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Bericht
05.09.2024
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Norddeutscher Wirtschaftstag 2024: „Perspektiven schaffen, Chancen nutzen!“

Hochkarätige Gäste diskutierten in Bremen u. a. über die Zukunft von Energie, Verkehr, Bauwirtschaft, Maritimer Wirtschaft sowie den Standort Deutschland
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„Entscheidend ist, jetzt Handlungsfähigkeit des Staats nachzuweisen und mit Mut und Entschlossenheit den Herausforderungen der Zeit zu begegnen. Negatives Wirtschaftswachstum hat es in den letzten Jahrzehnten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht gegeben. Diese Entwicklung ist Gift für die Soziale Marktwirtschaft und birgt auch gesellschaftspolitischen Sprengstoff. Die länderübergreifende Zusammenarbeit muss jetzt verstärkt und den Unternehmern endlich wieder Vorfahrt gewährt werden!“, machte Jörg Müller-Arnecke, Vorsitzender des gastgebenden Landesverbandes Bremen, zur Eröffnung des Norddeutschen Wirtschaftstages 2024 deutlich.


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©Wirtschaftsrat/ Yannik Gärtner

Auch Dr. Christoph Ploß MdB widmete sich den Problemen der Infrastruktur und erteilte all jenen eine klare Absage, die zur Lösung die Lockerung der Schuldenbremse fordern: „Die Schuldenbremse sorgt dafür, dass die Politik Ausgaben und Aufgaben auf den Prüfstand stellt und stärker priorisiert, sie ist nicht dafür verantwortlich, dass die Politik zu wenige Gelder hat.“ In Deutschland habe man kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem durch falsche Prioritätensetzung. 


Bremens Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte sah große Herausforderungen im Bereich der maritimen Wirtschaft und forderte ebenfalls eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes: „Unsere zentralen Häfen sind nicht nur Aufgabe der Länder, sondern sind zur Sicherung der Versorgungssicherheit und der äußeren Sicherheit auch Aufgabe des Bundes. Wegen dieser nationalen Bedeutung bedarf es nicht nur einer nationalen Hafenstrategie, sondern auch einer nationalen Finanzierungsbeteiligung.“ 

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„Während wir uns weiterhin einreden, dass unsere Energiepolitik Vorbildcharakter besitzt, ist die deutsche Energiewende dabei, durch Kostenexplosion und Versorgungsunsicherheit im Ausland zum Abschreckungsbeispiel zu werden, wie sich ein einst blühender Industriestandort durch verfehlte Politik selbst zugrunde richtet“, betonte Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates, und machte deutlich, dass es eines grundsätzlichen Umsteuerns in der Klimapolitik bedürfe: Man müsse dahinkommen, die Kosten der Klimapolitik anhand von Kosten-Nutzen-Analysen zu evaluieren. 

 

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Auf dem Podium „Standortpolitik“ diskutierten unter der Moderation von Anja Zerbin: Carsten Klude, Chefvolkswirt M.M.Warburg & CO; Jan Oliver Buhlmann, CEO Buhlmann Gruppe; Dr. Wiebke Winter MdBB, stellv. Fraktionsvorsitzende CDU-Bürgerschaftsfraktion in Bremen und Mitglied CDU-Bundesvorstand, sowie Nils Schnorrenberger, Geschäftsführer Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BiS). Die Referenten waren sich einig, dass die Stimmung innerhalb der deutschen Wirtschaft seit einigen Jahren schlecht sei. Seit 2018 sei sie nicht mehr wesentlich gewachsen, und auch im internationalen Vergleich liege das deutsche Wirtschaftswachstum weit zurück. Vielen Unternehmen mangele es an Vertrauen in den Standort Deutschland. Hohe bürokratische Hürden, eine große Anfälligkeit gegenüber Schwankungen im Welthandel, die fehlende Planungssicherheit mit Blick auf die Energiepolitik, aber auch der Fachkräftemangel, stellten einige Gründe dar. Dadurch wurde deutlich, dass der Standort Deutschland ein strukturelles Problem hat, welches sich nicht allein mit mehr Geld lösen lässt.

