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Standpunkt 28.11.2024
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Standpunkt Steiger: Rien ne va plus – Zocken mit der Schuldenbremse

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Als der „Economist“ Deutschland im letzten Jahr wieder den „kranken Mann Europas“ nannte, widersprach Robert Habeck postwendend in der darauffolgenden Ausgabe. Er versprach als Folge seiner interventionistischen Wirtschaftspolitik ein großes Comeback der deutschen Wirtschaft, kündigte unmittelbar bevorstehende neue Großinvestitionen an und schloss kühn mit den Worten „und Sie können Ihren letzten Euro darauf wetten, dass es Deutschland gelingt.“ Wette krachend verloren! Doch statt endlich die Rahmenbedingungen des Wirtschaftsstandortes zu verbessern, soll jetzt einfach der Einsatz erhöht und weiter gezockt werden. Die Schuldenbremse sei "eine Investitions- und Wachstumsbremse", so Habeck. Mit neuen Schulden, etwa einem „Deutschlandfonds“, wäre dieses Problem allerdings lösbar. Das erinnert stark an eine bekannte Roulette-Strategie, das sogenannte Martingale-System. Es wird auch Doublieren genannt und vor allem wegen seiner Einfachheit geschätzt. Das System basiert schlicht darauf, auf eine Farbe zu setzen und nach jedem Verlust so lange den Einsatz zu verdoppeln, bis wieder ein Gewinn eintritt. Klingt gut, funktioniert aber in der Praxis nicht und trägt das Risiko in sich, Akteure in den Ruin zu treiben. 

Folgende drei Risiken sorgen bei dem Martingale-System dafür, dass am Ende meist ein „Platzer“ steht. Ein solcher Totalverlust tritt ein, wenn man keine Möglichkeit mehr hat, den Einsatz zu verdoppeln. Diese Risikokategorien sollten uns auch mit Blick auf die Schuldenbremse eine Warnung sein:

1. Überschätzung der finanziellen Möglichkeiten 

Selbst anfänglich überschaubare Einsätze schießen bei einer immer wiederkehrenden Verdopplung durch die steile Progression des Einsatzes schnell in die Höhe. Bei einem minimalen Starteinsatz von fünf Euro, wäre man bereits nach der achten Verlustrunde im Tausenderbereich. Die Spieler müssen dann oftmals feststellen, dass ihre finanziellen Möglichkeiten erschöpft sind. Auch bei der Diskussion um die Schuldenbremse verweisen viele auf die im Vergleich tiefe deutsche Staatsverschuldung und scheinen dabei zu übersehen, dass sich die finanzpolitische Situation in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert hat. Schon jetzt haben wir eine Verschuldung, bei der jedes Jahr knapp 40 Milliarden Euro Zinsen anfallen – mehr als der Bund für Forschung und Bildung ausgibt.

Hinzu kommt, dass das deutsche Sozialsystem fiskalisch nicht nachhaltig ist. Renten-, Kranken- und Pflegekassen sind auf den demografischen Wandel nicht vorbereitet. Bevorstehende Belastungsspitzen werden einfach ignoriert, obwohl die Rentenversicherung schon heute jährlich mit einem dreistelligen Milliardenbetrag aus dem Bundeshaushalt gestützt werden muss. Eine vollkommen falsche Migrationspolitik vergrößert die ohnehin bestehende Billionen-Nachhaltigkeitslücke noch weiter. Hinzu kommen finanzielle Verpflichtungen, die in der deutschen Schuldenstatistik jedoch gar nicht auftauchen. So führt etwa die EU-Verschuldung zu verdeckten Lasten, die laut ZEW schon bald etwa zehn Prozent der deutschen Staatsschuld ausmachen.

