„100 Tage Bundesregierung: Eine volkswirtschaftliche Bestandsaufnahme“
Nach den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung war es Zeit, Bilanz zu ziehen: Welche wirtschaftspolitischen Weichen wurden richtig, falsch oder noch gar nicht gestellt? Welche Chancen und Risiken ergeben sich für Unternehmen, Beschäftigte und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Industriestandortes? Und welche Herausforderungen müssen in welcher Priorität angegangen werden?
Dr. Dino Uhle, Landesgeschäftsführer des Wirtschaftsrates in Sachsen (Foto: Wirtschaftsrat)
Simon Steinbrück hat, nach unserer Mitgliederversammlung mit Wahl des Landesvorstandes, in seinem Impulsvortrag die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung aus volkswirtschaftlicher Sicht analysiert, zentrale Entwicklungen eingeordnet und einen Ausblick auf die kommenden Monate gegeben. Im Anschluss bestand Gelegenheit zur Diskussion und zum Austausch mit unserem Referenten, die auch rege in Anspruch genommen worden ist. Simon Steinbrück hat uns, wie immer, auf seine ganz spezielle Art und Weise, gespickt mit dem notwendigen Augenzwinkern erkenntnisreiche Einblicke in die bisherige Performance der Bundesregierung gegeben.
Dr. Dirk Schröter, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates in Sachsen (Foto: Wirtschaftsrat)
Nach genau 132 Tagen seit der
Amtsübernahme der Bundesregierung Merz bleibt ein nennenswerter und vor der
Wahl versprochener Politikwechsel weitgehend aus. Nun soll ein „Herbst der
Reformen“ die Änderungen bringen, die sich die Unternehme und Wähler gewünscht
haben. Aber auch hier ist noch kein ordnungspolitischer Befreiungsschlag in
Sicht, wie Simon Steinbrück treffend feststellt. Aus einem „Herbst der
Reformen“ ist ein „Herbst der Kommissionen“ geworden. War Deutschland bis 2014
noch das Paradebeispiel in Sachen Wirtschaft, so ist dies aktuell nicht mehr
der Fall. Wir haben es derzeit mit einem drei Jahre andauernden und sich
verstetigenden Kapitalabluss zu tun. Jedes Jahr fließen netto ca. 100 Mrd. € an
Kapital aus dem Land. Deutschland verzeichnet zudem ein volkswirtschaftliches Negativwachstum,
hohe Insolvenzen, weiter ungeregelte Migration, immer höhere Bürokratielasten
und die höchsten Energiepreise in Europa. Das Land ist wieder der „kranke Mann
Europas“ und sieht sich sprichwörtlich der „weltweit dümmsten Energiepolitik“
ohne Nachahmer ausgesetzt. Seit dem AKW-Aus ist Deutschland gezwungen, mehr
Strom aus Frankreich zu importieren, als es exportiert. Die energiepolitische
Abhängigkeit habe auch dadurch zugenommen.
