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Medienresonanz
13.06.2024
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Müssen wieder auf den Wachstumspfad

Die Glocke

Präsidentin Astrid Hamker sprach im Vorfeld des Wirtschaftstages mit Die Glocke über drängende Themen der Wirtschaft.
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„Die Glocke“: Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union im internationalen Maßstab?

Hamker: Die letzte Kommission war eine Kommission der Regulierung. Die neue Kommission muss sich als Kommission der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation aufstellen, wenn wir international auch in Zukunft eine Rolle spielen sollen. Nur gemeinsam, als starke EU, können wir mit den großen Industrienationen USA und China konkurrieren. 

„Die Glocke“: Was erwarten Sie nach der Europawahl von der neuen EU-Kommission?

Hamker: Europa und Deutschland müssen zurück auf den Wachstumspfad gelangen. Das wird nur gelingen mit mehr Freiheit, weniger Bürokratie, neuen Freihandelsabkommen, einer klaren Agenda für Innovation und einer Regulierung für neue Technologien wie etwa Künstliche Intelligenz, die der Wirtschaft den Rahmen, aber nicht jedes Detail vorschreibt. Europa muss sich wieder auf seine Stärken besinnen und vor allem in der Handelspolitik neue Wege suchen, die in der letzten Legislaturperiode sträflich vernachlässigt wurde. Und dass in einer komplizierter werden Welt, in der Abschottung wieder auf der Tagesordnung steht und die Regeln internationaler Institutionen wie der WTO eher missachtet werden. 

„Die Glocke“: Die Energiepreise sind in Deutschland im europäischen Maßstab nach wie vor sehr hoch. Wie belastend ist das für die Unternehmen? Wie sollte die Politik gegensteuern?

Hamker: Die hohen Energiekosten sind ein echter Standortnachteil für unsere gesamte Wirtschaft. Sehr empfindlich treffen diese Preise alle energieintensiven Branchen. Wir hatten uns zu abhängig von den russischen Gaslieferungen gemacht und selbst das Angebot noch massiv durch den Ausstieg aus der Kernenergie verengt. Neben dem Kernkraft-Aus leisten wir uns auch an anderer Stelle zu viel Ideologie: Die Kohlendioxid-Abscheidung ist jetzt erst wieder erlaubt worden. Bei der Nutzung der Erdwärme und auch eigener Gasförderung gibt es diese ideologischen Blockaden weiter.   

„Die Glocke“: Zum Ausbau der Übertragungsnetze: Sie haben sich in einem Positionspapier mit der Klimaunion für eine Streichung des Erdkabelvorrangs im Gesetz und eine Ausführung dieser Leitungen als Freileitungen ausgesprochen. Warum?

Hamker: Zeit und Geld spielen hier die entscheidende Rolle. Wir müssen schneller den Windstrom in die Industriezentren nach Süden bringen. Das geht viel zügiger mit Freileitungen, die dazu noch rund 20 Milliarden Euro weniger kosten. Viel Geld, das auf den Strompreis aufgeschlagen würde oder aus der Steuerkasse fließen müsste. 

„Die Glocke“: Der Wirtschaftsrat hat bei der Bundesregierung immer wieder Steuerentlastungen und ein Entbürokratisierungspaket angemahnt. Hat es mittlerweile Fortschritte gegeben?

Hamker: Die Steuerentlastungen sind zu wenig. Sowohl die Arbeitnehmer, die Leistungsträger in den Betrieben, als auch die Unternehmen zahlen zu hohe Steuern und Abgaben. Da muss sich endlich etwas tun, damit wir im Wettbewerb um Köpfe wie um Investitionen nicht weiter zurückfallen. Und an der Bürokratie-Front hat sich nicht nur nichts getan, sondern sie ist schlimmer geworden. Mindestens „One-in-two-out“ ist mehr als überfällig. Aber dazu muss sich ein grundlegender Wandel in Deutschland und vor allem in Brüssel vollziehen. Die überbordende Bürokratie gründet zu einem gutteil auf einem Misstrauen gegenüber Unternehmen. Und das rührt daher, dass der Staat seine Kontrollfunktionen nicht mehr wahrnimmt, sondern dies den Betrieben ins Stammbuch schreibt. 

„Die Glocke“: Mittelständische Unternehmen gelten als tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Hat die Politik ihre speziellen Bedürfnisse ausreichend im Blick?

Hamker: Ganz klar Nein! Das spüren wir nicht nur beim Thema Bürokratie, sondern beklagen dies an fast allen Fronten. Große Unternehmen können Produktionen aus Deutschland weg verlagern. Kleine und mittlere Betriebe sind oft so standortgebunden, dass sie nicht ausweichen können. 

„Die Glocke“: Sie haben Wirtschaftsminister Robert Habeck vor einem Jahr mit harschen Worten empfangen. Von „Ernüchterung, Enttäuschung und Verbitterung“ aufseiten der Wirtschaft wegen seiner Politik war die Rede. Hat sich der Minister die Kritik zu Herzen genommen?

Hamker: Ich werde auch in diesem Jahr wieder klar benennen, wo umgesteuert werden muss. Die Lage hat sich in den vergangenen zwölf Monaten verschlechtert, die FDP hat zumindest leichte Entlastungen gegen SPD und Grüne durchgesetzt. Herr Habeck muss auf jeden Fall mehr an die Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit als vor allem ans Klima.

 „Die Glocke“: Sie kritisieren die Rente mit 63 und fordern eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Bei vielen Arbeitnehmern dürften Sie damit auf wenig Verständnis stoßen, auch weil in Nachbarländern wie Frankreich ein viel früherer Renteneintritt möglich ist…

Hamker: Wir müssen uns hier in Deutschland nur die Alterspyramide anschauen, dann sehen wir, dass die junge Generation diese großen Lasten nicht allein schultern kann. Wir müssen notgedrungen den Renteneintritt an die steigende Lebenserwartung anpassen. Populär ist das nicht, aber ich glaube an das Verständnis der Großeltern- und Elterngeneration für ihre Enkel und Kinder.

„Die Glocke“: Wen wünschen Sie sich als Kanzlerkandidaten der Union: Friedrich Merz, Hendrik Wüst oder Markus Söder?

Hamker: Da bin ich natürlich positiv befangen. Friedrich Merz ist da für mich als mein früherer Vizepräsident hier im Wirtschaftsrat klar gesetzt. Ich habe ihn als klugen Kopf, geduldigen Strategen und an die Zukunft denkenden Politiker kennengelernt, der Konservatismus als Klammer für den Fortschritt interpretiert. Das gefällt mir.