Standpunkt Steiger: Auf den Schultern von Riesen
„Wir kommen aus unterschiedlichen Denkschulen“, erklärte Ricarda Lang unlängst die Abweichungen zwischen ihrem und Bundesfinanzminister Christian Lindners wirtschaftspolitischem Weltbild. Das ist ein beachtlicher Euphemismus. Eine Denktradition bedeutet gemäß der alten Devise abendländischer Wissenschaftstradition, dass sie als „Zwerge auf den Schultern von Riesen“ stehen. Doch wir haben die erfolgreichen und bewährten Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft eingetauscht gegen ein wirtschaftspolitisches Leitbild ohne geistigen Unterbau. Die sogenannte sozial-ökologische Marktwirtschaft ist ein Wieselwort ohne jede Art von ökonomischem Fundament. Sie steht nicht auf den Schultern von Riesen, sondern auf unsicherem Grund. Dieses angebliche wirtschaftspolitische Leitmotiv taugt bestenfalls als Manifest, nicht als ökonomische Theorie.
Es ist geradezu absurd, sich zu ökonomischen Fragen zu äußern, ohne die Riesen des Faches verstanden zu haben – denn ansonsten sind wir gezwungen, die Fehler der Vergangenheit permanent zu wiederholen. Dass Ricarda Lang hier gewaltigen Nachholbedarf besitzt, zeigt etwa ihr unfassbares Unverständnis der Sozialen Marktwirtschaft, das sie vor der letzten Bundestagswahl so formulierte: „Die Soziale Marktwirtschaft beruht auf drei unausgesprochenen Voraussetzungen. Der unbezahlten Arbeit von Frauen, der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Ausbeutung von großen Teilen der Welt, die bei dem kapitalistischen Glücksversprechen nicht mitbedacht wurden.“
Nur mit diesem völligen Zerrbild lässt sich auch erklären, dass die Grünen bei ihrer Fraktionsklausur vergangene Woche gegen jede wirtschaftliche Vernunft beschlossen haben, die Einrichtung eines wundersamen und geradezu allmächtigen Investitionsfonds zu fordern. Was genau gefordert wird, bleibt allerdings unklar. Mal wird im Text von einem großen Sondervermögen gesprochen, mal von einer Reform der Schuldenbremse, die es allgemein erlaubt, künftig öffentliche Investitionen über Kredite zu finanzieren. Auch über das Volumen wird geschwiegen. Verschiedene Äußerungen deuten darauf hin, dass die gedanklichen Kategorien sich bei 500 Milliarden Euro aufwärts bewegen.
„Pünktliche Bahn, moderne Schulen, Unnabhängigkeit von Despoten, ausgezeichnete Verkehrs- und Digitalinfrastruktur, bezahlbare, sanierte Wohnungen, Schwimmbäder, Turnhallen und Sportplätze in jedem Landkreis. All das ist möglich, wenn wir uns trauen, die (…) Mittel für die nötigen Investitionen – privat wie öffentlich – zu mobilisieren, “ heißt es vollmundig in dem Beschlusstext. Einzig die lästigen Schuldenregeln stehen also der völligen Glückseligkeit entgegen. Die Forderung muss man sich einmal vergegenwärtigen: Wir haben den Bürgern und Unternehmen noch nie so viel Steuern und Abgaben abgenommen wie heute. Diese höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten nutzen wir dann, um die höchsten konsumtiven Ausgaben in unserer Geschichte vorzunehmen, uns den größten Sozialstaat, den Deutschland je hatte, zu leisten und auch noch die höchsten Subventionen zu zahlen. Aber die Schuldenbremse ist anschließend schuld, dass zu wenig investiert wurde. Hier hat man es offensichtlich mit einer politischen Prioritätensetzung zu tun, nicht mit einem fehlenden finanziellen Spielraum.
Mit der Forderung nach einem solchen Investitionsfonds betreiben die Grünen eine Politik nach dem Motto: „Als wir merkten, dass wir in die falsche Richtung liefen, verdoppelten wir das Tempo.“ Es fehlt nicht an staatlichem Geld und Interventionen, sondern an guten Rahmenbedingungen. Der vorgeschlagene Investitionsfonds ist der Versuch, sich vor einer mühsamen Prioritätensetzung zu drücken und eine anstrengende Standortpolitik aufzuschieben. Gut, dass die Schuldenbremse den Staat zu einer effizienteren Wirtschaftspolitik zwingt.