Erfolgreiche Finanzmarktklausur 2023 in Berlin
Der Wirtschaftsrat hatte gestern zu seiner traditionellen Finanzmarktklausur nach Berlin geladen. Die Veranstaltung hat sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Plattform für strategische wie politische Leitlinien der Finanzmarktpolitik in Europa etabliert. Thematisch stand im Mittelpunkt: Wie meistern wir die geopolitischen Herausforderungen, eine hartnäckige Inflation, hohe Staatsschulden und bewältigen gleichzeitig nach multiplen Krisen die Digitalisierung und den Klimawandel in einem wirtschaftlich weiterhin schwierigen Umfeld? Setzen wir wieder auf die Soziale Marktwirtschaft oder führt der Weg in eine politisch gelenkte Industriepolitik? Diese Themen diskutierten hochkarätige Vertreter aus der Finanzwirtschaft, Politik, Ministerien und Wissenschaft.
„Meine Sorge ist, dass wir mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland, mit unserem Geschäftsmodell angesichts der Kumulation von Krisen und Themen an einen Kipppunkt kommen, wenn wir nicht entschieden gegensteuern. Der Ist-Zustand ist dramatisch: die Deindustrialisierung beschleunigst sich, im ZEW-Länderranking stehen wir so schlecht da wie noch nie auf Platz 18 von 21 Industrieländern. Bei der Steuerlast für Familienunternehmen rangiert Deutschland sogar auf dem vorletzten Platz – als Heimat der Hidden Champions. Ich appelliere an die Politik, jetzt zurückzukehren zur wirtschaftspolitischen Vernunft“, eröffnete Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates, die Veranstaltung.
Christian Sewing, Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Bank AG, setzte sich für die zügige Umsetzung der Kapitalmarktunion und eine Regulierung mit Augenmaß ein. Ohne deutlich mehr Kreditverbriefungen drohe Europas Banken ein gefährlicher Wettbewerbsnachteil, warnte Lutz Diederichs, CEO, BNP Paribas Deutschland und Vorsitzender der Bundesfachkommission Finanzmarkt- und Währungspolitik im Wirtschaftsrat.
Die Bafin sei mutiger geworden und gehe transparenter vor, auch wenn die Behörde noch nicht da stehe, wo sie stehen sollte, sagte Mark Branson, Präsident der der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, und beurteilte die gestiegenen Zinsen im Euroraum als große Herausforderung. Wie wichtig eine enge Zusammenarbeit des Vereinigten Königreiches mit Deutschland ist und dass führende Banken die beiderseitigen Möglichkeiten von Wachstum und Investionen diskutieren, betonte Andrew Griffith, City Minister & Economic Secretary to the Treasury, United Kingdom. Der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Dr. Jörg Kukies, stellte die große Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, gerade in der Zusammenarbeit von Finanzsektor und Realwirtschaft in den Mittelpunkt.
Dass die Geldpolitik die Wirtschaft dämpfen wird, weil wir es mit einer sehr hartnäckigen Inflationsentwicklung zu tun haben, ist sich Prof. Dr. Lars P. Feld, Persönlicher Beauftragter des Bundesministers der Finanzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie Direktor des Walter Eucken Instituts, sicher. Deutschland brauche eine restriktive Wirtschaftspolitik – aber definitiv ohne Steuererhöhungen, auch nicht in der Einkommensteuer. Diese sei auch eine Unternehmenssteuer.
Nicolo Sansalo, CEO der HSBC, sieht zähe politische Kompromisse in Europa voraus. Krisen könnten aber auch immer Chancen sein, motivierte er. So wie die Corona-Krise der Treiber für die Digitalisierung gewesen sei, sei die Energiekrise der Treiber für den Klimawandel. Wir sollten nicht den Glauben an unsere Stärken und Widerstandsfähigkeit in Europa verlieren.
Viele Befürworter einer neuen Schuldenpolitik in Deutschland und Europa sieht der parlamentarische Staatsekretär beim Bundesminister der Finanzen, Florian Toncar MdB. Mit dem derzeitigen Unternehmenssteuerecht sei man in Deutschland nicht wettbewerbsfähig. Der Kapitalmarkt stehe oben auf der Agenda des Bundesfinanzministeriums. „Wir begreifen den Kapitalmarkt als Teil der Lösung“, sagte Toncar. Eine Investition des Staates von einem Euro löse weitere neun Euro an privaten Investitionen aus. „Deshalb sollten wir nicht darüber nachdenken, wie wir aus einem Euro Staatsgeld 1,20 Euro machen, sondern wie wir die privaten Investitionen pro staatlichem Euro auf 10 oder 11 Euro steigern.“
Deutschlands Wohlstand und Wirtschaftskraft sei auf Basis der Sozialen Marktwirtschaft gewachsen und dieses Fundament müsse man wieder stärken, betonte Uwe Fröhlich, Co-Vorstandsvorsitzender der DZ Bank. In der Welt im digitalen Wandel werde sogar das Geld an sich neu gedacht. Die Bundesbank stecke mit ihrem Engagement im Projekt zum digitalen Euro mittendrin. Weniger Regulierung sei hier mehr, betonte Prof. Dr. Joachim Würmeling, Mitglied des Vorstands, Deutsche Bundesbank.
„Die Soziale Marktwirtschaft ist ein Konzept gegen die Krise, sie ist aus einer solchen erwachsen. Sie ist kein Schönwettermodell, wie viele Befürworter des Staatsinterventionismus behaupten“, sagte Wolfgang Steiger. Der Generalsekretär des Wirtschaftsrates appellierte in seinem Schlusswort an die Politik: „Das Gegenteil ist der Fall: Nur mit Respekt vor dem freien Markt und dem freien Unternehmertum, vor Leistung und Eigentum werden die Spielräume für Investitionen und sozialen Ausgleich erwirtschaftet.“