„Ich bin ein Fan des Nationalparks Ostsee"
Zu einem „konfliktreichen Thema“ konnte Karsten Kahlcke als Sprecher der Sektion Ostholstein/Plön Mitglieder aller an die Ostsee angrenzenden Sektionen des Wirtschaftsrates Schleswig-Holstein begrüßen. Gemeint war die geplante Errichtung eines Nationalparks Ostsee, die Bewohner, Gewerbetreibende, Tourismusunternehmen und die Fischerei seit Monaten umtreibt. Dabei sei klar: Alle wollten Naturschutz, so Kahlcke. Aber genauso müssten die Grundlagen der Wirtschaft erhalten bleiben. Die Menschen hätten Angst vor Einschränkungen für den Tourismus und die Schifffahrt, aber auch vor einer neuerlich überbordenden Bürokratie. Erforderlich sei daher keine ideologische, sondern eine faktenorientierte Politik.
Der Adressat dieser Worte war selbst zugegen: Umweltminister Tobias Goldschmidt gilt als größter Verfechter eines Nationalparks Ostsee. Er bekräftigte zu Beginn seiner Ausführungen, Ziel jeglicher Politik müsse es sein, ein gutes und gesundes Leben für alle Menschen zu gewährleisten. Daher verfolge man durchaus das gleiche Ziel, nur bei den Antworten weiche man hin und wieder ab. Dabei seien die Zeichen alarmierend.
Auf Basis der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie MSRL ergebe sich für die Ostsee, dass die Bereiche Boden, Nahrungsnetze, Meeresvögel, Säugetiere und Fische in einem gleichbleibend schlechten Zustand seien. Hierfür gebe es mehrere Gründe. Da sei zum einen die Beschaffenheit der Ostsee als flaches Binnenmeer mit nur geringem Wasseraustausch (anders als die Nordsee). Ein weiterer Grund sei die Eutrophierung, also die Übersättigung mit Nährstoffen. Hierbei sei für 70 % des Stickstoffs und 40 % des Phosphors die Landwirtschaft verantwortlich. Schadstoffe wiederum gelangten durch industrielle Einleitungen über die Flüsse und die Luft ins Wasser; Munitionsreste aus dem 2. Weltkrieg lösten sich zunehmend auf.
Tote Robben und verendete Zahnwale seien verstärkt aufzufinden; Gründe hierfür seien Speed-Boote, Schadstoffe, Netze und der Mangel an Fisch als Nahrung. Von den Seevögeln sei lediglich der Bestand der Pflanzenfresser in einem guten Zustand; generell aber litten die Vögel an Störungen, Schadstoffen und Eutrophierung. Daher müssten für diese Tiere Ruhe- und Rückzugsräume geschaffen werden, in denen die Natur Vorrang habe vor dem Menschen. Und dies könne im Gegensatz zu Naturschutzgebieten nur ein Nationalpark leisten.
Nationalparke hätten zudem auch stets einen touristischen Aspekt; in Einrichtungen wie dem Multimar Wattforum in Tönning beispielsweise würden die Menschen etwas über den Lebensraum Wattenmeer lernen. Außerdem gebe es ja auch bereits in der Ostsee im Rahmen der Natura 2000-Gebiete ausgewiesene Schutzflächen.
Wie geht es weiter? Nach den umfangreichen Konsultationen mit der Bevölkerung und den Verbänden warte man nun auf die Zusammenfassung des externen Moderators. Natürlich sei auch ihm nicht entgangen, dass der schwarze Koalitionspartner in Kiel sich mittlerweile gegen den Nationalpark Ostsee ausgesprochen habe, so der Minister. Er sei dennoch zuversichtlich, dass eine Einigung erzielt werden könne.
Lebhafte Diskussion
In der anschließenden Diskussion stellten Mitglieder die Frage, ob Naturschutz den Menschen automatisch zurückdrängen müsse oder ob es auch eine andere Form des Naturschutzes gebe. Goldschmidt entgegnete, die Antwort bewege sich im Spannungsfeld zwischen Darwin („Was gegen die Natur ist, wird untergehen“) und der Bibel („Machet Euch die Welt untertan“). Es werde daher auch immer einen Gegensatz geben zwischen Wildwuchsflächen und gemanagtem Naturschutz.
Die Mitglieder verwiesen auf eine Studie, der zufolge es keinen Zusammenhang gebe zwischen der Höhe der Düngung und der Austragung der Nährstoffe. Auch widerspreche man der direkt oder indirekt geäußerten Vorhaltung, die Landwirte trügen mutwillig zur Eutrophierung bei. Jeder Landwirt gehe kostenbewusst mit dem Einsatz von Dünger um.
Mit Blick auf die Einleitungen in die Ostsee wurde auch die Hormonbelastung durch Medikamente thematisiert. In der Tat, so räumte Goldschmidt ein, brauche es hierfür die 4. Klärstufe in den Kläranlagen. Zu überlegen sei, ob sich an den Kosten für deren Einrichtung nach dem Verursacherprinzip auch die Pharmaindustrie beteilige.
Immer wieder kam die Frage auf, ob es nicht bereits ausreichend rechtliche Möglichkeiten gebe, die Ostsee zu schützen, beispielsweise durch die Bergung der Munition, die Begrenzung der Eutrophierung oder die engere Zusammenarbeit mit den Anrainerstaaten. Der Umweltminister hielt dem entgegen, es gebe bisher jedoch keine Möglichkeit, das Verhalten des Menschen in den ausgewiesenen Gebieten einzuschränken. Dies könne nur ein Nationalpark.
Mehrere Teilnehmer wiesen darauf hin, es gehe nicht um ein Pro oder Contra Naturschutz; vielmehr sei die Wahl des Mittels – der Nationalpark – fraglich und erzeuge in der Bevölkerung Skepsis und Angst vor Bürokratie. Natürlich sei niemand gegen mehr Schutz. Goldschmidt räumte ein, diese Ängste müssten ernst genommen werden. Jedoch sei niemand an Land betroffen. Einschränkungen für Segler und Surfer gebe es bestenfalls regional und zeitlich begrenzt. Und lediglich im Kernbereich des geplanten Nationalparks seien weder Entnahmen noch Einleitungen erlaubt.
Ein Vorschlag zur Begrenzung der zu erwartenden Kosten durch hauptamtliche Ranger und eine neue Behörde sah die vermehrte Einbindung von ehrenamtlichen Helfern vor. Dies sei in der Tat eine sinnvolle Ergänzung, so der Minister.
Die spannende Frage am Schluss der Veranstaltung lautete: Wie wird sich die Koalition unter diesen Vorzeichen einigen? Dazu meinte Goldschmidt: „In der Koalition diskutieren wir immer intern. Das werden wir auch in diesem Fall tun. Aber wie auch immer die Entscheidung am Ende lauten wird: Ich bin und bleibe ein Fan des Nationalparks.“