Standpunkt 03.07.2025
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Standpunkt Steiger: Wie schöpferisch wird die Zerstörung?

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger


Der renommierte Politikwissenschaftler Herfried Münkler nennt den sich gerade vollziehenden geopolitischen Wandel „Welt in Aufruhr“. Sundar Pichai, CEO von Alphabet, prognostiziert, dass die Auswirkungen, die die Künstliche Intelligenz auf die Menschheit haben könnte, "tiefgreifender sind als Elektrizität oder Feuer". Es ist also keine Frage, ob wir vor grundlegenden Umbrüchen stehen, sondern nur, wie wir damit umgehen. Dabei gilt es, sich bewusst zu machen: Für keine Volkswirtschaft gibt es eine Garantie, dass sie ihre erworbene Position in der Weltwirtschaft und ihr Wohlstandsniveau auch künftig erhalten wird. Umso wichtiger ist es, aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre zu lernen.

Der große Ökonom Joseph Schumpeter zeigte bereits 1942 auf, dass wirtschaftlicher und technischer Fortschritt mit „schöpferischer Zerstörung“ einhergeht. Das ist ein integraler Bestandteil der Marktwirtschaft - altes muss verschwinden, damit neues entstehen kann. Diese Einsicht gilt in einer Zeit, in der Wissen immer schneller veraltet und technologische Entwicklungen immer rasanter verlaufen, umso mehr. Zwischen den Erfindungen wie der Landwirtschaft, der Schrift und dem Rad lagen noch jeweils mehrere tausend Jahre. Heute erleben Generationen, dass Technologien, die in ihrer Jugend unvorstellbar waren, später im Leben alltäglich werden.

Die dazugehörige ordnungspolitische Aufgabe heißt: Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und einzelne Bürger zu befähigen, sich auf Entwicklungen in der Zukunft einzustellen und für die Rahmenbedingungen zum Mithalten und Mitmachen zu sorgen. Gerade die stürmischen Veränderungen der Gegenwart geben dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft einen neuen Reiz. Denn ähnlich wie heute war auch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der die Väter der Sozialen Marktwirtschaft geprägt wurden, eine Zeit grundlegender Umbrüche, die die Koordinaten des Lebens radikal verändert haben.

Selbstverständlich kann und muss sich Politik auf Megatrends einstellen. Sie ist zuletzt aber dem völligen Irrweg verfallen, die Zukunft en détail voraussehen und programmieren zu wollen. Auch Robert Habeck bezog sich mit seiner Transformation und dirigistischen Klimapolitik auf Schumpeter. Doch Schumpeter sprach von „schöpferischen Zerstörung“ durch den Markt in Form von Wettbewerb. Staatliche Zwangsmaßnahmen, strikte Technologievorhaben und willkürliche Subventionen sind das Gegenteil von Wettbewerb. Das Ergebnis von Habecks Transformation war entsprechend nicht schöpferisch, sondern „ideologische Zerstörung“ (etwa der Kernkraftwerke). Diese ist aber eben nicht innovativ und aus ihr geht auch nichts neues hervor. Auch Annalena Baerbock schwang die Peitsche des Mangels: „Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber“. Es ist zwar richtig, dass sich Knappheit in der Menschheitsgeschichte tatsächlich häufig als ökonomische Triebkraft erwiesen hat. Aber eben nur, wenn auch zeitgleich eine wichtige Nebenbedingung erfüllt war. Und zwar wenn Ideen, Konzepte und Problemlösungen sich auch frei von Ideologie im Wettbewerb durchsetzen konnten und so in einem Entdeckungsverfahren der Weg gefunden wurde, der am besten zur Zielerreichung geeignet ist. Die Weltgeschichte ist aber auch voll von Beispielen, die zeigen, wie ideologische Irrungen dazu führen, dass Knappheit eben nicht Innovationen beflügeln, sondern erst zu wirtschaftlichem Siechtum und dann zu politischem Untergang führen – man denke an die Sowjetunion und ihre politischen Bruderstaaten.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wer sich anmaßt zu wissen, welche Verbote zu welchen Innovationen führen, und auf dieser Basis dann eine künstliche Verknappung von Chancen und Handlungsräumen herbeiführt, begeht nichts anderes als wirtschaftlichen Selbstmord. Wir moralisieren uns damit aus wichtigen Zukunftsfeldern, wir preisen uns durch selbst gewählte Verknappung aus Märkten, die für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zentral sind, und wir dilettieren uns aus bahnbrechenden Schlüssel-Technologien. Als Folge dieser Politik waren die Subventionen des Bundes im letzten Jahr fast 9-mal so hoch wie die Ausgaben des Bundes für Grundlagenforschung. Doch eine kritische Bewertung der Wirksamkeit staatlicher Ausgaben bleibt einfach aus. Und so wird die volkswirtschaftliche Rendite dieser staatlichen Förderpolitik weiterhin vergeblich gesucht. Umso kritischer ist es zu sehen, dass Bundesfinanzminister Lars Klingbeil nun ein „Modernisierungsschub“ verspricht, der dem Land bevorstehe und sich dabei ausschließlich auf die Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel bezieht.

Der Präsident des IfW-Kiel, Prof. Moritz Schularick hat es treffend auf den Punkt gebracht. „Der Staat ist zwar nicht gut darin, die Gewinner von morgen zu finden, aber ganz sicher finden die Verlierer von gestern den Staat.“ Anders ausgedrückt: Es nutzt dem letzten Hersteller von Kutschen nichts, wenn er vom Staat subventioniert wird, während die Menschen Automobile verlangen. Ressourcen werden nicht dort eingesetzt, wo sie ihre größte Produktivität erbringen. Für Ludwig Erhard war deshalb klar: „Nicht der Staat hat darüber zu entscheiden, wer am Markt obsiegen soll, aber auch nicht eine unternehmerische Organisation wie ein Kartell, sondern ausschließlich der Verbraucher.“ Deshalb sind Reformen so notwendig, die Freiräume für Bürger und Unternehmen schaffen, auf heute noch nicht erkennbare Entwicklungen offensiv und flexibel reagieren zu können. Eine daraus abgeleitete Wirtschaftspolitik fokussiert sich nicht auf dirigistisch bestimmte Sollstrukturen, sondern stärkt die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Markterfordernisse und Rahmenbedingungen. Wenn die neue Bundesregierung dies nicht beherzigt, wird Deutschland erhebliche Wohlstandsverluste erleiden.

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