„Wir reden zu viel von Panzern, Flugzeugen und Kriegsschiffen“

Der Start der neuen Bundesregierung war begleitet von einem Paradigmenwechsel: Die Schuldenbremse wurde für einen Infrastrukturfonds und die Verteidigungsausgaben aufgehoben. Wie war dieser Sinneswandel zustande gekommen? Und wie lässt er sich ökonomisch rechtfertigen?
Reinhardt Hassenstein, Sprecher der Sektion Kiel, konnte einen der geistigen Wegbereiter dieses Sinneswandels zum Mittagsgespräch im Kieler Kaufmann begrüßen. Unter dem Titel "Reform der Schuldenbremse – Zwischen Stabilität und Flexibilität?“ legte Prof. Dr. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), dar, wie sich die neuen Schulden auf die Konjunktur und die Verteidigungsfähigkeit des Landes auswirken würden.
Noch im Jahr 2023 titelte der Economist von Deutschland als dem neuen „Kranken Mann von Europa“. Seitdem, so Schularick, hätte der DAX um 70 Prozent zugelegt. Alles gut also? Nein, denn das BIP verharre nach wie vor auf dem Stand von 2020. „Wir haben also ein halbes Jahrzehnt verloren“, so der Ökonom. Für das Jahr 2026 prognostiziere sein Institut jedoch ein Wachstum von 1,6 Prozent; hierbei sei „Trump“ bereits eingepreist. Zusammen mit einer angenommenen Inflationsrate von 1,5 Prozent ergebe dies ein nominales Wachstum von rund 3 Prozent.
Die 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur stellten ohne Zweifel eine Finanzwende dar, so Schularick. Sie machten aber abzüglich Zinsen und verteilt auf 12 Jahre lediglich ein Prozent des Bundeshaushaltes aus. Für die Verteidigung würden mit 100 Milliarden Euro und dem bereits vorhandenen Verteidigungshaushalt von ungefähr 50 Milliarden Euro dreimal so viel ausgegeben. Rechne man noch die Erhöhung der Schuldengrenze der Länder von 12 Milliarden Euro hinzu, ergebe dies eine Gesamtsumme von 165 Milliarden Euro jährlich; dies entspreche 3,7 Prozent des BIP. Je nach angenommenem Wirtschaftswachstum erhöhe sich die Schuldenquote der Bundesrepublik damit auf 71 Prozent (bei einem Wachstum von 3,5 Prozent) oder 75 Prozent (bei 2,5 Prozent Wachstum).
Der Volkswirt hält diese Größenordnung für gerechtfertigt, mahnt aber an, die Mittel müssten „richtig“ ausgegeben und Strukturreformen mutig umgesetzt werden. Die Investitionen in die Infrastruktur seien notwendig. Gegenüber seinen Nachbarn Dänemark, den Niederlanden und Frankreich habe Deutschland mittlerweile eine Investitionslücke von 20 Prozent, die sich in den letzten Jahren aufgetan habe.
Der IfW-Präsident warf an dieser Stelle einen Blick zurück in die Geschichte: Noch in den 1980er Jahren unter Helmut Kohl sei der Staat in der Lage gewesen, Investitionen dieser Größenordnung aus dem laufenden Haushalt zu leisten. Im Unterschied zu heute musste damals aber auch nicht jeder dritte Euro als Zuschuss an die Rentenkasse abgeführt werden. Somit zeige sich deutlich, dass die hohe Belastung durch Sozialausgaben den Weg für Investitionen in die Zukunft verbaue.
Bei der Verteidigung mahnte Schularick ein Umdenken an: „Wir denken noch immer viel zu sehr an Panzer, Flugzeuge und Kriegsschiffe. Dabei brauchen wir Investitionen in Drohnen, automatisierte Systeme mit KI, Kommunikationsfähigkeit (z.B. Satelliten) und Raketenschutzschirme.“ Elon Musks „Starlink“ habe beispielsweise „nur“ 10 Milliarden Euro gekostet. Europa brauche ein vergleichbares Programm. Zudem förderten Militärausgaben das BIP: Ausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro in diesem Sektor sollten 50 Milliarden Euro BIP-Wachstum generieren. Auch müsse Deutschland einen weitaus größeren Teil seines Verteidigungsetats in Forschung und Entwicklung investieren. Hieraus ergäben sich enorme Spillover-Effekte auf die restliche Wirtschaft. Die USA und Israel nutzten dieses Phänomen, indem sie 15 bzw. 20 Prozent ihrer Militärausgaben in F&E investierten. In Deutschland liege diese Quote unter einem Prozent.
Notwendig für ein Gelingen der Finanzwende und ein Übergreifen auf die Wirtschaft seien aber die Entbürokratisierung und die Digitalisierung von Prozessen, so der gebürtige Berliner. Jedoch mache er sich genau darum angesichts der desolaten Lage der Sozialdemokraten große Sorgen: Sie hätten weder die Kraft noch den Mut, die erforderlichen Reformen insbesondere im Sozialbereich anzugehen. Dabei brauche es gerade in diesem Bereich mutige Entscheidungen, beispielsweise bei der Frage der Lebensarbeitszeit.
Für Pragmatismus warb Schularick hingegen beim Blick auf den Zollkonflikt mit den USA. Der Außenhandel Deutschlands mit den Vereinigten Staaten betrage gerade einmal 10 Prozent. Zölle hierauf seinen zwar schmerzhaft, aber verkraftbar. Viel bedrohlicher sei hingegen die militärische Abhängigkeit von den USA, an der sich kurzfristig nichts ändern werde.
Und wie wird es am Ende mit der Schuldenbremse weitergehen, für die sich insbesondere der Wirtschaftsrat seit langem und mit Vehemenz einsetzt? Der Ökonom glaubt hier an die Rückkehr zur „Goldenen Regel“, Schulden also künftig nur noch für echte (!) investive Zwecke.