Standpunkt Steiger: Wirtschaftspolitik - Endlich Auswirkungen statt gute Absichten in den Fokus nehmen
Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
Im August letzten Jahres fragte der einflussreiche „Economist“ in einer Titelgeschichte „ Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?“. Ein halbes Jahr später ist das Fragezeichen für ausländische Beobachter gewichen. In einem aktuellen Leitartikel stellt Bloomberg kühl und schlicht fest „Deutschlands Tage als industrielle Supermacht sind gezählt“. Ereignis statt Trend, Gewissheit statt Gefahr! Bundeswirtschaftsminister Habeck konterte damals den Economist-Artikel noch selbstbewusst mit einer Gegendarstellung - er versprach erheblich sinkende Strompreise, kündigte unmittelbar bevorstehende Großinvestitionen zahlreicher Unternehmen in Deutschland an, stellte einen entschlossenen Bürokratieabbau in Aussicht und führte sogar den Begriff „Deutschlandtempo“ ins Englische ein.
Was ist aus diesen Versprechungen geworden? Die von Habeck unlängst vorgestellte Kraftwerkstrategie lässt nicht im Ansatz erkennen, wie Deutschland in der Energieversorgung gegenüber anderen Weltregionen wieder wettbewerbsfähiger werden kann. Im Gegenteil: Sie zementiert auch künftig viel zu hohe Preise. Die Schere zwischen stark gestiegenen Abfluss von deutschem Investitionskapital und ausbleibenden ausländischen Direktinvestitionen klafft immer weiter auseinander und zeigt in schonungsloser Eindeutigkeit, dass die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland erodiert. 2023 betrug der Nettokapitalabfluss zum dritten Mal in Folge mehr als 100 Milliarden Euro. 300 Milliarden Euro die ein Fragezeichen unnötig werden lassen. Und wer den Bürokratie-Abbau predigt und die Konjunktur beleben will, wirkt unglaubwürdig, wenn er zeitgleich ständig an anderer Stelle die Auflagen erhöht. Genau das wäre mit der EU-Lieferkettenrichtlinie geschehen. Dieses Vorhaben mag fraglos richtige und wichtige Intentionen haben, aber durch das Aufschreiben von hehren Zielen, sind diese keineswegs bereits erreicht. Die EU-Richtlinie weist eklatante handwerkliche Mängel auf, die nicht nur zu einem kaum stemmbaren Mehraufwand gerade für mittelständische Unternehmen führen würden, sondern zusätzlich die Gefahr bergen, dass sich deutsche und europäische Unternehmen aus Märkten zurückziehen und andere Akteure mit deutlich niedrigeren Standards den Platz einnehmen würden.
Es ist deshalb folgerichtig, dass neben anderen EU-Staaten auch die FDP hier die Notbremse gezogen hat. Wirtschaftspolitische Maßnahmen gilt es endlich wieder anhand ihrer konkreten Auswirkungen zu beurteilen, nicht nur anhand ihrer vermeintlich guten Absichten. Wir sollten die Offenheit haben, auch andere wirtschaftspolitische Weichenstellungen der letzten Jahre durch diese Brille zu betrachten und zu hinterfragen. Denn hier sind massive Fehler gemacht worden. „Wenn die Grünen vernünftig wären, würden sie die Atomenergie vorziehen, “ rät etwa Physik-Nobelpreisträger Steven Chu Deutschland dazu, dringend, seine Entscheidungen zu überdenken. Vernunft ist doch kein schlechtes Leitmotiv. Auch Top-Ökonom Gabriel Felbermayr kritisiert nicht umsetzbare Vorgaben: „Ich bezweifle, dass das Verbrenner-Verbot in seiner heutigen Form halten wird.“ Oder schauen wir auf das Energieeffizienzgesetz, das ifo-Präsident Clemens Fuest einen „Wachstumskiller“ nennt. Um den Energieverbrauch auf den vorgegeben Zielwert zu senken, müsste die Energieeffizienz entweder in vollkommen unrealistischem Tempo wachsen oder die Wirtschaft um 14 Prozent schrumpfen. Wieso beschließen wir solche Gesetze?
In den USA konnte man vor einigen Jahren mit dem Slogan „It‘s the economy, stupid“ Wahlen gewinnen. Wollen wir dem immer offensichtlicheren Vertrauensverlust entgegenwirken, müssen auch in Deutschland die Rahmenbedingungen für einen starken Wirtschaftsstandort wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte rücken. Der erste Schritt scheint gemacht. Sowohl Finanzminister Lindner als auch Wirtschaftsminister Habeck haben in den letzten Tagen offen ausgesprochen, dass es um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland schlecht bestellt sei. Doch leider stehen dieser einheitlichen Diagnose weiterhin grundverschiedene Therapieansätze gegenüber.