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Bericht
13.06.2022
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Aus den Ländern (Schleswig-Holstein) - Kernenergie in Deutschland

Aktuelle Herausforderungen der Stromerzeugung in unserem Land
©©Agentur Hartwig3c

Die Fakten sind eindeutig: Seit dem 1. Januar 2022 liefert das Kernkraftwerk in Brokdorf keinen Strom mehr in das deutsche Netz. Die Anlage ist in der Nachbetriebsphase, bis 2039 soll der vollständige Rückbau abgeschlossen sein. Fest steht auch: Die Anlage kann - selbst für den Fall, dass sich die Energiekrise durch den Ukraine-Krieg weiter zuspitzt und eine Rückkehr zur Kernenergie gesellschaftlich wieder mehrheitsfähig würde - nicht wieder ohne weiteres in Betrieb genommen werden.

Pinnebergs Sektionssprecher Jens Sander machte bereits in seiner Begrüßung deutlich, was der Wirtschaft Sorgen bereitet: „Energiepolitik ist zur Tagespolitik verkommen, obwohl die Industrie langfristige Sicherheiten braucht.“ Angesichts der Entwicklung müssten die Diskussionen, was mit Blick auf Klimaziele und Versorgungssicherheit sinnvoll ist, „frei von Ideologien geführt werden.“ Es müsste für die Industrie und Bevölkerung eine Versorgungssicherheit geben. „Dabei muss auch die Frage erlaubt sein, ob wir es uns leisten können, dass die Kernenergie mit dem Abschalten der letzten Kraftwerke ein Auslaufmodell bleibt“. Fest stehe für ihn, dass der ebenfalls beschlossene Kohleausstieg eine zusätzliche Herausforderung ist. „Die Transformation der Mobilität sorgt zudem für einen drastischen Anstieg des Strombedarfes in Deutschland.“ Bereits heute könne der Strombedarf nicht vollständig und kontinuierlich durch regenerative Energien gedeckt werden. So müssen heute Strom aus dem Ausland zugekauft werden.

Sander leitete über zu Hauke Rathjen, Kommunikationsbeauftragter und Referent Kraftwerksleiter PreussenElektra GmbH (Brokdorf), der im Detail auf die Stilllegung und den Rückbau des einzigen Druckwasserreaktors in Deutschland einging und die Auswirkungen einordnete. Rathen: „Bis vor kurzem haben wir von hier aus 27 Prozent des Strombedarfs Schleswig-Holsteins bedient. Jeden Tag wurde von hier – in Abhängigkeit von den Energiemengen, die Wind und Sonne liefern - bis zu 1.440 Megawatt bereitgestellt.“ Das Verfahren sei sehr umweltfreundlich gewesen, „weil wir nichts verbrannt haben, sondern mit den Brennelementen ähnlich wie mit einem Tauchsieder Wasser erhitzt haben um Energie zu gewinnen.“ Heute müssten diese Leistung zum Teil aus dem Ausland zugekauft werden – vor allem, wenn das Wetter keinen Wind und keine Sonne „liefert“. Knut Frisch machte ergänzend deutlich, dass Brokdorf nicht mit dem Unglücksreaktor in Tschernobyl vergleichbar sei: „Dort wurde Graphit als Moderator genutzt, und das Kraftwerk diente der Produktion von Material für atomare Waffen.“ In Brokdorf sei die Stromerzeugung das einzige Ziel gewesen, und es sei als Moderator Wasser eingesetzt worden. Prozessketten, die in dem Kraftwerk in der heutigen Ukraine zu dem Unglück geführt hätten, seien so an der Elbe nicht möglich gewesen.

Kraftwerk  war weltweit effizient

Das Kraftwerk habe für Power aus der Kernenergie gestanden, so Rathjen weiter: „Zweimal sind wir seit Inbetriebnahme 1986 Weltmeister bei der zuverlässigen Stromproduktion gewesen und 21 Mal war unser Kraftwerk in den Top 10 weltweit.“ Wirtschaftlichkeit, Sicherheit, hohe Verfügbarkeit seien über 35 Jahre gegeben gewesen. Insgesamt seien 360 Milliarden Kilowattstunden produziert worden. Rathjen: „Die Energiewende ist wichtig und es ist gut, nachhaltige Ressourcen zu nutzen. Allerdings: Mit dem Abschalten auch unseres Kraftwerkes ist etwas kaputt gemacht worden, ohne zuverlässige Lösungen, die rund um die Uhr die erforderlichen Strommengen sicherstellen, bereits vorliegen zu haben.“ Vielen sei nicht klar, dass von einer zuverlässigen Stromversorgung maßgeblich der Wohlstand der Industrienation abhänge. Rathjen verwies dabei auf die Internet-Seite www.electricitymap.org, die stundenaktuell einen Überblick über Strommengen und deren Herkunft und Erzeugungsart gebe. „Auf der Seite lässt sich gut nachvollziehen, was die Entscheidungen in Deutschland, auf Energie aus Kohle und Kernkraft zu verzichten, bedeutet.“

Rückbau kostet eine Milliarde Euro

Rathjen informierte im Detail, wie es in den nächsten Jahren in Brokdorf weitergeht. Insgesamt werde der Rückbau etwa eine Milliarde Euro kosten, weil unter Einhaltung von Auflagen beispielsweise ein Zwischenlager für Brennstäbe neu gebaut werden muss und man auch eine kleine, neue  Energieerzeugungsanlage errichte, „damit wir für den Rückbauprozess keine Energie zukaufen müssen“.

 Aktuell seien von einstmals 500  noch knapp 300 Mitarbeiter vor Ort tätig. Technisch könnte die Anlage jederzeit wieder in Betrieb genommen, „aber neben einer neuen Betriebsgenehmigung, die lange Zeit dauern dürfte, fehlen uns dann Fachkräfte, Brennstäbe und mit fortschreitender Zeit wird es auch immer mehr Korrosionsschäden geben.“ Stromgewinnung aus Kernkraft in Brokdorf sei „durch“, so Rathjen etwas salopp.

Nur drei Prozent der Materialien radioaktiv

Ab 2023 ist vorgesehen, mit der Brennelemente-Entsorgung zu beginnen. Dann werde es Stück für Stück weitergehen. Rathjen: „Viele Fragen sind im Detail noch mit den zuständigen Genehmigungsbehörden zu klären. Wir müssen für alle verbauten Stoffe hier eine Freigabe zur Weiterverwendung einholen. Stand heute werden nur etwa drei Prozent der hier eingesetzten Materialien als radioaktiver Abfall eingestuft.“ Der Rückbauprozess dauere auch deshalb so lange, „weil alles in kleine handliche Stücke zerlegt werden muss und wir noch Lösungen finden müssen, wie mit den nicht als radioaktiv eingestuften Materialen umgegangen werden darf.

Unter den Teilnehmern sorgten die Darstellungen für viel Diskussions- und Gesprächsbedarf. – vor allem mit Blick auf eine zuverlässige Stromversorgung in Deutschland. Dabei standen zwei Fragen im Fokus. Zum Einen, ob ein kurzzeitiger Zusammenbruch der Stromversorgung  (Black-Out) zu einem gesellschaftlichen Umdenken beim Thema Nutzung der Kernkraft in Deutschland führen könnte, zum Anderen, inwieweit deutsche Energiepolitik als Konsequenz hat, dass aus Nachbarländern gegen höhere Kosten eine zuverlässige Energieversorgung zugekauft werden müsse. Eines schien jedenfalls klar: Kein Unternehmen wird absehbar wieder das Risiko eingehen, in Deutschland in Kernkrafttechnik zu investieren.