„Medikamentenmangel in Deutschland?“
LFK Gesundheit, Online
Eine Vielzahl von Medikamenten ist nach Aussage des
Deutschen Apothekerverbandes hierzulande immer häufiger und immer länger nicht
erhältlich. Vor fünf Jahren seien zahlenmäßig nicht einmal halb so viele
Produkte betroffen gewesen. Dabei handelt es sich zum Teil auch um relevante
Substanzen wie z. B. zur Therapie von Krebserkrankungen.
Nicht nur Ursachen, wie zum Beispiel die Verminderung der Produktion in Europa sind dafür verantwortlich, sondern auch Gründe, wie Festbeträge, Druck durch die Kostenträger und Abrisse von Lieferketten. Wir haben uns eine Analyse von einem kompetenten Versorger in einer Onlinesession im Rahmen unserer Landesfachkommission anhören und danach mit diesem diskutieren dürfen. Welche Lösungsansätze könnte es geben und welchen Zeitbedarf hätten diese? Das waren die Hauptfragen des Nachmittags. Auf den aktuellen Stand der Dinge haben uns Sven Ullrich als Inhaber der Apotheke Johannstadt und sein Kollege Dr. Wieland Schwartze, Leitender Apotheker Krankenhausversorgung und Fachapotheker für Klinische Pharmazie, gebracht.
Aktuell sind 240 Medikamente nicht lieferbar. Diese nicht lieferbaren Medikamente nennt man „Defekte“. 93 Prozent aller Apotheken in Deutschland sind von diesem Engpass betroffen. Beide Apotheker haben einen interessanten Vortrag zur Thematik abgeliefert. Zum einen unterscheiden sich die ambulante und die stationäre Arzneimittelversorgung. So bestimmt die Arzneimittelpreisverordnung die Einheitspreise bei ambulanter Versorgung. Diese Verordnung findet hingegen bei der stationären Arzneimittelversorgung keine Anwendung. Die Preisbildung bei Arzneimitteln ist höchst komplex. Für patentgeschützte Arzneimittel gilt generell die Preisvereinbarung nach AMNOG („Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz“), wobei die „frühe Nutzenbewertung“ relevant ist; bei Generika gibt es Rabattverträge, bei frei verkäuflichen Arzneimitteln sind die Preise frei kalkulierbar und durch den Anwender selbst zu zahlen. Es gibt aber auch noch individuelle Herstellungen durch die Apotheker selbst. Da geschieht die Preisbildung gemäß „Hilfstaxe“. Die durch den Hersteller gewährten Rabatte sind seit 2015 kontinuierlich angestiegen.
Um konkret zu werden: Lediglich ein chinesischer Hersteller produziert ca. 70 Prozent des in Europa benötigten wichtigen Krankenhaus-Antibiotikums Piperacillin/Tazobactam. Da kann bei Produktionsstillstand schnell ein Versorgungsmangel eintreten. Ursachen dafür sind Monopolisierung wesentlicher Produktionsschritte, lange und komplizierte Lieferwege, Mangel an Verpackungen und letztlich auch der Personalmangel an nahezu allen Stellen der Lieferkette. 67 Prozent der weltweiten Wirkstoffe werden derzeit in China und Indien hergestellt. Hier führt steigender Sparzwang im Gesundheitssystem zum Abbau von Pufferkapazitäten, was eine Negativentwicklung ist. Das kurzfristige Erhöhen von Produktionskapazitäten ist durch komplizierte Verfahrenswege hierzulande nur schwer möglich.
Was muss also passieren, um die Mangelsituation und Abhängigkeiten zu verringern? Die Experten schlagen Folgendes vor: Man sollte Generika stärker von Hightech-Medizin getrennt betrachten, stärker die gesamte Lieferkette ins Auge nehmen werden, die Datenlage ebenso, wie die Transparenz von Arzneimitteln verbessern (Einsatz von KI) und künftig wichtige Reserven angeschafft werden, ohne dabei Überkapazitäten aufzubauen. Der Ausbau innovativer Produktion am Standort Deutschland und Europa ist dabei aber immer noch sinnvoller als das „Reshoring“ abgewanderter Produktionskapazitäten. Wir erleben es gerade: Ein Wirtschaftskrieg lässt sich mit Rohstoffen führen, er ließe sich aber genauso auch mit wichtigen Arzneimitteln führen. Daran erkennt man, wie wichtig die Arzneimittelversorgung als strategische Komponente für ein Land ist. Wir bedanken uns bei beiden Fachreferenten sowie bei den Diskutanten für deren Ausführungen und freuen uns auf eine Fortsetzung der Thematik in unserer Landesfachkommission.