Bericht
19.06.2025
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"Wirtschaftsrat.live" mit Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft

Wie der Stabilitätsrat plötzlich eine zentrale Rolle für die europäische Schuldenregeln spielt
©Wirtschaftsrat

In dieser Woche hat der Wirtschaftsrat unter dem neuen Titel „Wirtschaftsrat.Live“ einen Online-Talk mit dem Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft, Frau Prof. Dr. Veronika Grimm, ausgerichtet. Das „Wirtschaftsrat. Live“ fand am 18. Juni statt und damit parallel zum Bund-Länder-Gipfel von den Ministerpräsidenten der Länder mit dem Bundeskanzler Friedrich Merz MdB. In diesem Kontext fiel auch eine wichtige Einordnung der Wirtschaftsweise Grimm zur aktuellen Lage der öffentlichen Finanzen in Deutschland und zur Rolle des Stabilitätsrats von Bund und Ländern.

So stellte Frau Prof. Dr. Grimm fest, dass der Stabilitätsrat mehr Impact braucht“ […], denn bis heute „hat sich das Bundesfinanzministerium noch nicht dazu durchgerungen, mit der Europäischen Kommission einen mit den europäischen Fiskalregeln kompatiblen Finanzierungspfad zu vereinbaren.“ Damit sprach die renommierte Ökonomin einen wichtigen Punkt an, der in der deutschen Debatte zur Schuldenbremse häufig vergessen, mindestens aber übersehen wird: Die europäischen Schuldenregeln aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (ESWP) und die noch strengeren aus dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalvertrag).

Die Schuldenbremse in Deutschland gilt für den Haushalt des Bundes und sah vor seiner Anpassung im März 2025 ein striktes Verschuldungsverbot für die Bundesländer vor. Die EU-Schuldenregeln beziehen sich jedoch auf die gesamtstaatlichen Verschuldungen, also auch außerhalb der Haushalte von Bund und Ländern.

Bis Februar 2025 war die Schuldenbremse somit ein scharfes Schwert, mit dem ein Einhalten der EU-Regeln über die haushaltspolitischen Vorgaben in Bund und Ländern gesichert waren. In diesem Umfeld hatte die Überwachung der öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern durch den sogenannten Stabilitätsrat ein einfaches Spiel: Die Voraussetzungen zur Sicherung langfristig tragfähiger der Haushalte im Bund und in den Ländern war durch die deutsche Schuldenregel institutionell angelegt, ein ausreichender Sicherheitsabstand zu den EU-Regeln damit gegeben.

Seit der Veränderung der Schuldenbremse gilt dieses allerdings nicht mehr! Seit März dieses Jahres gibt die überarbeitete Schuldenregel den Bundesländern insgesamt einen zusätzlichen Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts. Zudem werden Teile der Verteidigungsausgaben von den Regeln der Schuldenbremse ausgenommen, zahlen aber dennoch in die gesamtstaatliche Verschuldung ein. Gleiches gilt auch für die extrabudgetären Haushalte ( „Sondervermögen“) in Höhe von 500 Mrd. Euro in den kommenden 12 Jahren, die ebenfalls gesamtstaatlich zu betrachten sind.

Mit Öffnung seiner Schuldenbremse muss Deutschland jetzt seine gesamtstaatliche Verschuldung in Konsistenz zu den europäischen Schuldenregeln steuern. Und hier gewinnt die Rolle des Stabilitätsrates an Relevanz. Bereits Anfang des Jahres startete Deutschland mit einer Schuldenquote von 62 ¾ Prozent seines BIPs und lag damit oberhalb des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozent. Deutschland verletzt also die EU-Regeln; die Nationalstaaten sind dann gefordert, der EU-Kommission vorzulegen, wie es die Schulden in einer Frist von vier bis sieben Jahren die Schulden zurückführt. Mit den benannten zusätzlichen gesamtstaatlichen Ausgaben des Bundes für die Verteidigung und für das sog. „Sondervermögen“ und der Bundesländer über den geschaffenen Defizitspielraum wird der Abstand zum EU-Zielwert von 60 Prozent umso größer und der Tilgungsfahrplan umso ambitioniert sein müssen.

Doch seit einem Dreivierteljahr fehlt bis heute ein solcher Tilgungsfahrplan bis zur 60-Prozent-Zielmarke, obwohl die Europäische Kommission das sogenannte Europäische Semester 2025 bereits gestartet hat.

Umso mehr ist nicht vermittelbar, dass die Bundesländer trotz Flexibilität in der Schuldenbremse – was immerhin aktuell 15 Mrd. Euro zugunsten der Länder entspricht – nun nochmals einen großen Schluck aus der Pulle nehmen wollen und für ihre strukturell ungelösten Probleme der Kommunalfinanzen dem Bund weitere rund 4 Mrd. Euro abringen wollen. Dabei sind die Länder für die Kommunalfinanzierung verantwortlich und konnten sich in den letzten Jahren mit positiven Haushaltsabschlüssen brüsten.

Mit der nunmehr gestiegenen Bedeutung des Stabilitätsrates ist es tatsächlich ein Unding, dass Bund und Länder noch immer keine Vorausschätzung für die Staatsfinanzen im Gesamtstaat geben. Daher braucht es jetzt eine institutionelle Stärkung des Stabilitätsrates. Wenn die Schuldenbremse weniger Biss hat, dann muss der Stabilitätsrat umso mehr Biss bekommen. Sonst kassiert sich Deutschland den nächsten Blauen Brief von der EU-Kommission, und das kann nicht im Interesse von Bundeskanzler Friedrich Merz sein.

Den vollständigen Talk können Sie sich hier anschauen.