 

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Auf dem Podium „Energiewirtschaft“ diskutierten unter den beiden Moderatoren Dirk Briese, Geschäftsführender Gesellschafter trend:research GmbH Institut für Trend- und Marktforschung, und Markus Lesser, Industrial Advisor: Bärbel Heidebroek, Präsidentin Bundesverband WindEnergie e.V.; Ulf Gehrckens, Vice President Aurubis AG; Thorsten Hahn, CEO Holcim Deutschland, sowie Dr. Karsten Schneiker, Vorstandssprecher swb AG, über die Energiewende in Norddeutschland. Erneuerbare prägten den Markt immer mehr, das Strommarktdesign entwickele sich aber nur langsam weiter, sei weiterhin vom fossilen Denken geprägt. Erzeugung und Verbrauch müssten bestmöglich synchronisiert werden. Anreize müssten gestaltet werden, damit sich der Verbrauch der Erzeugung so weit wie möglich anpasse. Auf der anderen Seite müsse – unabhängig von den Erneuerbaren – auch eine beständige und verlässliche Grundlieferung gewährleistet sein. Das Design sei so weiterzuentwickeln, dass jede Erzeugungsart fair und auf Basis korrekter Messgrößen nachvollziehbar kalkuliert werden könne und daraus verlässliche Preise ableitbar seien. Zielgerichtete preisliche Anreize sowie ein verlässliches Förderregime für die unterschiedlichen Energieformen sollten dabei die Instrumente des staatlich gesetzten Rahmens sein.

Wie kann die marode Verkehrsinfrastruktur in Deutschland wieder instand gesetzt werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Panels zur Verkehrsinfrastruktur. Allein in Niedersachsen müssten in den nächsten 15 Jahren rund 200 marode Brücken im Landesstraßennetz saniert werden. Dies wurde von Experten auf einer Fachveranstaltung diskutiert, an der unter anderem Enak Ferlemann MdB, Mitglied Bundestagsausschuss für Wohnen und Stadtentwicklung, sowie Hartmut Höppner, Staatssekretär Bundesministerium für Digitales und Verkehr, teilnahmen. Weitere Referenten waren Lars Keller, Geschäftsführer F. Winkler GmbH, und Prof. Christian Lippold, Autobahn GmbH des Bundes. Die Dringlichkeit der Brückensanierungen sei unbestritten. Der Sanierungsstau sei aber auch in anderen Bereichen erheblich, was bei der Allokation der Investition zu bedenken sei. 

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Die Bauwirtschaft zwischen Nachhaltigkeit, Kosten und Effizienz: Wie entwickelt sich die Branche? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Diskussion im Panel Bauwirtschaft. Zu den Referenten gehörten Alexander Neumann, Geschäftsführer AND Holding UG; Ingo Hübner, operativer Geschäftsführer WIRO Wohnen in Rostock Wohnungsgesellschaft mbH; Uwe Schmidt MdB, stellv. Vorsitzender Landesgruppe Niedersachsen/Bremen SPD-Bundestagsfraktion; Jörn-Peter Makko, Geschäftsführer Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen e.V., sowie Alexander Blazek, Vorstandsvorsitzender Haus & Grund Schleswig-Holstein. Die Diskussion wurde von Hauke Harders, Geschäftsführer der Boden & Bauschutt GmbH & Co. KGaA, moderiert. In der Wohnungsbauwirtschaft wachse die Hoffnungslosigkeit. Die Wohnungsknappheit sei insbesondere in urbanen westdeutschen Gebieten evident und es werde zunehmend schwieriger, den Wohnraumrückstand in Deutschland aufzuholen. Langsame Genehmigungsverfahren, schlechte Infrastruktur und hohe Kosten seien die wesentlichen Gründe. Die rasante Zunahme an Bauvorschriften in wenigen Jahren und die fehlende Planungssicherheit machten den Wohnungsbau in Deutschland sukzessive unattraktiver. 

