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Standpunkt 20.06.2024
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Standpunkt Steiger: Habecks Industriepolitik – neues Trikot, alte Abschlussschwäche

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Ein neues wirtschaftspolitisches Narrativ wird gerade verbreitet. Lange hatte das Bundeswirtschaftsministerium seine interventionistische Industriepolitik mit dem Klimawandel begründet. Eine „transformative Angebotspolitik“ sollte den klimaneutralen Umbau der deutschen Wirtschaft vorantreiben und im Gleichschritt Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit fördern. Doch längst bescheinigt uns ein Standort-Ranking nach dem anderen, dass die Wettbewerbsfähigkeit hierzulande dramatisch einbricht. Statt Fackelträger einer neuen Zeit zu sein, tragen wir die rote Laterne – Wachstumsschlusslicht. Und der Klimabeitrag? Im letzten Jahr war in Europa nur der der tschechische und polnische Strom schmutziger als der deutsche. Dekarbonisierung wird nur dann erfolgreich, wenn sie global erfolgt und nicht bloß zu einer Produktionsverlagerung in andere Weltregionen führt. Genau deshalb ist eine Politik, die CO₂-Emissionen über industriepolitische Subventionen senken will, zum Scheitern verurteilt. Schon eine internationale Übereinkunft über einen CO₂-Preis ist schwierig, die Verständigung über vergleichbare industriepolitische Eingriffe schlicht unrealistisch.


Es wird nun für jeden offensichtlich, dass die schöne Geschichte vom grünen Wirtschaftswunder auch aus der Feder der Gebrüder Grimm stammen könnte. Bundeswirtschaftsminister Habeck bemüht deshalb eine neue Argumentationskette. Demselben erfolglosen Konzept wird einfach ein anderes Trikot übergezogen und es wird dann zurück ins Sturmzentrum geschickt.  Doch leider fehlt auch der neuen Erzählung die Durchschlagskraft, denn sie besitzt ebenfalls keine ökonomische Fundierung.


Habecks neue Grundthese lautet, dass eine „allgemeine Wirtschaftspolitik“, die sich um wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen kümmert (sprich die Soziale Marktwirtschaft), nicht mehr zeitgemäß sei. Aufgrund der geopolitischen Herausforderungen müsse sich Deutschland vielmehr einer aktiven Industriepolitik zuwenden. Russland versuche, die deutsche Gasabhängigkeit für einen Angriff auf die Freiheit zu nutzen und die USA und China würden mit „harten Subventionen“ wichtige Schlüsselindustrien abziehen. Habeck leitet aus dieser Analyse zwei Schlussfolgerungen ab: Erstens müsse sich die Bundesregierung wegen der massiven Subventionierung in anderen Teilen der Welt ebenfalls stärker für direkte Förderung bei der Ansiedlung und dem Aufbau von „strategischen“ Produktionskapazitäten entscheiden. Zweitens müssten Fiskalregeln wie die Schuldenbremse und der Stabilitätspakt aufgeweicht werden. „Wirtschaftssicherheit hat ihren Preis,“ so Habeck. 


Es ist erstaunlich, wie wenig ausgesprochen wird, was hier gerade passiert: Diese „aktive Industriepolitik“ ist ebenso wie der „Green Deal“ der EU-Kommission, nichts weniger als eine Zeitenwende weg von marktwirtschaftlichen Lösungen hin zu umfassender staatlicher Lenkung im Wirtschaftsprozess. Diese Allmachtsphantasien staatlicher Wirtschaftspolitik werden aber eben nicht zu Freiheit, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit führen, sondern absehbar das Gegenteil erreichen. Wirtschaftliche Freiheit ist eine Voraussetzung für die politische und persönliche Freiheit. Hier massive Einschränkungen vorzunehmen und dies dann sogar mit dem Schutz der Freiheit begründen zu wollen, ist ausgesprochen bemerkenswert. Habeck entmachtet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Bürger „Es gibt nur einen Richter über Gut und Böse in der Wirtschaft, über das Nützliche und das Unnütze: den Verbraucher,“ wusste noch Ludwig Erhard.


Auch das Argument der „Wirtschaftssicherheit“ kann nicht überzeugen. Ein Wirtschaftssystem wird doch gerade dann besonders resilient, wenn produktionsrelevante Entscheidungen dezentral von unabhängigen Akteuren getroffen werden. Gibt der Staat dagegen die Richtung vor, wird der Wettbewerb als Innovations- und Produktivitätsmotor ausgeschaltet und es drohen technologische Monokulturen. Hat man aufs falsche Pferd gesetzt, kommt es zu drastischen gesamtwirtschaftlichen Verlusten, weil die Produktionsstrukturen insgesamt falsch ausgerichtet waren. Handlung und Haftung werden getrennt. Kernproblem dieses Ansatzes bleibt, dass der Staat trotz der unerschütterlichen Anmaßung von Wissen nicht bestimmen kann, was die Zukunftsbranchen sein werden. Es würde zudem nicht einmal ausreichen, richtig vorherzusagen, welche Produkte und Technologien künftig gebraucht werden, sondern es kommt immer darauf an, in welchen Bereichen heimische Unternehmen komparative Vorteile besitzen. Und spätestens hier scheitert jede Industriepolitik: Letztlich gibt es keine Alternative dazu, als diese Vorteile im Wettbewerb am Markt herauszuarbeiten.


Der Erzählweise von der vermeintlichen modernen Industriepolitik als notwendige handelspolitische Gegenoffensive liegt zudem ein fatales Unverständnis über Standortwettbewerb und internationalen Freihandel als Nullsummenspiel zugrunde. Nationale Subventionspolitik kann niemals die gesamte Exportwirtschaft eines Landes begünstigen – entstehende Handelsüberschüsse würden umgehend über die Devisenmärkte zu Aufwertungsdruck der jeweiligen Währung führen. Unter Umständen können Subventionen in anderen Wirtschaftsräumen sogar den Wohlstand in Europa erhöhen, wenn dadurch etwa Vorprodukte billiger importiert werden können. Prof. Stefan Kooths vom IfW Kiel hat deshalb recht, wenn er mit Blick auf den Subventionswettlauf warnt: „Nur weil sich andere selbst ins Knie schießen, müssen wir das nicht auch noch tun.“ 


Übrigens subventioniert Europa schon heute nicht weniger, sondern höchstens dümmer als andere Wirtschaftsräume. Die Zahl der Subventionen ist in entwickelten Ländern nirgendwo höher als in der EU. Doch während etwa die USA mit dem Inflation Reduction Act das klare Signal aussenden, ihr Land re-industrialisieren zu wollen und dafür auf Steueranreize und Pragmatismus setzen, dominieren in Europa sehr eng definierte Förderbedingen, Mikrosteuerung und Detailregulierungen.


Der Irrweg der staatlichen Industriepolitik trägt gewaltige Risken und Nebenwirkungen in sich. Protektionismus wird wieder hoffähig, Interventionsspiralen setzen sich in Gang und verursachen immer mehr Bürokratie, Schuldenstände steigen, EU-Beihilferecht wird ausgehebelt und der der europäische Binnenmarkt erodiert. In aller Deutlichkeit: Künftigen Generationen höhere Schulden sowie eine ineffiziente Klima- und Industriepolitik zu hinterlassen, hat weder etwas mit Nachhaltigkeit noch mit Verantwortung zu tun.