Europas digitale Großprojekte – ambitioniert gestartet, aber strukturell ausgebremst

Mit der geplanten europäischen KI-Gigafactory in Deutschland und dem ernüchternden Rückblick auf Gaia-X treffen zwei symbolträchtige Digitalprojekte aufeinander: das eine steht vor dem Aufbruch, das andere kämpft mit seiner Vergangenheit. Beide zeigen eindrucksvoll, wie groß der Anspruch Europas an digitale Souveränität ist – und wie leicht dieser Anspruch an politischer Uneinigkeit, Koordinationsmängeln und fehlender Umsetzungskraft scheitern kann.
Der Aufbau einer europäischen Rechenzentrumsinfrastruktur für KI-Anwendungen ist längst überfällig. Das geplante Konsortium um SAP, Telekom, Schwarz Digits und weitere Akteure zur Errichtung einer AI-Gigafactory in Deutschland ist deshalb ein Hoffnungsschimmer. Doch viele Fragen sind noch offen: Standort, Finanzierung, Kooperationsstruktur und nicht zuletzt die Rolle des Staates als Ankerkunde. Während andere EU-Staaten wie Frankreich mit konkreten Plänen und klarer Führungsrolle vorangehen, fehlt es in Deutschland erneut an Geschwindigkeit, Koordination und einem klaren politischen Mandat. Der Wirtschaftsrat warnt: Wenn sich Deutschland nicht endlich auf eine koordinierte nationale Linie verständigt, droht es erneut, hinterherzulaufen – wie schon bei Gaia-X.
Denn das Beispiel Gaia-X liefert eine Blaupause dafür, wie ambitionierte Großprojekte trotz technologischem Potenzial scheitern können. Was einst als „Airbus der Cloud“ an-gekündigt wurde, ist in vielen Teilen zur Projektruine geworden. Die Ursachen sind bekannt: unklare Zielsetzungen, eine überfrachtete Stakeholder-Landschaft mit widersprüchlichen Interessen, mangelnde Steuerung durch die Politik und ein Projektmanagement, das mit dem eigenen Anspruch nicht Schritt halten konnte. Viele Unternehmen der ersten Stunde haben sich enttäuscht zurückgezogen. Statt eines einheitlichen europäischen Cloud-Gegengewichts sind kleinteilige Label- und Zertifizierungsinitiativen entstanden, deren Nutzung sich bislang in engen Grenzen hält. Der politische Impuls, ein strukturiertes und interoperables Cloud-Ökosystem zu schaffen, ist im Verwaltungsprozess stecken geblieben.
Der Wirtschaftsrat fordert deshalb, dass aus den strukturellen Fehlern von Gaia-X jetzt Konsequenzen gezogen werden. Die Bundesregierung muss endlich klare Zuständigkeiten schaffen und strategische Projekte bündeln, statt sie parallel und unkoordiniert laufen zu lassen. Es braucht verbindliche Fahrpläne und klar definierte Zielarchitekturen, damit die nächsten Infrastrukturprojekte nicht in offenen Debatten, sondern in operativen Ergebnissen enden. Gleichzeitig ist eine enge europäische Abstimmung erforderlich, um einheitliche Schnittstellen, kompatible Standards und eine länderübergreifende Skalierung sicherzustellen. Denn Europas größtes Digitalproblem bleibt die strukturelle Zersplitterung – technologisch, politisch und administrativ.
Das Ziel, Europa als starken Akteur im globalen KI- und Cloudwettbewerb zu etablieren, ist nach wie vor richtig.