Bei Transformationsprozess nicht Schönheit sterben
PINNEBERG Es ist aktuell wohl das Thema, das die Menschen am meisten bewegt: Wie wird sich bis 2045 die Wärme- und Stromversorgung unter der Maßgabe der Klimaneutralität entwickeln? Welche Lösungen wird es in der Nach-Ära von fossilen Brennstoffen für Ein- und Mehrfamilienhäuser geben? Wie der Weg in der Stadt und im Kreis Pinneberg sein kann, darüber informierte sich die Sektion Pinneberg des Wirtschaftsrates bei einem Besuch der
Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Abfallbehandlung mbH (GAB) in Kummerfeld, bei dem neben einem Rundgang durch das Entsorgungszentrum auch die Stadtwerke Pinneberg aufzeigten, worauf es in den nächsten Jahren bei der Transformation der Wärme- und Stromversorgung ankommen wird.
Sander: Löwenaufgabe mit Frustpotenzial
Bereits bei der Begrüßung zeigte Sektionssprecher die Bedeutung des Gespräches auf. „Der gesamte Energiesektor mit Strom und Wärmeversorgung steht seit dem Krieg in der Ukraine unter Feuer. Der Strukturwandel und eine Effektivitätssteigerung sind eine große Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen.“ Mit Blick auf das Vorgehen der aktuellen Bundesregierung ergänzte er: „Die Regelungswut aus Berlin trifft die Unternehmen mit voller Wucht. Ludwig Erhard wäre außer sich. Es ist eine Löwenaufgabe mit hohem Frustpotenzial.“ Er freue sich, dass im Kreis Pinneberg mit der GAG und den Stadtwerken zwei Akteure verzahnt agieren und die Herausforderungen anpacken.
GAB: Wärmeversorgung für 4.500 Haushalte
Im ersten Teil gab Susanne Flor, bei der GAB zuständig für Umweltbildung, einen Überblick über die Leistungen und Perspektiven ihres Unternehmens mit Blick auf die Wärmelieferung an Haushalte und Firmen im Kreis Pinneberg. Nach einem kurzen Rückblick in die Geschichte der Müllverbrennung am Standort Tornesch seit 1974 zeigte sich auf, was aktuell durch die thermische Verwertung an Energie gewonnen wird. „Wir versorgen über eine sechs Kilometer lange Leitung mit drei Abzweigen insgesamt 3.200 Haushalte mit Strom und 4.500 Haushalte mit Wärme.“
Neubau des Heizkraftwerkes bis 2029 geplant
Bis zu 16.000 Anlieferung in das Müllheizkraftwerk (MHKW) im Jahr würden dafür sorgen, dass im Kreis die Müllentsorgung gewährleistet sei. Unter Berücksichtigung aller Auflagen mit Blick auf Umweltschutz und Emissionen werde statt einer Deponie über die Kraft-Wärme-Kopplung aus dem Müll Energie erzeugt werde. Aktuell sei die GAB dabei, die Weichen für die nächsten Jahre zu stellen. „Vorgesehen ist Neubau des Kraftwerkes mit einer Inbetriebnahme im Jahr 2029.“ Dieses Kraftwerk werde eine höhere Energieauskoppelung und durch modernere Abgasreinigung eine Reduzierung der Emissionen ermöglichen. „Darüber hinaus wird eine Machbarkeitsstudie zu Fernwärmetrassen erstellt, um auch in den Sommermonaten eine kontinuierliche Abnahme der Wärme bzw. des Stroms zu erreichen“, so Floor.
Symbiose aus Kraftwerk und Wärmeversorgung nicht bewusst
Den Blick auf die Nutzung der Leistungen aus dem Tornescher MHKW richtet der zweite Akteur des Tages. Thomas Behler, Geschäftsführer der Stadtwerke Pinneberg, berichtet über den Status Quo und die Perspektiven für die Wärmenetze der Stadtwerke. Gleich zu Beginn machte er deutlich, dass „die einmalige Symbiose für den Kreis und vor allem für die Stadt Pinneberg, die sich dem Kraftwerk der GAB ergeben, viel zu wenig im Bewusstsein der Menschen der Region sind“. Anhand von Zahlen verdeutlichte er die Bedeutung der Fernwärmenutzung. „Wir als Stadtwerke haben heute 2.500 Abnahmestellen der Fernwärme.“ Für ihn stehe fest, dass die politisch gewollten Veränderungen an die Wärme- und Stromversorgung mit Blick auf den Klimawandel „ohne die zu 55 Prozent CO2-neutralen Lieferungen der GAB deutlich erschwert würden.“
Behler: Anschlusszwang in verdichteten Räumen
Neben einigen technischen Aspekten, die auf die Effizienz eines Wärmenetzes eingingen, berichtet Behler, dass die Stadtwerke davon ausgehen, den bis 2025 geforderten Wärmeplan für die Stadt Pinneberg zu entwickeln. „Aus unserer Sicht ist klar: Wir brauchen für den hochverdichten Raum der Stadt eine Lösung mit Nutzung der Potenziale des Kraftwerkes und müssen darüber hinaus sehen, wo sich Potenziale durch Sonden oder Tiefengeothermie ergeben.“ Das gesamte System müsse „atmen“, um sich flexibel auf ein Wachsen oder Schrumpfen einstellen zu können. Es gehe darum, bei allen Überlegungen nicht nur das Thema der CO2-freien Energie im Blick zu haben, sondern auch eine nachhaltig betriebswirtschaftliche Lösung zu finden. „Fakt ist, wir werden eine völlig neue Wärmeabnahmesituation bekommen. Damit wir ein funktionierendes und wirtschaftliches Netz bekommen, benötigen wir sehr hohe Anschlussquote.“ Aus Sicht des Stadtwerke-Chefs müsse ein Anschluss- bzw. Nutzungszwang ideologiefrei diskutiert werden, „denn aus meiner Sicht gibt es keine Alternative zu einem Anschlusszwang in verdichteten Räumen“. Ohne Ordnungsrecht werde es seiner Ansicht nach nicht gehen.