2. Tischlimits in den Casinos 

Da bei den meisten Casinos der Höchsteinsatz 500 Euro beträgt, hat man bei einem Fünf-Euro-Einsatz bereits nach sieben verlorenen Wetten das Tischlimit erreicht. Ist dies der Fall, kann man nicht mehr weiter verdoppeln. Auch bei den Schuldenregeln ist es wichtig, bestehende Restriktionen im Blick zu haben. Zunächst gilt es festzuhalten, dass es sich bei der Schuldenbremse um Verfassungsrecht handelt. Das lässt sich nach der Überwindung hoher Hürden zwar ändern, aber bis dahin hat die Schuldenbremse nach Wort und Geist respektiert zu werden. Stattdessen wird so getan, als ob die Einhaltung optional sei, eine Spinnerei fiskalpolitischer Hardliner. Die Ampelregierung hat hier mit dem beständigen Reden über Notlagen, Notlügen sowie Tricks, wie man diese Regel unterlaufen kann, ein fatales Bild abgegeben. 

Besonders abenteuerlich ist, dass suggeriert wird, die Schuldenregeln würde eine künstliche Grenze setzen, wo ansonsten keine Restriktionen bestünden. Die ungedeckten Steuerpläne der britischen Regierung, die Premierministerin Liz Truss den Posten kosteten, sind nur ein aktuelleres Beispiel, dass kein Land einen unbegrenzten Verschuldungsspielraum besitzt. Eine immer weiter steigende Schuldenquote ist auch mit den Regeln des EU-Stabilitätspaktes unvereinbar. Da Deutschland oberhalb des 60 Prozent Grenzwertes für die Staatsverschuldung liegt, hätte die Bundesregierung einen verbindlichen Konsolidierungspfad vorlegen müssen. Bislang ist vollkommen unbeantwortet geblieben, wie Deutschland die europäischen Vorgaben zur Senkung des Schuldenstands erfüllen will. Würde Deutschland die gerade erst reformierten Regeln nicht ernst nehmen – wie bereits Anfang der 2000er Jahre – hätte das eine fatale Signalwirkung auf die anderen Länder und würde dem Regelwerk absehbar jede Bindungswirkung rauben.

3. Die grüne Bankzahl Zero

Aber nicht nur das Tischlimit und nicht enden wollende Serien sind schuld am Scheitern des Martingale-Systems. Hinzu kommt noch die grüne Bankzahl Zero. Wenn die Null fällt, wird häufig der gesamte Einsatz auf sämtliche Chancen eingezogen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium setzt mit seiner Subventionspolitik immer wieder auf eine Farbe und riskiert hohe Verluste. Technologische Souveränität, wirtschaftliche Resilienz und Klimaneutralität sollen durch milliardenschwere Investitionen in strategische Schlüsselindustrien erreicht werden.  Anders als in einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung entstehen so jedoch Monokulturen, welche die zukünftigen Anpassungskrisen in den subventionierten Branchen meistens bereits in sich tragen. Deutschland macht sich mit der Fokussierung auf einzelne Leuchtturmprojekte abhängig von deren Erfolg. Doch viele dieser Vorhaben kommen sichtbar nur schleppend voran oder scheitern sogar gerade spektakulär. 

Eine Schulden- und Subventionspolitik führt eben nicht dazu, künftigen Generationen ein besseres Land zu hinterlassen.  Im Gegenteil, sie führt per Definition sogar dazu, dass die Wettbewerbsfähigkeit gleich auf mehreren Feldern geschwächt wird. Der Staat drückt sich vor anstrengender Standortpolitik und schwieriger Prioritätensetzung bei den Staatsausgaben und schmiert stattdessen einfach weiße Schulden-Salbe auf alle Probleme. Bei den Unternehmen wird der Produktivitätsdruck durch Subventionen reduziert. Neben höheren Schulden wird der nächsten Generationen so ein großes Bündel ungelöster standortpolitischer Reformprobleme vor die Füße geschmissen.  Die Schuldenbremse hat sich gerade in den letzten Jahren als Segen erwiesen. Sie ist ein Garant für die intergenerative Gerechtigkeit und hat verhindert, dass bei bereits sichtbaren Verlusten und Fehlentwicklungen einfach weiter zulasten künftiger Generationen gezockt wird.