Simon Steinbrück, Chef-Volkswirt und Geschäftsführer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik des Wirtschaftsrates der CDU e.V., während seines Vortrags (Foto: Wirtschaftsrat)
Dennoch verfügt Deutschland über viel Know-how und über „Hidden Champions“, woraus wieder etwas Hoffnung geschöpft werden könne, stellt Simon Steinbrück in seinem Vortrag fest. Jedoch ist seit Jahren ein Veränderungsprozess, weg von der Ordnungspolitik, hin zu einer „öko-sozialen Marktwirtschaft“ zu konstatieren, die dem Land alles andere als guttue. Das sogenannte „Potenzialwachstum“ (das bei normaler Auslastung aller Produktionskapazitäten, also von Arbeitskräften und Kapital, erzielbare langfristige Maximalwachstum) in Deutschland ist nicht mehr gegeben – dies auch aufgrund der demografischen Entwicklung, wo fortwährend viele kluge Köpfe das Land verlassen und weniger „High Potentials“ in das Land kommen. Seit 6 Jahren hat Deutschland zudem kein Produktivitätswachstum (BIP/Erwerbstätiger) mehr vorzuweisen – dies auch aufgrund der Tatsache, dass viele Arbeitnehmer ihre berufliche Zukunft im öffentlichen Dienst und nicht mehr in der Privatwirtschaft suchen. Der „Kuchen“ wird entsprechend kleiner. Außenwirtschaftlich verliere Deutschland bei KI, bei Elektromobilität sowie bei der Digitalisierung den Anschluss an Asien und die USA – hohe Bürokratie- und Steuerlasten bremsen das Land. China habe komparative Kostenvorteile bei Elektroautos und Deutschland, nach wie vor, in der Verbrennertechnologie, die aber durch das EU-Verbot von 2023 quasi von innen heraus vernichtet werden. Klar sei aber auch, dass China Technologievorsprünge bei Drohnen, in der Batteriefertigung und bei 5G habe. Die USA führen bei Großtechnik, fortgeschrittener Physik, bei Biotechnologie und in der Pharmaindustrie – Wettkampf gibt es unter den beiden Großmächten in der Chip-Industrie, beim Maschinebau, bei Künstlicher Intelligenz und bei der nächsten Internet-Generation. Leider ist die EU aktuell in keinem dieser genannten Segmente Technologieführer.
(Foto: Wirtschaftsrat)
Der Trend zur Produktionsverlagerung ins Ausland und Dienstleistungsaufwuchs in Deutschland ist klar erkennbar. Simon Steinbrück stellte heraus, dass die Politik den Wirtschaftsstandort nicht mehr länger schaden dürfe, dass wir eine verlässliche Energiepolitik mit konkurrenzfähigen Preisen brauchen und die Arbeitnehmer bei höheren Bruttogehältern aufgrund des „Mittelstandsbauches“ nicht notwendiger mehr Nettogehalt in den Taschen haben. Dies alles vermindere Leistungsanreize für die Volkswirtschaft. Des Öfteren werde vergessen, dass auch Zukunftsbranchen wie KI und die Halbleiter-Industrie einen großen Energiehunger haben. Aktuell ist Deutschland darauf nicht gut genug vorbereitet – ein Umsteuern sei unerlässlich.
Will man in verschiedenen Bereichen unserer Volkswirtschaft wieder zurück zur Technologieführerschaft, so sei eine Bildungsreform unbedingt notwendig. Die jüngsten PISA-Ergebnisse sprechen hier eine eindeutige Sprache. Aus solider Bildung erwachsen später Innovationen – vor allem Asien habe dies erkannt. Mit einem rund 500 Mrd.€ schweren Infrastruktur-Sondervermögen, verteilt auf 12 Jahre soll nun privates Kapital gehebelt werden. Dazu fehle ein sog. Ermächtigungsgesetz, womit der Bundesregierung, ohne die permanente Zustimmung der Parlamente für Einzelvorhaben die Befugnis zu Teil wird, entsprechende Hebeleffekte zu beschließen. Simon Steinbrück schloss seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass es auch in China (hohe Überkapazitäten) und in den USA (enorme Zinslasten aufgrund hoher Schulden) Probleme gäbe, die Deutschland in dieser Form aktuell noch nicht habe.
Mit einer breiten Diskussion und bei einem anschließenden geschmackvollen Imbiss endete die Veranstaltung.
Vorher hatten wir die Gelegenheit, unseren langjährigen Mitgliedern im Wirtschaftsrat für deren Einsatz im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft zu danken.
v.l.n.r.: Prof. Dr. Uwe Roßberg, Geschäftsführer der TelDaCom GmbH; Bernd-Dietmar Kammerschen, Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Volkssolidarität Dresden; Prof. Dr. Gennadi Zikoridse, Geschäftsführender Gesellschafter der Argomotive GmbH Institut für effiziente und umweltverträgliche Antriebstechnologien und Dr. Günter Irmscher aus Bautzen mit ihren Gratulanten Dr. Dirk Schröter und Dr. Dino Uhle (Foto: Wirtschaftsrat)