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Standpunkt 31.10.2024
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Standpunkt Steiger: Alle auf die 9!

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Eine Szene, wie sie sich jede Woche in Deutschlands Fußballstadien abspielt. Der gegnerische Stürmer bekommt den erhofften Einwurf nicht. Doch, statt den Ball dem Gegner abzugeben, schmeißt er ihn provokativ drei Meter nach hinten. Im Stadion breitet sich zunächst ein empörtes Raunen aus und nach wenigen Sekunden ertönt ein lautstarkes „Alle auf die 9, alle auf die 9, alle, alle, alle auf die 9.“ Die Nummer 9 des politischen Berlins, auf die sich die ganze Tribüne emotional einschießt, scheint die Schuldenbremse zu sein. Und in der Tat ist die Qualität der Angriffe auf die Fiskalregel mittlerweile von grölenden Fußballschlachtrufen kaum mehr zu unterscheiden.

Die Schuldenbremse erweise sich "mehr und mehr als Zukunftsbremse", ruft SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken. Robert Habeck sieht in ihr gar den entscheidenden Faktor, der uns von den wirtschaftlich erfolgreichen Staaten unterscheidet. Der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sekundiert umgehend und personifiziert das angebliche Problem Deutschlands sogar: Friedrich Merz, Markus Söder und Christian Lindner seien mit dem Beharren auf die Einhaltung der Schuldenbremse der „Sand im Getriebe“ des Wirtschaftsstandortes.  Doch die letzten Jahre haben eindrucksvoll gezeigt, dass sich Wohlstand eben nicht mit großzügigen Krediten gleichsetzen und die Herausforderungen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit sich nicht durch reflexartiges Zuschütten mit staatlichem Geld oder politisches Mikromanagement beheben lassen. Deutschland ist mit seinen Steuer-, Regulierungs-, Arbeits- und Energiekosten derzeit kein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort und braucht einen harten marktwirtschaftlichen Reformkurs. Mehr Subventionen, Staatseingriffe und Regulierungen werden daran genauso wenig ändern, wie die Aufhebung der Schuldenbremse. Vor allem scheinen den Fiskalregelkritikern die möglichen Folgen ihrer leichtfertigen Parolen nicht bewusst zu sein. 

Zunächst bleibt festzuhalten: Die Steuereinnahmen sind die höchsten, die der deutsche Staat jemals seinen Bürgern und Unternehmen abverlangt hat - das gilt absolut genauso wie relativ zum BIP. Der Bundeshaushalt ist riesig. Doch die Qualität der staatlichen Leistung stagniert bestenfalls. Die Mittel werden ineffizient und für die falschen Dinge eingesetzt, die Staatsquote ist zu hoch. Es ist die Kernaufgabe einer jeden Regierung abzuwägen, wie sie mit ihrem Geld auskommt und welche Ausgaben sie finanzieren kann und will. Sollen neue Aufgaben finanziert werden, gehören andere auf den Prüfstand. Die Ampel-Regierung hat jedoch die Kraft für eine investitionsfördernde und auf Wachstum ausgerichtete Haushaltsstruktur nicht aufbringen können. Punkt. Der nachgeschobene Ruf nach Schuldenprogrammen, Sondervermögen und defizitfinanzierten Deutschlandfonds ist nichts anderes als der Ausdruck einer politischen Trägheit, die sich der mühsamen Neuordnung von haushälterischen Prioritäten entzogen hat. 

Die Gedankenspiele, die Schuldenbremse zu unterlaufen, lassen sich auch nicht isoliert betrachten.  Sie treffen auf demografische Herausforderungen und ungeklärte Fragen zur Altersvorsorge.  Sie treffen aber vor allem auch auf eine besondere Konstellation im Euroraum. Solide deutsche Finanzen sind das Fundament und der Garant für die Stabilität der Europäischen Währungsunion. Deutschland stellt mit seiner Stabilitätspolitik sicher, dass der Benchmark-Bond in der Eurozone auf einem niedrigen Renditeniveau bleibt und damit letztlich auch, dass etwa die französischen oder italienischen Schulden finanzierbar bleiben. Verschieben sich die Risikoaufschläge für Deutschland nach oben, würde dies im Windschatten auch die Finanzierungskosten für die anderen Staaten heben. Die Renditeaufschläge für französische und italienische Staatsanleihen sind aufgrund der Verunsicherung nach der Frankreich-Wahl ohnehin angestiegen. Wer in dieser angespannten Situation die deutsche Schuldenbremse aufgibt, muss wissen, dass er dem Euro den letzten Stabilitätsanker entzieht. 

Statt so zu tun, als ob ein ausgeglichener Haushalt unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen eine groteske Besonderheit sei, sollte die Diskussion um die Schuldenbremse sich deshalb auf ein anderes Problemfeld konzentrieren. Normalerweise würde eine stabilitätsorientierte Politik dazu führen, dass die Bürger und Unternehmen über eine niedrige Inflation im Inland und den Außenwert der Währung profitieren - wie früher mit der D-Mark oder heute in der Schweiz. Doch obgleich sich alle EU-Länder 2012 im sogenannten Fiskalpakt zu entsprechenden Ausgabenbremsen und entsprechenden Korrekturmechanismen verpflichtet haben, hat sich außer Deutschland kaum ein großes Euro-Land an die Vorgaben des Fiskalpaktes gehalten. Über dieses Spannungsfeld muss viel stärker gesprochen werden. Die Schuldenbremse ist auf der einen Seite eine schlichte Notwendigkeit, um die Stabilität der Währungsunion aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite bürdet die einseitige Einhaltung der Schuldenbremse in einer Währungsunion Deutschland jedoch einen Großteil des „heavy liftings“ auf. Verantwortungsvolle Politik würde ihre Fangesänge hierauf richten.