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06.11.2025
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Cybersouveränität jetzt stärken – Deutschland braucht eine klare und vernetzte Sicherheitsarchitektur

Deutschland braucht eine zentrale Stelle für Cyberabwehr, die alle Akteure vernetzt, sowie geschulte Cyberreservisten und europäische Sicherheitstechnologie.
©Adobe Stock (FACTORY GRAPHICA)

Die wachsende Zahl und Komplexität internationaler Cyberangriffe zeigt: Deutschland muss seine digitale Verteidigungsfähigkeit grundlegend neu denken. Während die Bundesregierung derzeit an einem sogenannten Cyberabwehrstärkungsgesetz arbeitet, warnt die Bundesfachkommission Cybersicherheit des Wirtschaftsrates davor, die Chance auf eine kohärente nationale Sicherheitsarchitektur erneut zu vertun.

Cyberabwehr darf nicht an Zuständigkeitsgrenzen scheitern

Der jüngste Vorstoß von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), künftig auch Server im Ausland „lahmzulegen“, um laufende Cyberangriffe zu stoppen, hat die Debatte über aktive Cyber-abwehr neu entfacht. Doch die Diskussion zeigt vor allem eines: Deutschland leidet unter einem gefährlichen Zuständigkeitswirrwarr zwischen Innenministerium, Verteidigungsressort, Nachrichtendiensten und Ländern.

Die Fachkommission fordert daher eine ebenengerechte Konzentration und Bündelung von Verantwortlichkeiten. Ressortdenken und föderale Silostrukturen müssten endlich aufgebrochen werden. Statt wie bisher rechtfertigen zu müssen, warum Kompetenzen zentralisiert werden sollten, müsse künftig begründet werden, warum eine geteilte Verantwortung überhaupt noch sinn-voll ist. Nur so lässt sich eine schnelle und koordinierte Reaktion auf digitale Angriffe gewährleisten.

Ein gemeinsames Echtzeitlagebild für Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft

Kernforderung des Wirtschaftsrates ist der Aufbau eines Nationalen Cyber Defense Centers (NCDC) – einer echten Verteidigungsarchitektur, die Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in einem gemeinsamen Lagebild vereint. Dieses Zentrum soll Threat Intelligence, Härtung und Incident Response bündeln und in Echtzeit ein umfassendes Bild der nationalen Bedrohungslage liefern.

Nur durch eine institutionalisierte Zusammenarbeit aller relevanten Akteure kann Deutschland auf die zunehmend hybriden Angriffsmuster reagieren, die sich gezielt zwischen staatlicher und privater Verantwortung bewegen.

Cyber-Reserven und Bürgerbeteiligung: Ein nationales Sicherheitsökosystem

Darüber hinaus plädiert die Fachkommission für die Einführung eines Cybersecurity-Strangs inner-halb der Wehrpflicht und Reserve. Junge technische Talente sollen so gezielt für die nationale Cyberverteidigung ausgebildet und in bestehende Strukturen integriert werden.

Ergänzend dazu sollte der Gedanke eines „Cyberhilfswerks“ umgesetzt werden – eine Initiative, die Bürger befähigt, bei digitalen Krisen Unterstützung zu leisten, vergleichbar mit der Struktur des Technischen Hilfswerks.

Ein solches Konzept würde nicht nur die Wehrhaftigkeit Deutschlands stärken, sondern auch das Bewusstsein in der Gesellschaft für digitale Souveränität und Verantwortung schärfen.

Technologische Souveränität durch einen europäischen Zero-Trust-Stack

Cybersicherheit ist zugleich eine Frage europäischer technologischer Unabhängigkeit. Die Fachkommission fordert daher den Aufbau eines europäisch integrierten Zero-Trust-Stacks („Euro-Stack“) – als Rückgrat souveräner Sicherheitsarchitekturen.

Nationale und europäische Sicherheitslösungen müssen verbindlich miteinander verknüpft wer-den. Offene Schnittstellen, interoperable Architekturen und einheitliche Standards sollen sicher-stellen, dass deutsche und europäische Anbieter ihre Technologien nahtlos integrieren können – ohne Abhängigkeit von proprietären Systemen außereuropäischer Anbieter.

Darüber hinaus muss der Ausbau eines nationalen Sicherheitsökosystems gefördert werden, das auf vertrauenswürdige Endgeräte und souveräne Cloud-Infrastrukturen setzt. Nur so kann langfristig die Kontrolle über kritische Datenströme und Sicherheitsprozesse gewährleistet werden.

Politische Schlussfolgerung: Deutschland braucht eine Cyberstrategie der Souveränität

Die aktuelle Debatte über „Hackbacks“ und das Abschalten ausländischer Server verdeutlicht: Deutschland braucht keine Flickenteppiche von Zuständigkeiten, sondern eine integrierte Sicherheitsarchitektur – souverän, resilient und zukunftsfähig.

Ein Nationales Cyber Defense Center, gekoppelt mit klaren rechtlichen Rahmenbedingungen, einem europäischen Technologie-Stack und einer aktiven Bürgerbeteiligung, wäre der entscheidende Schritt in diese Richtung.

Die Bundesfachkommission Cybersicherheit des Wirtschaftsrates fordert daher ein Ende der politischen Symbolpolitik und den entschlossenen Aufbau einer Sicherheitsarchitektur, die den Anforderungen einer digitalen Zeitenwende gerecht wird.