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Standpunkt 19.09.2024
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Standpunkt Steiger: Das 600 Milliarden Euro Mahnmal

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Eine aktuelle Analyse kommt zu einem unfassbaren Ergebnis: 600 Milliarden Euro hätte Deutschland sparen können, wenn es 2002 bei der Kernkraft geblieben wäre. Zudem hätten die Treibhausgas-Emissionen mit diesem Pfad sogar stärker reduziert werden können. Auf den Punkt: Unser Weg war klimapolitisch ineffizient, finanzpolitisch unverantwortlich und wirtschaftspolitisch suizidal. Er kommt der Zerstörung des eigenen Kapitalstocks gleich. 

Wie durch ein Brennglas werden die Tücken von staatlichen Entscheidungen deutlich, deren Folgewirkungen die handelnden Akteure nicht abschätzen können und deren Konsequenzen sie nicht verantworten müssen. Denn hier liegt ein entscheidender Unterschied zu unternehmerischen Entscheidungen: Es fehlt „skin in the game“ - der Zusammenhang von Handlung und Haftung, Chance und Risiko wird aufgelöst. Doch genau in diesem Nexus liegt der große Vorteil der Marktwirtschaft, denn er fördert, ja erzwingt verantwortliche und allokativ sinnvolle Investitionsentscheidungen. Der Unternehmer wägt ab. Lohnen sich Investitionen langfristig wirklich? Liegt er falsch wird er langfristig keinen Erfolg haben. Liegt er richtig, transformiert der Markt individuellen Eigennutz in kollektive Nützlichkeit. Genau deshalb ist der Wettbewerb als Prozess der Meinungsbildung, einem zentralen Planer stets überlegen. Das übersehen die lautstarken Rufer nach mehr staatlich gesteuerter Industriepolitik gerne.

Umso wichtiger ist es, den Blick jetzt nach vorne zu richten und die richtigen Lehren zu ziehen. Dazu gehören folgende Punkte:

  •  Das Hochjubeln dessen, was man sich wünscht, gegenüber dem, was die Erfahrung und die Vernunft gebieten, ist keine nachhaltige Strategie.  Es gibt ökonomische Realitäten und Gesetze, die sich ungeachtet ideologischer und politischer Wünsche nun mal nicht außer Kraft setzen lassen.
  • Ob das dramatische Verfehlen der von der Ampel-Koalition ausgerufene 400.000 jährlichen Neubauwohnungen oder die absurd optimistischen Prognosen für die Marktanteile von Elektrofahrzeugen, überall wird uns unmissverständlich vor Augen geführt, dass Staatseingriffe in das Marktsystem die Ziele, die sie vorgeben erreichen zu wollen, eben nicht erreichen können.
  • Insbesondere kann und wird keine Politik funktionieren, die erst Wettbewerbsnachteile durch Markteingriffe, Technologievorgaben und falsche Rahmenbedingungen verursacht und anschließend die Folgen über Subventionen ausgleichen will.
  • Viele Ideen, die als fantastische Neuerungen oder großartiger Fortschritt angepriesen werden, sind in Wahrheit bloß Neuauflagen alter Irrtümer. 1946 dominierten in den USA der Keynesianismus und der Staatsdirigismus die Wirtschaftspolitik. Der brillante Henry Hazlitt schrieb sein legendäres Buch zu den 24 wichtigsten ökonomischen Regeln und dekonstruierte wirtschaftliche Irrtürmer vom Mindestlohn über Zins- und Preismanipulationen bis hin zu Protektionismus und Branchenrettungen. Knapp 80 Jahre später machen wir genau diese Irrungen und Wirrungen zum Leitmotiv unserer Wirtschaftspolitik.

Die erheblichen Kosten einer verfehlten Energiewende liegen nicht nur in der Vergangenheit. Ohne eine schonungslose Bestandsaufnahme und marktwirtschaftliche Neuausrichtung drohen die Kosten immer weiter aus dem Ruder zu laufen. McKinsey beziffert die Gesamtkosten für die deutsche Energiewende bis 2045 auf astronomische sechs Billionen Euro. Auf den Prüfstand muss deshalb dringend die bedingungslose EEG-Förderung. Ein Rekordwert von 23 Milliarden Euro wird für dieses Jahr prognostiziert – auch hier hat sich die Bundesregierung um über 100 Prozent verkalkuliert und war ursprünglich nur von elf Milliarden Euro ausgegangen. Ein weiterer Ausbau der regenerativen Erzeugung wird in dieser Arithmetik absehbar unbezahlbar. 

Auch bei den geplanten Gaskraftwerken droht ein Milliardengrab. Diese nehmen in Habecks Konzept zwar einen zentralen Platz als integraler Bestandteil des Netzausbauplanes ein, ohne staatliche Subventionen bei Bau und Betrieb fehlt diesen Kraftwerken jedoch schlicht das Geschäftsmodell. Beim Netzausbau schließlich hinken wir ein Jahrzehnt hinterher. Eine Modellierung, ob die Energiewende mit Kernkraft eine günstigere und effizientere Option wäre - oder sogar immer noch sein könnte, hat die Ampel-Regierung bis zum heutigen Tag nicht vorgelegt. Umso weniger verwundert das vernichtende Urteil des Bundesrechnungshofes: „Die Bundesregierung investiert Milliarden in den Klimaschutz. Wie erfolgreich ihre Investitionen sind, und ob sie sich lohnen, weiß sie jedoch nicht.“

Wirtschaftspolitik muss sich wieder auf die Aufgabe konzentrieren, den Standort fit und wettbewerbsfähig zu machen. Die Frage, welche Technologien sich durchsetzen, muss dagegen wieder den Bedürfnissen der Verbraucher und dem Spiel der Marktkräfte überlassen werden. Hazlitt beendete sein Buch mit einem Silberstreif am Horizont. „Konservative, Befürworter der individuellen Freiheit und andere Verfechter der freien Marktwirtschaft treten stärker und bestimmter in Erscheinung. Und sie sind zahlreich. Es besteht die begründete Hoffnung, dass die Politik sich eines Besseren besinnt, bevor der Schaden, den die gegenwärtigen Maßnahmen und Trends schon angerichtet haben, nicht mehr wiedergutzumachen wäre.“ Auch heute braucht es diese marktwirtschaftlichen Stimmen, die couragiert und mit Leidenschaft über die ökonomische und ethische Überlegenheit der Marktwirtschaft aufklären. Die wissen, dass gerade die großen Herausforderungen unserer Zeit nur mit den zeitlosen Prinzipien Ludwig Erhards zu bewältigen sind. Sie haben guten Grund selbstbewusster und lauter zu werden.