Europäische Kommission hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt

In dieser Woche hat die Europäische Kommission ihre Vorausschau auf die Schwerpunkte ihrer Arbeiten gegeben. Am vergangenen Dienstag (9. September 2025) stellte sie ihren „2025 Strategic Foresight Report“ vor, am Tag darauf hielt die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (EVP; DE), ihre Rede zur Lage der EU. Um es vorwegzusagen: In beiden Fällen hat die Europäische Kommission enttäuscht!
Ein Buzzword, unter dem der Strategic Foresight Report steht, lautet Resilienz. Resilienz braucht allerdings ein tragfähiges, stabiles Fundament der wirtschaftlichen Stärke und einer geringen Abhängigkeit der EU von Drittstaaten, insbesondere in der militärischen Sicherheit und der Energieversorgung. Hier hat die Europäische Union seit Jahren versäumt, ihre strategischen Interessen zu identifizieren und entsprechende politische Ableitungen zu sehen. Die EU muss mittel- und langfristig auf einen Pfad der Stabilität zurück, genauer auf den Pfad der ökonomischen, militärischen und innenpolitischen Stabilität. Daran lassen sich die drei Prioritäten der EU-Politik spiegeln: Die Stabilität und Resilienz der EU fußt auf der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in der EU und der Handlungsfähigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten nach innen, wie nach außen.
Vor diesem Hintergrund fällt die Bewertung des „Strategic Foresight Report“ ernüchternd aus. Die EU-Kommission analysiert die globalen Entwicklungen (vgl. Kapitel 2) und EU-spezifischen Herausforderungen richtig. Insbesondere erkennt sie endlich die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und den Bedarf einer strategischen Autonomie auf bestimmten Feldern. Hier ist interessant und positiv, dass die EU neben der technologischen Abhängigkeit, allen voran von digitalen Dienstleistungen bzw. digitalen Technologien und Energie- bzw. Rohstoffabhängigkeit auch die finanzielle Abhängigkeit von Finanzmarktakteuren außerhalb der EU einbezieht.
So richtig die Analyse ist, bei den vorgeschlagenen Aktionen (vgl. Kapitel 3) bleibt der Report allerdings hinter den Erwartungen zurück; vor einem Jahr hat Mario Draghi seinen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU vorgestellt - hieraus hätte die EU-Kommission weitaus mehr strategische Vorausschau entwickeln können.
Der Report führt eine kohärente globale Vision für die EU an. Schön und gut, aber um ehrlich zu sein, kommt diese Erkenntnis recht spät. Seit Jahren wird Europa in der Wirtschafts-, Finanz- und Sicherheitspolitik herausgefordert. Zu lange hat die EU geoökonomische Entwicklungen ignoriert und es sich selbst auf einer Insel gemütlich eingerichtet. Jetzt ist allerdings Ende der Naivität angesagt! Insgesamt fällt auf, dass relevante Aktionsfelder erkannt werden, konkrete Vorschläge allerdings fehlen – und immer wieder blitzt der Ansatz des politischen Dirigismus‘ aus Brüssel durch:
In der Außenwirtschaft spricht die EU-Kommission an, was der Wirtschaftsrat bereits seit Längerem fordert: Eine stärkere Diversifizierung in der Handelspolitik, Partnerschaften mit neuen Märkten und die Rückkehr zu einer regelbasierten Außenwirtschaftspolitik inklusive der Reform der Welthandelsorganisation WTO. Als Antwort auf die technologische Abhängigkeit fehlt u. a. das Bekenntnis, dass Regulierung in der schnelllebigen Zeit von Technologien nicht eine one size fits all Lösung sein kann. Es bräuchte vielmehr ein inkrementelles Vorgehen. Aus dem Ziel der langfristigen ökonomischen Resilienz leitet der Bericht erkennbar dirigistische Ansätze ab. Es findet sich kein Wort, die Wirtschaft in die Lage zu versetzen, auf globale Herausforderungen mit eigener Innovationskraft begegnen zu können und mehr Markt zu wagen. Es fehlt der deutliche Verweis auf die globale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Demgegenüber fällt positiv auf, dass die Bedeutung von privatem Kapital bzw. wie privates Kapital in der EU für die EU gehalten und mobilisiert werden kann, explizit genannt wird.
Auch in der vielbeachteten Rede der Kommissionspräsidentin zur Lage der EU fehlte ein großes Bild für die ökonomische Stärke der EU. Anstatt einen Stein weit zu werfen, hat Ursula von der Leyen nur einen Kiesel geschnipst. Die von ihr angesprochen Politikthemen blieben kleinteilig und ließen die entscheidenden Signale für den dringend nötigen wirtschaftspolitischen Aufbruch vermissen.
Auch nach innen gerichtet ließ die Kommissionspräsidentin deutliche Signale vermissen. Angesichts der zunehmend angespannten Verschuldung in der EU, die am Montag, den 8. September zu einer Regierungskrise in Frankreich geführt hatten, wäre ein klares Bekenntnis zur Stabilität der Eurozone wichtig gewesen.
Europa braucht jetzt einen entschlossenen Wettbewerbs- und Investitionsschub – Kapitalmarktunion, moderne Energieinfrastruktur, weniger Bürokratie – statt weiterer Ankündigungen von Zentren und Gipfeln. Mit diesem Klein-Klein, das die EU-Kommission diese Woche gezeigt hat, wird die EU den USA und China nicht auf Augenhöhe begegnen.
Nach den Berichten von Enrico Letta (EU-Binnenmarkt), Mario Draghi (EU-Wettbewerbsfähigkeit) und dem EU-Wettbewerbskompass braucht es keinen vierten Bericht. Es kommt auf konkrete Taten an, die an den guten und richtigen Anstößen der Omnibus-Pakete zur Vereinfachung und Verbesserung der EU-Regulierung anknüpfen. Es braucht ein Umdenken in Brüssel, was mit einem Hinterfragen, wie die EU-Institutionen künftig arbeiten sollen, beginnt: Weniger Bürokratie, weniger Dirigismus, weniger Regulierung und mehr smarte Rechtsetzung mit Anreizen wären hier eine wichtige Selbsterkenntnis.