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Medienresonanz
26.12.2021
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Europas Fiskalpolitik hängt an Deutschlands Glaubwürdigkeit

Gastkommentar Wolfgang Steiger in der Frankfurter Allgemeine Zeitung
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Wen kann Deutschland in Europa von solider Finanzpolitik überzeugen, wenn seine neue Bundesregierung schon zum Start die eigenen verfassungsmäßigen Haushaltsregeln missachtet? Dabei geht es um weit mehr als 60 Milliarden Euro Schulden mehr oder weniger. Zum ersten Mal seit mehr als einer Generation sehen sich die Menschen in Europa mit rasanten Preissteigerungen konfrontiert, und die Inflation hat Corona als Sorge Nummer eins für Unternehmer abgelöst. Die Allianz hat ausgerechnet, dass die aktuelle Inflation die Deutschen jeden Monat sieben Milliarden Euro Kaufkraft kostet. Das sind 84 Milliarden Euro Kaufkraftverlust im Jahr 2021 - eine gewaltige versteckte Steuererhöhung. Wobei der Verlust der Bürger sehr ungleich verteilt wird. Denn das Gift der Inflation wirkt wie eine degressive Steuer und trifft gerade Menschen mit geringem Einkommen am härtesten. Das zeigt eindrucksvoll, dass der Weg über billiges Notenbankgeld und hohe Staatsschulden nicht nachhaltig ist.

Doch während der Koalitionsvertrag vorsieht, dass neue Gesetzentwürfe künftig einem Klimacheck oder einem Digitalisierungscheck unterzogen werden, wird ein Inflationsbezug für neue Maßnahmen nicht hergestellt. Dabei haben Mindestlohnerhöhung, Vorratsverschuldung über Nachtragshaushalte oder mögliche europäische Schuldenaufnahmen offensichtlich erheblichen Einfluss. Viele der Klimaschutzmaßnahmen treiben eine zusätzliche "grüne Inflation" an. Die Transformation der Wirtschaft in Richtung Dekarbonisierung lässt Energie und Produkte teurer werden.

Bemerkenswerterweise wird die Sorge vor steigender Inflation im Koalitionsvertrag sogar explizit genannt. Das Plädoyer der Ampelkoalitionäre an die europäischen Partner, dass die Preisstabilität sich nur dann sichern lässt, wenn sie ihrer Verantwortung in der Haushaltspolitik nachkommen, ist vollkommen richtig. Allerdings hat das keinerlei Mehrwert, wenn diese Bundesregierung hier nicht auch eine glaubwürdige Vorbildfunktion einnimmt. Und genau bei dieser Frage bleibt unklar, was des finanzpolitischen Pudels Kern der Ampelkoalition sein wird.

Die Koalitionspartner bekennen sich zwar erfreulicherweise zur Einhaltung der Schuldenbremse. Doch sowohl Einhaltung als auch Schuldentilgung werden in die Zukunft geschoben. Dazu werden potentielle Pipelines zur Aushöhlung um die Schuldenbremse gebaut. Mit dem Nachtragshaushalt hat sich die Ampel schon einen gewaltigen Schluck aus der Schuldenpulle gegönnt, bevor von 2023 an die Schuldenbremse wieder bindet. Diese Vorratsverschuldung widerspricht dem Geist der Schuldenbremse ebenso fundamental wie die Schaffung von Schattenhaushalten über Investitionsvehikel. Investitionsgesellschaften, bei denen private Investoren einbezogen, das Haftungsprinzip eingehalten und Preissignale zugelassen werden, können durchaus ein wichtiges Instrument sein. Als Regierungs-Beiboot, mit dem Ziel die Schuldenbremse zu umschiffen, sind sie dagegen untauglich.

Besonders wichtig werden die Beiträge der neuen Bundesregierung zur Stärkung des EU-Stabilitätsrahmen sein, der in den vergangenen Jahren massiv deformiert wurde. Die erstmalige eigene EU-Verschuldungskompetenz, die immer engere Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik und die Explosion der Staatsschulden zeugen davon. Doch die Souveränität Europas erreicht man nicht über gemeinsame Schulden, deren Finanzierung in eine ferne Zukunft verschoben wird.

Auffällig ist, dass nahezu jedes Mal, wenn im Koalitionsvertrag über nachhaltige Staatsfinanzen geschrieben wird, sie gemeinsam in einer Aufzählung und auf gleicher Ebene wie klimafreundliche Investitionen stehen. So soll der EU-Stabilitätspakt die Schuldentragfähigkeit erhalten und für klimafreundliche Investitionen sorgen. Das zeugt von einem klassischen Formelkompromiss. Diese Ziele werden sich schnell als gegenläufig erweisen, was dann eine klare Entscheidung über die Priorisierung der politischen Ziele erfordern wird.

Ein positives Zeichen ist die bewusste Betonung, dass der EU-Wiederaufbaufonds zeitlich und in der Höhe begrenzt ist. SPD und Grüne wollten den Fonds bisher zu einer Dauereinrichtung machen, was die gemeinsame europäische Schuldenaufnahme perpetuiert und die Stabilitätskultur geschwächt hätte. Doch wird es wirklich gelingen, dieses Instrument - dessen Einführung Olaf Scholz euphorisch als europäischen "Hamilton-Moment" gefeiert hat - auslauten zu lassen?

Stabiles Geld ist die unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft. Es ist der Primus inter Pares der konstituierenden Prinzipien unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Ein lauwarmes Bekenntnis zu Schuldenbremse und Stabilitätspakt ist deshalb nicht ausreichend. Das Schöpfen von Geld aus dem Nichts und eine dauerhafte Schuldenpolitik führen in die Transferunion, zur Destabilisierung des Euros und zur Inflation. Die neue Bundesregierung und ihr neuer Finanzminister Christian Lindner werden daran gemessen, ob sie in Europa zu glaubwürdigen Haushaltswächtern werden.

Wolfgang Steiger ist Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.