„PoliTikTok und KI – Meinungsbildung in der digitalen Öffentlichkeit“
Über unsere Sektion in Dresden hatten wir die Gelegenheit, uns mit einem renommierten Medienwissenschaftler der Technischen Universität Dresden, Prof. Dr. Lutz Hagen, Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft sowie Direktor des Zentrums für sozialwissenschaftliche Methoden, auszutauschen.
Jens Müller, Vorstandsmitglied der Sektion Dresden, bei der Begrüßung (Foto: Wirtschaftsrat)
Die Forschung des Professors gilt vor allem dem Nachrichtensystem – im Hinblick auf Produktion, Rezeption und Wirkung. Speziell befasst er sich mit der Qualität von Journalismus und Veränderung des Nachrichtenwesens durch die digitale Revolution. Wir sind insbesondere den folgenden Fragen nachgegangen: Wie beeinflussen die sozialen Medien die Meinungsbildung und welche Auswirkungen hat das? Werden politische Meinungen durch den Einfluss von künstlicher Intelligenz beeinflusst? Wie erkennen wir „guten Journalismus“? Eingeführt durch unser Vorstandsmitglied Jens Müller, Debeka Landesgeschäftsstellenleiter, hat uns Prof. Dr. Hagen in das komplexe System der Meinungsbildung eingeführt. Wir haben etwas über „Medien als Prothesen für die Sinne“ und den „Mensch als Prothesengott“ (Freud) erfahren. Fest steht, die menschliche Wahrnehmung ist hochgradig selektiv und das, was wir unter Realität verstehen, wird häufig durch die Medienlandschaft konstruiert.
Man kann ebenfalls festhalten, dass die Kategorien „Einkommen“, „Religion“ und „Stadt-Land-Zugehörigkeit“ Einfluss auf den jeweiligen Medienkonsum haben. Unter „Medialisierung“ ist die Entwicklung zu verstehen, dass Medien seit jeher immer wichtiger geworden sind und durch digitale Formate noch wichtiger werden. Auch (frühere) Randgruppen, wie die „Klimakleber“ nutzen zunehmend den digitalen Raum, um Aufmerksamkeit zu generieren. Heute leben wir so zu sagen in einer „redaktionellen Gesellschaft“, in welcher jeder, der möchte und die Hardware dafür hat, zum Publizisten, aber auch zum Opfer von Publizisten werden kann. Cyber-Mobbing und immer schwerer zu entlarvende Fake News seien hier erwähnt. Prof. Dr. Hagen spannte den Bogen der Meinungsbildung von der Entwicklung der Sprache bis zum „Maschinen-Lernen“, welches seinen Anfang bereits im Jahr 2008 über das Android-Handy-Betriebssystem nahm.
Prof. Dr. Lutz Hagen, Direktor
des Instituts für Kommunikationswissenschaft sowie Direktor des Zentrums für
sozialwissenschaftliche Methoden (Foto: Wirtschaftsrat)
Heute gestalten Algorithmen die Kommunikation und werden sogar zum Kommunikationspartner (Bots, Alexa, Siri). Diese KI-Systeme werden von verschiedenen Menschen sogar als „menschliche Gegenüber“ empfunden und greifen zunehmend in unseren Alltag ein. Immer schneller „frisst“ das Internet die Print- und Leitmedien, wie z. B. die Tagesschau. Heute wird YouTube bereits am häufigsten für den Konsum von Nachrichten genutzt. Kriege, wie der Russland-Ukraine-Krieg, finden auch über Social Media statt. KI sorgt dafür, dass man die Nachrichten erhält, die einem „gefallen“ – die Gefahr in eine „Filterblase“ mit stark polarisierten Meinungen zu geraten, wird entsprechend größer. Das aktuell komplexeste KI-Programm, ChatGPT kann Unglaubliches, es formuliert wie ein Mensch, zieht die relevanten Informationen blitzschnell zusammen und entwickelt sich aus sich selbst heraus weiter. Prof. Dr. Hagen glaubt aktuell jedoch nicht daran, dass die KI in mittlerer Frist zu einer Bedrohung für den Menschen und die Macht übernehmen wird. Der Einsatz von „Bots“, KI-kreierten Profilen in Social Media, fand ja bereits im letzten Wahlkampf von Donald Trump Anwendung. Heutige „Deepfakes“ wirken so real, dass man sie kaum von der Wirklichkeit unterscheiden kann. Eine gewissen Gefahrenlage ist jedoch nicht abzustreiten.
(Foto: Wirtschaftsrat)
Wir müssen uns heute folgenden Sachverhalten stellen: Wir leben im Informationsüberfluss, die Selektion der Wahrheit aus dem Universum der Meldungen wird zunehmend schwerer. Da ist der „gesunde Menschenverstand“ gefragt, der die Verlässlichkeit von Quellen bewertet. Klar ist aber auch, die Zeitungsauflagen gehen zurück und die digitalen Medien nehmen zu. Das kann in der Konsequenz bedeuten, dass sich einige wenige bezahlte Medien und Fakten „leisten“ können und sehr viele, die digital produzierten und reproduzierten Inhalte konsumieren, diese für wahr halten und dann zu einer Mehrheit der Unwahrheit werden, welche die Minderheit der Wahrheit – verstanden als durch verlässliche Redakteure recherchierte Fakten – dominiert. Dass dieses Szenario noch länger ausbleibt, ist zu hoffen und ebenfalls, dass die „Echokammern“ der Selbstbestätigung weniger schnell zunehmen als die Rechnerleistung, die sich aller zwei Jahre nahezu verdoppelt.
Wir bedanken uns insbesondere bei Prof. Dr. Hagen, der einen überaus erkenntnisreichen Vortrag gehalten und alle unsere Fragen beantwortet hat.