Massive Staatszuschüsse und die Vergemeinschaftung von Schulden müssen Tabu sein
Wolfgang Steiger: Klare Zweckbindung auf Wachstumsinvestitionen festschreiben und Pandemiebetroffenheit wie Wirtschaftskraft berücksichtigen
„Es geht bei dem Wiederaufbaufonds um beispiellose Summen. Gleichzeitig sind elementare Fragen vollkommen ungeklärt. Die grundlegende Frage der Finanzierung wird einfach in die Zukunft verschoben. Die Tatsache, dass politische EU-Programme von der Lissabon-Strategie über das 2009 verabschiedete europäische Konjunkturprogramm EERP bis zum Juncker-Fonds sich allesamt nicht als das erhoffte Wundermittel erwiesen haben, wird gleich komplett ausgeblendet. Das unausgewogene Verhältnis von Krediten und Zuschüssen oder die bislang nicht erkennbare wirkungsvolle Kontrolle der Ausgaben lassen befürchten, dass auch der Wiederaufbaufonds nicht die versprochenen Investitionen in die Zukunft liefert, sondern einen weiteren „bail out“ der Vergangenheit darstellt.
Der Vorschlag der EU-Kommission setzt mit 500 Milliarden in Form von Staatszuschüsse missverständliche Signale. „Statt immer größere Geldsummen ins Schaufenster zu stellen, braucht Europa ein Konzept mit konkreten Innovationsprojekten wie etwa dem Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur und der Stärkung des Binnenmarkts für mehr Wachstum. Dabei hilft die Vertiefung der Energieunion, die Gestaltung eines digitalen Ordnungsrahmens oder das Heben der enormen Potentiale im sicherheitspolitischen Bereich. Wichtigstes Ziel muss es jedoch sein, die Wettbewerbsfähigkeit aller EU-Staaten nachhaltig zu verbessern“, betont Wolfgang Steiger.
Die Rechnung der EU-Kommission die Staatsschuldenkrise einiger Euroländer mit immer neuen Rettungsinstrumente aufzufangen und gleichzeitig Strukturreformen und verbindliche Haushaltspolitiken einzufordern, ist bislang immer wieder gescheitert. Haftungssummen wurden immer weiter ausgeweitet, aus zeitlich befristeten Maßnahmen wurden Dauerzustände und Kontrollen und Verbindlichkeiten wurden aufgeweicht. Dieses Muster darf sich beim Wiederaufbaufonds nicht wiederholen. „Jetzt ausgerechnet das Europäische Semester zum Kernstück zu machen, ist aufgrund der bisher fehlenden Bindungswirkung irritierend. Keinesfalls ausgehebelt werden darf zudem das Verbot der gemeinsamen Schuldenaufnahme. Das Merkel-Macron-Modell begrenzt die Haftung der Mitgliedstaaten, könnte aber den ersten Schritt in eine Schuldengemeinschaft begründen“, kritisiert Wolfgang Steiger. „Zumal wir kein Liquiditätsproblem in der Eurozone haben, sondern ein Schuldenproblem, das durch einen Wiederaufbaufonds weiter manifestiert würde.“
Kritisch wertet der Wirtschaftsrat am vorgeschlagenen EU-Wiederaufbaufonds zudem, dass die Schulden des Wiederaufbaufonds aus künftigen EU-Haushalten ab dem Jahr 2028 zurückgezahlt werden sollen. Ähnlich wie die Nullzinspolitik der Notenbank spricht das für eine Kultur der Kurzfristigkeit. Europa wirtschaftet heute auf Kosten der Zukunft und verschiebt die Zahlungen wie auch die kritischen Fragen, wer zahlt wofür, ebenfalls auf Morgen.
„Statt staatlicher Zuschüsse brauchen wir, wie von den ‚sparsamen Vier‘ vorgeschlagen, refinanzierbare Finanzinstrumente wie Kredite, um Wettbewerbsfähigkeit und Eigenverantwortung zu fördern“, fordert Wolfgang Steiger. „Klar sein muss bei jeder Kompromisslinie: Beihilfen müssen zeitlich begrenzt ausfallen, an Reformbedingungen geknüpft sein und die Betroffenheit der EU-Staaten sowie ihre Wirtschaftskraft berücksichtigen“, fordert Wolfgang Steiger. „Es kommt entscheidend auf die Ausgestaltung und die Verwendung der Mittel an, damit Europa der nächsten Generation Zukunftschancen und nicht nur immense Schuldenberge vererbt.“