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Bericht
21.09.2020
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Kein Brexit ohne Deal!

Online-Talk

Vorsitzender der British Chamber of Commerce in Germany (BCCG), Dr. Rainer Giersch, über die Konsequenzen eines No-Deal-Brexits
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Nur noch bis zum 31. Dezember 2020 läuft die Übergangsphase, in der EU-Recht weiterhin für Großbritannien gilt und „die Insel“ Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion ist. Eine Verlängerung dieser Übergangsphase ist definitiv ausgeschlossen. Die Frist dafür – den 1. Juli 2020 – ließ die britische Regierung verstreichen. Die äußerst zähen Verhandlungen zwischen der EU und UK – und damit ein möglicher „No-Deal-Brexit“ – bereiten Dr. Rainer Giersch, Vorsitzender der British Chamber of Commerce in Norddeutschland, großes Unbehagen. Im Online-Talk mit dem Wirtschaftsrat Hamburg warnte er vor den weitreichenden Folgen eines „No-Deals“. Der gesunde Menschenverstand müsse in den Verhandlungen wieder die Oberhand gewinnen, forderte der Großbritannien-Kenner.

 

Anschaulich skizzierte Giersch zunächst einige Stolpersteine in den bisherigen Verhandlungen. Als „Gordischen Knoten, der zerschlagen werden muss“ umschrieb der Experte das Ringen um die Zollregelungen in Nordirland. Eigentlich schienen diese mit dem sogenannten „Nordirland-Protokoll“, das Bestandteil des Austrittsabkommens mit der EU ist, geklärt zu sein. Ein neues Binnenmarktgesetz der britischen Regierung droht diese Vereinbarungen einseitig auszuhebeln – was einen Bruch internationalen Rechts bedeuten würde.

 

Ein zweiter Streitpunkt ist die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen. Die Europäische Union bietet Großbritannien Zoll- und Kontingentfreiheit an. Im Gegenzug erwartet sie, dass UK sich keine unfairen Wettbewerbsvorteile verschafft. Die Briten sollen sich beim Arbeits-, Umwelt-, Sozial-, und Wettbewerbsrecht den Regeln der EU beugen.

 

Im Weiteren wandte sich Rainer Giersch der Frage zu, welche konkreten Konsequenzen ein Brexit ohne Deal nach sich ziehen könnte. Der BCCG-Vorsitzende führte u.a. folgende Punkte an:

  • Die im EU-Recht vorgesehenen Zollvorschriften werden für alle Waren, die aus dem UK ins Zollgebiet der EU oder umgekehrt gebracht werden, greifen. Alle Produkte unterliegen dann den einschlägigen regulatorischen Einfuhrkontrollen. UK-Ursprungswaren verlieren damit ihre Eigenschaft als (Vor-)Material mit EU-Ursprungseigenschaft.
  • Die Vorschriften für die Entrichtung und Erstattung der Mehrwertsteuer werden sich ändern. Das gilt für Waren und Dienstleistungen. Für verbrauchsteuerpflichtige Waren wie alkoholische Getränke und Tabakwaren, die aus Großbritannien in das Gebiet der EU eingeführt werden, fallen Verbrauchssteuern an. 
  • Alle Zertifikate, Kennzeichnungen und Genehmigungen von britischen Zertifizierungsstellen verlieren in den EU-Mitgliedsstaaten ihre Gültigkeit, d.h. betroffene Produkte und Dienstleistungen dürfen in der Europäischen Union, im Binnenmarkt also, nicht mehr angeboten werden.
  • Britische Fluglinien können das Open-Skies-Abkommen zwischen der EU und den USA (womöglich) nicht mehr in Anspruch nehmen. Die britische Fluglinie easyJet hat vorsichtshalber schon ein Tochterunternehmen in Österreich gegründet.

 

Rainer Giersch sprach von „gravierenden Veränderungen“, deren Auswirkungen auf den Geschäfts- und Warenverkehr sich im Detail noch nicht absehen ließen.

 

Für das Bestreben, sich vom „Joch der Europäischen Kommission“ zu befreien, hat Großbritannien bereits einen hohen Preis bezahlt, wie der BCCG-Vorsitzende erläuterte: „Die Summe der bis 2019 aus dem UK abgezogenen Vermögenswerte, nämlich gerade im Finanzbereich, beläuft sich auf rund 1.200 Milliarden Euro.“ Seit 2016 hätten über 270 Finanzunternehmen die Londoner City verlassen. Die Auslandsinvestitionen im UK seien zwischen 2016 und 2019 um fast 70 Prozent zurückgegangen, von 196 Milliarden auf 59,1 Milliarden US-Dollar. Angesichts dessen biete ein No-Deal-Brexit keine besonders rosigen Aussichten, resümierte Giersch. Er sieht nicht zuletzt die deutsche Bundesregierung in der Verantwortung, auf die Briten zuzugehen, um doch noch einen Deal zu erzielen.

 

Exklusiv für Mitglieder: Schauen Sie sich hier unter Multimedia den kompletten Impulsvortrag im Video an (In Kürze verfügbar).