Krankenhaus-Neubau ein Lottogewinn
Behler, der in der sich anschließenden lebhaften Diskussion kein Blatt vor den Mund nahm, skizzierte zudem die Möglichkeiten, die sich für Pinneberg in den nächsten Jahren konkret stellen. Es sei ein Segen, dass die GAB weiter als Lieferant bereitstehe. Es müsse darum gehen, die Potenziale des Rücklaufs als Quelle für kalte Nahwärme mehr zu nutzen und „die Entscheidung, das neue Krankenhaus in Pinneberg zu bauen, ist für die Stadtwerke und die Stadt wie in Lottogewinn, weil ein Krankenhaus energetisch im Prinzip ein kleines Kraftwerk ist“. Auch sei für ihn denkbar, im Umfeld des Klinikums aus energetischen Aspekten ein neues Schwimmbad zu bauen. Neben der GAB-Lösung sei Plan B neben Sonden in bis zu 200 Meter tiefe die Tiefengeothermie. „Wenn wir das Erkundungs- und Ergiebigkeitsrisiko in den Griff bekommen, dann haben wir auch eine Chance, mit dieser Lösung Altimmobilienbestände in den Griff zu bekommen“, so Behler. Das Bohrrisiko sei extrem kapitalintensiv und er hoffe, dass hier das Land Schleswig-Holstein die Last mittrage, denn Stadtwerke seien überfordert, für Erkunden in 2.500 Meter Tiefe die Kosten von bis zu 10 Mio. Euro zu tragen. Behler: „Wir müssen bei der klimaneutralen Aufstellung insgesamt einen funktionierenden Transformationsprozess hinbekommen, der nachhaltig und wirtschaftlich ist, und dürfen nicht in Schönheit sterben.“
Zur Sache:
GAB und Stadtwerke Pinneberg
Die Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Abfallbehandlung mbH (GAB) mit Sitz in Kummerfeldwandelt im Jahr 80.000 Tonnen Haus- und Sperrmüll sowie Sortierreste in Strom und Wärme um. Dazu wird im Müllheizkraftwerk in Tornesch Restabfall bei bis zu 1.000 Grad Celsius verbrannt, Energie durch Kraft-Wärme-Kopplung freigesetzt und anschließend in Strom und Wärme umgewandelt. Mit dieser Energie speist sie vor allem das Fernwärmenetz der gesamten Stadt Pinneberg und versorgt tausende Wohnungen mit heißem Wasser. Die anfallende Schlacke wird als Zwischenschicht im Straßenbau weiter verwertet. Die GAB beschäftigt mit seinen Tochterunternehmen 350 Mitarbeiter in unterschiedlichsten Bereichen der Ver- und Entsorgung und gehört zu 51 % dem Kreis Pinneberg und zu 49 % der Remondis GmbH. Das Unternehmen betreibt neben dem Müllheizkraftwerk auch eine Kompostier-sowie eine Vergärungsanlage, diverse Recyclinghöfe in Pinneberg und Steinburg sowie Container- und Entsorgungsdienste. Darüber hinaus vermarktet es neben der Wärme als Einspeiser auch Strom an der Börse und bildet jedes Jahr in sechs Berufsbildern aus.
Die Stadtwerke Pinneberg sind ein kommunaler Wärmenetzbetreiber, der über ein Versorgungsnetz von 52 Kilometern verfügt und über ein Anschlussnetz von 17 Kilometern Hausanschlüsse in Pinneberg mit Wärme versorgt.
Bildunterzeile:
Konzepte für die klimafreundliche Wärme- und Stromversorgung im Kreis Pinneberg waren das Thema der Sektion Pinneberg. Sektionssprecher Jens Sander (rechts) freute sich über die Referenten (von links) Marek Wilken und Thomas Behler (beide Stadtwerke Pinneberg) sowie Susanne Flor (GAB).