"Internationale Technische Normensetzung - Geraten wir ins Abseits?"
Gemeinsam mit dem VDI Landesverband Sachsen haben wir uns in Dresden getroffen, um über viele Aspekte der technischen Normensetzung zu sprechen.
Wir danken Frau Andrea Nickol, Geschäftsstellenleiterin des VDI Landesverbands Sachsen, für die Organisation. Ebenfalls möchten wir allen Referenten herzlich danken. Zu nennen sind hier Bernd Wildpanner vom VDI und Auditor des VDA, Sibylle Gabler (Leiterin Regierungsbeziehungen des DIN e.V.), Andrea Horn (Leiterin Mittelstandsförderung des DIN e.V.) sowie Dr. Julia Kaltschew (Seniorberaterin beim VDI), die unseren Nachmittag mit ihrem fachlichen Input bereichert haben.
Themen waren u.a. der weltweite Wettstreit bei technischer Normung, die EU-Normungsstrategie im internationalen Kontext, Mittelstand und Normung sowie die Normung in der IT-Branche. Deutschland war einmal führend in der Festlegung von internationalen Normen. Die DIN war so bekannt und anerkannt, wie der deutsche Ingenieurstitel. Doch nach und nach sind die USA und China, vor allem in der IKT auf dem Vormarsch bei internationalen Normungsprozessen und bauen weltweit deren Normungssekretariate aus. In Europa droht ein geringer Einfluss bei der Festlegung von Industriestandards – die EU-Normungsstrategie versucht hier gegen zu steuern. Es gilt: „Wer den Standard hat, hat den Markt“ und zwangsläufig auch, dass der, der den Standard nicht mehr hat, auch den Markt verloren hat. Ein Land der Ingenieure und Innovatoren sollte wissen, welche Bedeutung die Normensetzung in den wetteifernden Wirtschaftsräumen hat – sie ist heute, neben der technischen Komponente, auch als geostrategisches Element zu begreifen.
Wir durften einiges erfahren, u.a. dass der VDI seit 1884 zur Normung beiträgt, dass eine Norm eine allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Regel für das Zusammenleben der Menschen ist, Normierungsprozesse bis zum Bau der Pyramiden in Ägypten zurück gehen, Normen generell industrielle Prozesse vereinfachen und Kosten sparen, diese einen großen Verbrauchernutzen aufweisen (z.B. Vereinheitlichung von Netz-Steckern) und die Normung als offener Prozess zum bestmöglichen Ergebnis zu begreifen ist.
Die Frage, ob wir in Deutschland/EU ins Abseits geraten, kann dann mit „ja“ beantwortet werden, wenn wir hierzulande abwarten und nichts tun. Es existieren weltweit viele Normungsorganisationen (ISO; IEC, CEN, CENELEC). Allein beim DIN e.V. gibt es aktuell 34.800 Normen. Dabei „wandert“ eine Norm immer von der nationalen Normungsinstitution (in Deutschland: DIN e.V.) über Europa in die Welt. Die Normungsstrategien der Wirtschaftsräume unterscheiden sich jedoch im Ansatz. So existiert in Europa ein „bottom-up“-System, welches als industriegetrieben mit regulatorischer Komponente und einer einzigen Normungsinstitution zu bezeichnen ist. In den USA herrscht ebenfalls ein industriegetriebener „bottom-up“-Ansatz vor, der allerdings von vielen Normungseinrichtungen betrieben wird. In China jedoch geht man „top-down“ vor und die Normungsphilosophie ist eine staatsgetriebene.
China baut aktuell seine Normungssekretariate stark aus und akzeptiert international verbindliche Normen immer weniger im eigenen Land. Hier gilt es für die deutsche, vorrangig mittelständische Wirtschaft, aktiv zu werden und neue Themen in den Normungsprozess einzubringen. Die EU möchte hier mit einer eigenen Normungsstrategie wieder eine Führungsrolle in der Welt einnehmen. Dazu ist es wichtig, weltweit die Normungssekretariate auszubauen und auf Zukunftsfelder zu setzen und diese schnell mit Normen zu unterlegen. Im Recycling kritischer Rohstoffe, beim sauberen Wasserstoff, bei CO2-armen Zementen, in der Entwicklung von Computer-Chips, in der KI, beim autonomen Fahren sowie in der Prävention von Krisen (Corona) sind derartige Wachstumsfelder zu identifizieren. Entsprechend geht die Normungsstrategie der EU in die richtige Richtung; diese muss aber auch umgesetzt und durch Handlungen unterlegt werden, denn die (Normungs-)Konkurrenz schläft nicht. Gerade aus dem Mittelstand müssen hier Impulse kommen, denn 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland haben unter 50 Mitarbeiter – Deutschland ist bekanntlich ein Land des Mittel-standes. Über die Industrienahen Forschungseinrichtungen (IFE) könnte hier der gebündelte, normensetzende Aktionsplan befördert werden, denn des gebündelte Technikwissen des Mittelstandes ist in diesen Einrichtungen gespeichert. Beim DIN e.V. gibt es bereits die KOMMIT-Mittelstandsplattform, die bis in die EU wirkt. Mittels des Programms WIPANO, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Technologie/wipano.pdf?__blob=publicationFile, kann ein entsprechendes Normungs-Engagement sogar gefördert werden. Unternehmerverbände sind hier gefragt, sich noch stärker in den Standardisierungsprozess einzubringen. Dies macht aktuell vor allem bei den Themenkomplexen Klimawandel, Kreislaufwirtschaft, Wasserstoff, e-fuels durchaus Sinn. So leicht, wie bei der Normung von Schrauben und Muttern ist es aber dann bei z.B. KI-Anwendungen nicht mit der Normung. Denn bei nicht deterministischen Systemen, wie der KI müssen ebenfalls Kriterien für die Standardisierung festgelegt werden. Diese sind aber schwer zu bestimmen – denn nicht deterministische Systeme können per Definition nicht „determiniert“ werden. Etwas leichter ist es beim Mobilfunk 5G: Hier mussten vor der Normung die Antennen, die Software und die Basisstation von einem Anbieter sein – dies kann jetzt aufgrund der Normierung „gemixt“ werden, was aber zu Lasten der Energieeffizienz geht.
Künftig könnte man über die Einführung einer Spezialisierung im Ingenieursstudium zum „Normungsingenieur“ – ähnlich dem Patentingenieur aus DDR-Zeiten nachdenken, um die notwendigen Kenntnisse für Normungsfragen an den Markt zu bringen. Unser Dank geht auch an unser Mitglied, Dr. Axel Schober, der durch den Nachmittag geführt hat. Wir freuen uns auf eine Folgeveranstaltung, gemeinsam mit dem VDI und des DIN e.V.