Küstenländer von außerordentlicher Bedeutung für deutsche Wirtschaft
Hätte. Wäre. Könnte. Der Konjunktiv hat in der Corona-Pandemie Hochkonjunktur. So hätten sich die norddeutschen Landesverbände am 12. Mai bzw. am 15. November 2020 – am Vorabend des Wirtschaftstages in Berlin – eigentlich zum traditionellen Parlamentarischen Abend getroffen. Beide Male ließ das Infektionsgeschehen ein persönliches Zusammentreffen leider nicht zu. So machten die Nordverbände aus der Not eine Tugend und luden als Ausgleich zu einem digitalen Parlamentarischen Jahresauftakt ein. An der Veranstaltung mit den Bundestagsabgeordneten Norbert Brackmann und Silvia Breher nahmen rund 200 Mitglieder und Gäste teil.
Als Vorsitzender des gastgebenden Hamburger Landesverbands mahnte Dr. Henneke Lütgerath in seiner Begrüßung an, dass Forderungen nach Verstaatlichungen im Zuge der Pandemie nicht salonfähig werden dürften. Die Überzeugung, der Staat könne und müsse alles richten, dürfe sich nicht verfestigen – schon gar nicht in Teilen der Politik. Nicht alle Lebensrisiken könnten abgesichert werden. Krisenintervention dürfe nicht zum Daueranspruch werden, so der Landesvorsitzende.
Meistern ließe sich diese historische Krise nur, wenn Firmen vor neuen bürokratischen Lasten geschützt und die bestehende massive Überregulierung in Deutschland abgebaut würde. Es sei „Aufgabe der Politik, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die die Unternehmen in die Lage versetzen, sich auf ihr Business zu konzentrieren, Innovationspotenzial freizusetzen und im internationalen Wettbewerb agil und selbstbewusst aufzutreten“, betonte Lütgerath.
Als Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft wandte sich Norbert Brackmann zunächst der Kreuzfahrtbranche zu. Die Pandemie habe einige Teilbereiche der maritimen Wirtschaft in „extrem schwieriges Fahrwasser“ gebracht, die Kreuzfahrtindustrie aber besonders. „Das Jahr 2020 war wie eine Notbremsung auf der Überholspur“, sagte er. Statt avisierter 32 Millionen Passagiere seien es am Ende nur einige Tausend gewesen, die an Bord gingen.
Die Situation der Kreuzfahrtreedereien wirke sich weiterhin negativ auf die europäischen Schiffsbauer und deren Orderbücher aus. Um Liquiditätskrisen bei den Kreuzfahrtreedereien sowie Stornierungen bei den deutschen Kreuzfahrtwerften vorzubeugen, habe die Bundesregierung zügig Maßnahmen ergriffen. So habe man gemeinsam mit Norwegen, Finnland, Frankreich und Italien ein befristetes Schuldenmoratorium für die staatlich abgesicherten Kreuzfahrtschiffsfinanzierer beschlossen und umgesetzt. Von der Öffentlichkeit noch gar nicht bemerkt, sei diese Maßnahme in den letzten Tagen bis März 2022 verlängert worden. Dies diene dem Schutz tausender Arbeitsplätze in der heimischen und europäischen Hafenindustrie – inklusive zahlreicher Zulieferbetriebe.
Brackmann lobte ausdrücklich die Rolle der Reedereien und des Containerverkehrs in der Krise. Stabile Lieferketten seien eine wichtige Voraussetzung für die Erholung der Wirtschaft. Sie hätten einen starken Beitrag dazu geleistet, den Warenverkehr zu sichern – und das trotz widriger Umstände, etwa beim Crewwechsel. „Die Schifffahrt hat so wesentlich zur Sicherung des Welthandels und unser aller Versorgung beigetragen“, befand der Koordinator für die maritime Wirtschaft.
Norbert Brackmann ging im Weiteren auf die Energiewende und die wichtige Rolle der norddeutschen Länder ein. „Ohne den Norden wäre die Energiewende nicht zu schaffen“, betonte er. Der Ausbau der Offshore-Windenergie berge ein enormes wirtschaftliches Potenzial, das nun erschlossen werden müsse. Deutschland und insbesondere der Norden seien gut aufgestellt, um diese Potenziale zu nutzen. Schließlich seien in den Küstenländern führende Hersteller und Zulieferer der Windenergieindustrie mit tausenden Jobs zuhause.
Eine weitere Schlüsseltechnologie der Energiewende sei der Wasserstoff, so der Bundestagsabgeordnete. Dem Norden Deutschlands komme auch hier eine herausragende Rolle zu. Hier wehe der Wind, der gebraucht werde, um grünen Wasserstoff herzustellen. Der Norden verfüge über die Seehäfen, denen künftig als Energie-Importhäfen eine besonders wichtige Rolle zufalle. „Denn wir selber werden auch bei einem massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien nie so viel Energie produzieren können, wie wir nach dem Ende der Atomkraft und nach dem Abschalten der Kohlekraftwerke brauchen“, machte Norbert Brackmann deutlich. Es sei daher nicht verwunderlich, dass die norddeutschen Länger Vorreiter bei der Entwicklung einer eigenen Wasserstoffstrategie gewesen seien. Die Wasserstofftechnologie sichere Arbeitsplätze in traditionellen Branchen und schaffe Jobs in neuen Industriezweigen.
„Wir können also feststellen, dass der Norden wirtschaftlich für unser Land […] von außerordentlicher Bedeutung ist. Wir im Norden sorgen dafür, dass der Strom im ganzen Land fließt und der Handel mit der Welt funktioniert“, resümierte Norbert Brackmann.
Im zweiten Impuls sprach sich Silvia Breher dafür aus, mehr Vertrauen in den Einzelnen zu haben und weniger auf den Staat zu setzen. In einem inspirierenden Impuls plädierte sie dafür, sich vom Entweder-oder-Denken zu verabschieden und Herausforderungen als Chance für Deutschland zu begreifen. So erkennt die Bundestagsabgeordnete im Klimaschutz einen „Push für die Zukunft“, in dem Ökologie und Ökonomie kein Widerspruch seien. „Naturschutz geht mit der Landwirtschaft. Tierschutz geht mit der Landwirtschaft“, sagte Breher, die Mitglied im Bundesfachausschuss für Umwelt und Landwirtschaft ist. Ideologisches Denken lehnte sie auch mit Blick auf die Mobilitätswende ab. Sie forderte Technologieoffenheit. Gehe man die Verkehrswende ideologisch an, führe sie an der Lebensrealität vieler Menschen vorbei. Als Beispiel nannte sie den ländlichen Raum, wo die Menschen auf ein Auto kaum verzichten könnten.
Deutlich positionierte sich Silvia Breher zudem in der aktuellen Debatte über Home Office. Eine Verpflichtung für Unternehmen lehnt sie ab. Dies sei der „völlig falsche Ansatz“, sagte sie und verwies darauf, dass erst einmal eine Reform des Arbeitszeitgesetzes erforderlich sei. Es sei so anzupassen, dass es dem digitalen und flexibleren Arbeiten gerecht werde.
Text: Landesverband Hamburg