Keine Denkverbote mehr
Interview mit Wolfgang Steiger in der Beilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Wirtschaftstag 2022
Wie müssen wir der starken Inflation begegnen?
Die Europäische Zentralbank (EZB) muss zügig ihre expansive Geldpolitik zurückfahren. Der Grundstein für die Inflation wurde nämlich durch Niedrigzinsen und das Anleihekaufprogramm der EZB gelegt – auch wenn Lieferengpasse aufgrund von Krieg und Pandemie ihr Übriges leisten. Die Geldpolitik hat viele Länder zum Schuldenmachen verleitet. Zinserhöhungen, als übliches Mittel der Inflationsbekämpfung, hätten daher massive Auswirkungen auf die Finanzen vieler EU-Partner. Deshalb sind erste Schritte jetzt notwendig, um das Signal an die unsolideren Länder zu senden: ihr müsst umsteuern!
Wie würde unser Land heute dastehen, wenn wir zuerst aus der Kohlekraft und erst dann aus der Kernenergie ausgestiegen wären?
Vermutlich wäre unsere CO2 -Bilanz bereits seit Jahren eine bessere. Unsere Gasimporte aus Russland wären nur ein kleiner Teilaspekt unseres Energiemixes. Vermutlich könnten wir bei der Unterstützung der Ukraine voraus gehen, und müssten nicht von den internationalen Partnern in der EU und der NATO ständig „besonders motiviert“ werden. Der befristete Weiterlauf der Kernkraftwerke ist sauber, fortschrittlich und macht uns unabhängiger von kurzfristigen Lieferengpässen. All dies galt schon vor dem 23. Februar 2022. Doch erst jetzt ist den meisten klar geworden, wie schwer die Bedeutung dieser Faktoren ist. Die Gesellschaft hatte sich selbst in der Energiefrage ein Denkverbot erteilt. Es durfte nicht sein, was nicht sein sollte.
Gilt das auch für die Verteidigungspolitik?
Ja, die Bundeswehr und die Verteidigungsindustrie wurden vielfach als archaisches Überbleibsel einer dunkleren Zeit verunglimpft – nicht mehr notwendig im 21. Jahrhundert. Wie schmerzhaft sind wir doch aus diesem Traum herausgerissen worden, obwohl unsere osteuropäischen Partner uns lange versucht haben zu wecken. Doch so schnell wie die Bundesregierung auf die neue Lage reagierte, so schnell haben sich nun die üblichen Bedenkenträger formiert. Es gibt bereits Stimmen, die Teile des 100 Milliarden Pakets für die Bundeswehr für den klimagerechten Ausbau von Kasernen oder die Entwicklungshilfe abzweigen wollen. Das Geld muss ausschließlich für Material und Ausrüstung bereit stehen.
Umlenken in der Energiepolitik, Neuaufstellung der Bundeswehr: Kostet das nicht alles sehr viel Geld?
Selbstverständlich gibt es das nicht zum Nulltarif. Der Staat muss sich aber auch langfristig Handlungsoptionen frei halten. In der gesamten EU sind die Staatsschulden auf ein sehr bedenkliches Maß gestiegen. Wie sollen künftige Generationen freie Entscheidungen treffen können, wenn ein Großteil des Steueraufkommens der Schuldentilgung dienen muss? Deshalb muss die Wirtschaft gerade in dieser Phase entfesselt werden. Ob nun neue Steuern oder auch eine überbordende Bürokratie: die Maßnahmen, mit dem wirtschaftliches Handeln erschwert wird, füllen ganze Bücher. Nur eine mit passenden Rahmenbedingungen entfesselte und erfolgreiche Wirtschaft kann den Staat gut finanzieren.