„Medizinische Versorgungssicherheit neu gedacht – Transparenz, Effizienz und Qualität“ war das Thema des Panels Gesundheitswirtschaft. Zu den Referenten zählten Simone Borchardt MdB, Mitglied im Gesundheitsausschuss für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion; Franzel Simon, Klinikgeschäftsführer Helios Hanseklinikum Stralsund; Heike Sander, Landesgeschäftsführerin Barmer Niedersachsen und Bremen, sowie Prof. Dr. Andrea Braun von Rheinersdorff, Dekanin Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Management im Gesundheitswesen an der Hochschule Osnabrück. Die Moderation übernahm Dr. John F. Näthke, Geschäftsführer DIAKO Krankenhaus gGmbH Flensburg, Vorsitzender Landesfachkommission Gesundheitswirtschaft für das Land Schleswig-Holstein. Das Gesundheitssystem kränkele. Höhere Ausgaben allein verbesserten das System nicht, da die Probleme primär struktureller Natur seien. Die Referenten waren sich einig, dass es eine Umstrukturierung des Gesundheitssystems brauche, um die Effizienz und Qualität der Versorgung sicherzustellen. Deutschland habe zu viele Krankenhäuser, die personell häufig unzureichend besetzt seien. Einige Krankenhäuser müssten geschlossen werden, um gebundenes medizinisches Personal und Ressourcen so freizusetzen, dass eine effizientere und bessere Behandlung in einer kleineren Anzahl an Krankenhäusern gewährleistet werden könne. 

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Im Panel „Maritime Wirtschaft“ diskutierten unter der Moderation von Tessa Rodewaldt, Geschäftsführerin Maritime Plattform e.V.: Arne Ehlers, Kapitän und geschäftsführender Gesellschafter Bremer Reederei; Enak Ferlemann MdB, Staatssekretär a. D., Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sowie Jens Broder Knudsen, Geschäftsführender Gesellschafter Sartori & Berger, über die Bedeutung der maritimen Wirtschaft für Deutschland. Sie sei der Garant für Wohlstand, Frieden und Freiheit. Häfen, ihre seewärtigen Zufahrten, ihre Hinterlandanbindungen seien nationale Aufgabe, bei der die Bundesregierung gestalterisch und finanziell gefordert sei. Die nationale maritime Strategie habe einen entscheidenden Fehler: Sie müsse mit Geld hinterlegt werden. Mit 38 Millionen Euro vom Bund sei es nicht getan. Eine halbe Milliarde werde es brauchen, um, ergänzt durch eine tragbare Kofinanzierung der Länder, die Häfen durchzusanieren. Darüber hinaus seien verlässliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen und Stabilität bei den Steuerthemen erforderlich. Die Tonnagesteuer sei von elementarer Bedeutung für die deutschen Reeder, sie sei die erste europäische Steuer und habe den Standort für Containerreedereien stark gemacht. 

In der Key-Note-Speech analysierte der Präses der Handelskammer Bremen Eduard Dubbers-Albrecht die Lage des Standortes Deutschland und machte für die Probleme insbesondere Steuern, Fachkräftemangel, Energie- und Bürokratiekosten sowie die Bevormundung durch den Staat verantwortlich. Ein funktionierendes Rechts- und Bildungssystem sowie eine gut aufgestellte Wissenschaft seien Assets, die für Deutschland sprächen. Es brauche Pragmatismus und Rationalität, um gemeinsam nach vorne zu gehen. Für Bremen fand der Präses lobende Worte: Man stelle Leuchttürme in wichtigen Branchen wie Automotive, Space, Rüstung oder der Nahrungsmittelindustrie sowie der maritimen Wirtschaft. 

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Gastgeber Jörg Müller-Arnecke übergab nach seinem Schlusswort das Steuerrad an den nächsten Ausrichter der Veranstaltung: Schleswig-Holstein. Prof. Dr. Stefan Liebing, stellv. Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates im nördlichsten Bundesland, übernahm es in Vertretung von Dr. Christian von Boetticher und freute sich darauf, beim nächsten, dem dann 10. Norddeutschen Wirtschaftstag 2026, „im echten Norden“ Gastgeber sein – ob in der Hansestadt Lübeck, in Kiel oder gar in Norderstedt?