Cookie-Einstellungen

Standpunkt 10.10.2024
Drucken

Standpunkt Steiger: Wettbewerbsfähiger wird man durch mehr Wettbewerb, nicht durch Strafzölle

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Die EU hat trotz des deutschen Widerspruchs Strafzölle auf chinesische Elektroautos beschlossen. Das ist aus mehreren Gründen ein fatales Signal. Hier wird auf fragwürdiger Basis gegen das ausdrückliche Votum des stärksten und wichtigsten Automobilstandortes in Europa eine folgenschwere Entscheidung getroffen und zu Maßnahmen gegriffen, die vollkommen ungeeignet sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Im Gegenteil: Eine Studie des Internationalen Währungsfonds belegt, der Schutz der heimischen Industrie ist ein Rezept für Stagnation, nicht für Wachstum. Doch ein viel grundsätzlicheres Problem wird sichtbar. Das durchgängige Signum unserer Zeit ist die umfassende Beschleunigung der Veränderung. Es geht um die Frage, ob Europa in der sich neu herausbildenden Weltordnung ein relevanter, gestaltender Akteur oder eine vernachlässigende Größe sein wird. Umso dramatischer ist es, dass die EU als Antwort auf die tektonischen Plattenverschiebungen den Kurs einer schlechten Wirtschaftspolitik einschlägt.

Zunächst erstaunt es, dass es häufig heißt, eine Mehrheit der EU-Staaten habe für Strafzölle gestimmt. Das ist falsch. Neben Deutschland stimmten vier weitere Staaten dagegen, 12 Staaten enthielten sich. Eine Mehrheit von 17 Staaten hat also gar nicht für die Zölle gestimmt, demgegenüber haben sich nur zehn Staaten offen für die Verhängung der Strafmaßnahmen ausgesprochen. Doch um die Pläne zu stoppen, wären 15 explizite Gegenstimmen, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, notwendig gewesen. Diese wurden zwar nicht erreicht, doch bildet das Ergebnis keineswegs eine überzeugende Grundlage, um einen weitreichenden und schädlichen Handelsstreit zu riskieren.

Hinzu kommt, dass es innerhalb der EU-Staaten stark unterschiedliche Perspektiven und Interessen gibt. Die chinesischen Fahrzeuge konkurrieren in erster Linie mit französischen und italienischen Marken in den unteren und mittleren Preissegmenten, deutlich weniger dagegen mit den deutschen Anbietern der Oberklasse. Die französischen Produzenten können in China - im Kontrast zu den deutschen Unternehmen – nur geringe Marktanteile aufweisen und betreiben dort auch kaum Fabriken. Entsprechend wären sie von möglichen Gegenmaßnahmen auch nur sehr unwesentlich betroffen.

Natürlich darf Europa nicht naiv sein. Es ist unstrittig, dass China die heimischen Anbieter mit massiven Subventionen unterstützt. Doch Strafzölle lösen keine Probleme, sie führen in protektionistische Wettläufe. Ludwig Erhard hat die Dynamik bildhaft beschrieben: „Es ist genau so, als ob ein Klub erwachsener Männer zusammenkäme und jeder versuchte, sich vor den anderen an den eigenen Haaren hervorzuheben. Das muss scheitern!“ Der potenzielle Schaden des Instruments ist dann schnell höher als der mögliche Nutzen. 

Bei Subventionen zur Verbesserung der Wettbewerbssituation sind zudem auch die europäischen Staaten keineswegs Waisenknaben. Trotz Haushaltsloch gibt etwa die Bundesregierung mehr Geld für Subventionen aus als jemals zuvor – laut des IfW Kiel erreichten die staatlichen Subventionen in Deutschland ein schwindelerregendes Niveau von 8,8 Prozent des BIP.  Vor allem widersprechen protektionistische Maßnahmen wie Strafzölle, eine überzogene Industriepolitik oder Importquoten einer liberalen Marktwirtschaft und damit dem Kerngedanken der Europäischen Union.

Am Anfang der heutigen EU stand das Ziel, eine Freihandelszone zu schaffen, die die produktiven Kräfte der Märkte zum Wohle der Menschen nutzbar macht.  Markt, Wettbewerb und Subsidiarität waren die Triebfedern, die Europa wirtschaftlich stark gemacht haben. Heute befinden wir uns jedoch in einer Phase, die Herfried Münkler treffend „Wandel der Weltordnung“ nennt.  Die bis vor kurzem dominante Vorstellung, dass sich das westliche Politikmodell samt wertpolitischer Unterfütterung, global durchsetzen werde, hat sich innerhalb kurzer Zeit in nichts aufgelöst. Das hat Konsequenzen. Der US-Politikwissenschaftler Edward Luttwak hat schon in den 90er Jahren eine Entwicklung prognostiziert, in der sich die kooperative Logik des internationalen Handels mit der Konfliktlogik der Geopolitik vermischt. Luttwak nannte dies „Geoökonomik“. Doch Vorsicht: Die Logik des Konfliktes verführt schnell zu einer schlechten Wirtschaftspolitik. Und so wächst in der EU unübersehbar eine protektionistische und dirigistische Grundeinstellung. 

Der Letta-Report, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron und zuletzt Mario Draghi forderten zwar alle die Wettbewerbsfähigkeit und die Stärkung des Binnenmarktes in den Mittelpunkt zu stellen, ihre Rezepte passen aber rein gar nicht dazu. Staatliche Industriepolitik steht im Fokus, strategische Schlüsselsektoren und zukunftsträchtige Technologien sollen gefördert, europäische Champions geschaffen werden – natürlich mit der großen Bazooka schuldenfinanzierter EU-Fonds. Abschottung, Staat, Plan und Zentralisierung gewinnen an Boden. 

Mit diesem Kurs wird Europa nicht seine Wirtschaftskraft und damit auch nicht sein geopolitisches Gewicht erhalten können. Stattdessen sollte die Politik auf Deregulierung, Technologieoffenheit und eine Verbesserung der Standortbedingungen vor Ort setzen. Da ist viel Luft nach oben, bei dem Verbrennerverbot und der Überprüfung der Flottengrenzwerte angefangen. Ebenso gilt es sich die Frage zu stellen, wie es sein kann, dass seit 2008 jedes Dritte europäische Einhorn (Start-ups, dessen Wert auf über 1 Milliarde Dollar gestiegen ist) seinen Unternehmenssitz ins Ausland verlegt hat.

Europa braucht den Systemwettbewerb nicht zu fürchten. Es ist weiterhin ein wirtschaftliches Kraftzentrum, das noch über riesiges Potential verfügt. Zudem sind in kaum einer Region der Welt sind so viele Menschen so frei, ihr Leben so zu führen, wie sie es wollen. Diese Stärken gilt es wieder auszubauen. Gerade in einer Phase, in der weltweit Protektionismus und nationale Abschottung auf dem Vormarsch sind, muss Europa ein spürbares Gegengewicht bilden und die aktuellen Auseinandersetzungen als Chance begreifen, für eine weitere Liberalisierung des Welthandels einzutreten und dessen Vorteile noch stärker als bislang zu nutzen. Doch Strafzölle machen China nicht marktwirtschaftlicher, sondern die EU interventionistischer.