bedeutet, wer sich selbst helfen kann, muss das auch tun. Auch darüber besteht in Sonntagsreden Einvernehmen. Erhard hat stets betont, dass  Solidarleistungen nur dort gewährt und eingefordert werden können, wo das Subsidiaritätsprinzip als unbedingt gültig anerkannt wird. Doch genau diese Reziprozität von Solidarität und Subsidiarität wird durch das Bürgergeld massiv geschwächt und das Subsidiaritätsprinzip verkommt augenscheinlich zur Phrase, wenn die Verantwortung des Einzelnen auf Kollektive übertragen wird. 

Das Bürgergeld ist Ausdruck eines vollkommen anderen Grundverständnisses und behandelt Sozialpolitik in erster Linie unter moralischen Vorzeichen. Die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit wird als Verteilungsgerechtigkeit bestimmt und meist mit Hinweis auf die Demokratie begründet. Die Bürger einer demokratischen Gesellschaft hätten das Recht, die Einkommensverteilung gemäß ihren gemeinsamen Wertvorstellungen umzugestalten und dabei zugunsten der sozialen Gerechtigkeit auch bewusst auf Effizienzsteigerungen zu verzichten. Sozialpolitik wird in dieser Lesart zum Exekutor ethischer Ziele. Das entzieht Erhards Synthese ihrer Grundlage, denn die Sozialpolitik folgt nun einer völlig anderen Logik als die Wirtschaftspolitik. Sozialpolitik erscheint dann geradezu als Inbegriff des Vorrangs der Demokratie vor der Marktwirtschaft, der Orientierung an Wertvorstellungen vor dem vermeintlich bloßen Effizienzdenkens. Wer so argumentiert, muss praktischerweise nie nach den Folgen sozialpolitischer Regelungen für die Produktivitäts- und Standortfaktoren einer Volkswirtschaft fragen. Er schädigt jedoch zwangsläufig die Kräfte, die für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unverzichtbar sind und lässt am Ende sogar die Marktwirtschaft degenerieren.

Um es klar zu sagen: Eine solche Denkweise reißt den Zusammenhang auseinander, den die Väter der Sozialen Marktwirtschaft zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, zwischen Marktwirtschaft und Demokratie hergestellt haben. Die Welt des vermeintlich moralisch anspruchsvollen solidarischen Ausgleichs einerseits und die angeblich egoistische Welt des Marktes andererseits fallen konzeptionell auseinander.  Das absurde Ergebnis: Die Instanz, die die Umverteilung von Wertschöpfung organisiert – also der Staat –, wird als moralisch höherwertig angesehen, als diejenigen, die die Wertschöpfung schaffen und damit die Umverteilung überhaupt erst ermöglichen, – also die Unternehmer.

Damit gerät auch eine der großen kulturellen Leistungen der Sozialen Marktwirtschaft in Gefahr – die Fähigkeit eine wichtige mehrdimensionale Spannung zu halten. Während aus unterschiedlichen Neigungen und unterschiedlicher Leistungsbereitschaft auch unterschiedliche ökonomische Erfolge – und damit wirtschaftliche Ungleichheit – erwächst, basiert unser demokratisches System auf der politischen Gleichheit der Bürger. Hier spiegelt sich das christliche Menschenbild wider, das einerseits von der gleichen Würde aller Menschen ausgeht, andererseits jeden Einzelnen verpflichtet, individuelle Begabungen und Talente einzubringen, wodurch unweigerlich Ungleichheit entsteht.

Wie sehr sich das Bild von dem gewandelt hat, was als „sozial“ oder „moralisch“ angesehen wird, lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen. Pastor Friedrich von Bodelschwingh gründete vor über hundert Jahren Arbeiterkolonien für Obdachlose. Er hielt milde Gaben für eine Entwürdigung des Menschen und sah in der Integration in die Gesellschaft durch Arbeit ein wesentliches Ziel seines Wirkens. Sein Leitspruch „Arbeit statt Almosen“ kann als geistiger Vorgänger der Praxis des „Förderns und Forderns“ verstanden werden. Heute würde sich Pastor von Bodelschwingh wohl von Linken und Grünen Politikern dem Vorwurf der sozialen Kälte ausgesetzt sehen. Mittlerweile gilt vielmehr derjenige als sozial, der einen Mindestlohn von 15 Euro fordert. Dass die Menschen, deren Arbeitskraft einen solchen Lohn nicht hergibt, aus dem Arbeitsmarkt ausgesperrt würden und sie stattdessen vollständig auf staatliche Zuwendungen angewiesen wären, spielt kaum noch eine Rolle.

Umso besorgniserregender ist es, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende im aktuellen Haushaltsentwurf mit einer neuen Rekordsumme von 52 Milliarden Euro eingestellt ist und die zuständige Bundesministerin Bärbel Bas, die Reformperspektiven bislang auf die Begrifflichkeit begrenzt hat. „Ich kann den Begriff Bürgergeld abschaffen. Das Wort dafür ist schließlich erst mal egal.“ Eine effektive Grundsicherung muss weitergehen – sie hilft denen, die Hilfe brauchen und fordert wieder gleichzeitig das Bemühen ein, künftig ohne Hilfe auszukommen. Vor allem hört sie damit auf, Wirtschafts- und Sozialpolitik als Gegenpaare darzustellen. Auch wenn es Frau Bas nicht hören will, eine leistungsfähige Sozialpolitik braucht vor allem eine leistungsfähige Wirtschaft. 


  








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