Cookie-Einstellungen

Standpunkt 30.01.2025
Drucken

Standpunkt Steiger: Das unsanfte Erwachen aus dem Traumland der Investitionslenkung

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Mit zahlreichen Augenzeugenaussagen ist belegt, dass beim Untergang der „Titanic" die acht Mann starke Bordkapelle bis zum bitteren Ende an Deck musizierte. Auch die rot-grüne Restampel sendet bis zum Schluss ihre unverwechselbare Melodie - es bleibt ein schwer zu ertragender, dissonanter und unharmonischer Zusammenklang von Tönen. Bundeskanzler Olaf Scholz gibt in völliger Entrücktheit zum besten, dass Deutschland nur deshalb stagniere, weil wir die Ukraine-Hilfe nicht über eine Aufweichung der Schuldenbremse finanzieren. Grünen-Co-Chef Felix Banaszak versucht weiterhin verzweifelt, den offensichtlich undurchdachten und unsinnigen Vorschlag, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, zu verteidigen. Zu diesem Zweck ersinnt er „Tante Gisela“ und versichert – ohne irgendwelche Zahlen oder Rahmendaten vorzulegen -, dass ihr „kleiner ETF“ natürlich unberührt bliebe.  Mit diesem Bildnis kann Banaszak zwar kein bisschen zur Aufklärung beitragen, wer denn von dem Vorschlag nun eigentlich betroffen wäre. Er liefert mit seiner Art, karikierend über ältere Frauen zu sprechen, jedoch ungewollt ein Paradebeispiel für genau jenen „benevolenten Ageismus“, von dem die Bundesregierung unter Führung der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman fast taggleich in ihrem aktuellen Altersbericht moralgeladen warnt. Die Grenzen zwischen Tragödie und Komödie sind bei dieser Bundesregierung längst bis zur Unkenntlichkeit verschwommen.

Doch ökonomische Ignoranz bleibt nie folgenlos: Der große österreichische Ökonom Eugen Böhm von Bawerk stellte schon 1914 heraus, dass die Politik nicht ökonomische Gesetze ignorieren kann, ohne dass sich dies später als extrem kostspielig erweist.  Für Wirtschaftspolitiker gibt es zwei Möglichkeiten diesen Zusammenhang zu lernen: Einsicht ex ante oder Erfahrung ex post. Robert Habeck hat sich für letzteren Weg entschieden. Er zog mit einer Armada von Leuten ins Bundeswirtschaftsministerium ein, die zwar mit der realen Wirtschaft bis dahin wenig Berührungspunkte hatten, aber dafür umso mehr hochtrabende Ideen aus grünen Denkfabriken mitbrachten. Sorgen von Unternehmern wurde fortan ebenso demonstrativ ignoriert, wie Warnungen von Ökonomen.  Der Komplettumbau der Industrienation wurde auf recyclebaren Konzeptpapieren aufgeschrieben und Zukunftsindustrien in ministerialen Stuben festgelegt. Wettbewerb, Knappheiten, Preismechanismen, Rahmenbedingungen? Mit diesen kleinteiligen Kategorien wollte man sich nicht mehr abgeben – es ging darum, eine „missionsorientierte Wirtschaft“ zu erschaffen. Eine neue Zeitrechnung wurde ausgerufen. 

So verkündete Robert Habeck in seinem ersten Bundeswirtschaftsbericht 2022, quantitatives Wirtschaftswachstum solle künftige nicht mehr ein vorrangiges Ziel der Wirtschaftspolitik sein. Stattdessen wolle man sich an aggregierten „Glücksindikatoren“ orientieren. Wenig glücklich sah Robert Habeck nun allerdings bei der Vorstellung seines aktuellen Bundeswirtschaftsberichtes aus – wieder Mal musste er die Prognosen nach unten korrigieren. Er hinterlässt den Standort als Trümmerfeld. Überzeugende Ideen den Prozess der laufenden Produktionsstättenverlagerung und Nettokapitalabflüsse zu stoppen, gibt es von ihm nicht. Die Erzählweise, Wohlstand nicht durch Wertschöpfung und Produktivität, sondern durch Subventionen, Verbote, Schulden und gute Absichten schaffen zu können, ist längst in sich zusammengefallen. Deutschland ist unsanft aus dem Traumland der Investitionslenkung erwacht.

Umso wichtiger ist es die richtigen Lehren aus diesen Entwicklungen zu ziehen: Eine interventionistische Strukturpolitik kann ihre großen Versprechungen nicht erfüllen. Sie führt schon bei einer harmlos anmutenden Industriepolitik zu Fehlallokation von knapper Arbeit, knappem Kapital und knappen Gütern. Auf diese Fehllenkung wird dann regelmäßig mit weiteren Interventionen reagiert. Eine Dynamik nach unten wird in Gang gesetzt. Die Gefahr liegt darin, dass was in jedem Stadium dieses Wandlungsprozesses nur ein Gradunterschied zu sein scheint, in der Gesamtwirkung zu einer grundlegenden Verschiebung führt – weg von einer Wettbewerbsordnung hin zu immer mehr staatlicher Steuerung. Als Konsequenz wird nicht mehr auf Freiheit, Initiative und Leistungsfähigkeit des Einzelnen gesetzt, sondern eine Strategie verfolgt, die den Bürger immer stärker der staatlichen Fürsorge bzw. Abhängigkeit aussetzt, ihnen ihre Entscheidungen und Verantwortung abnimmt und sie letztlich entmündigt.

Zu jeder Zeit gab es Leute, die verkündeten, den Herausforderungen der Zeit könne nur mit wirtschaftslenkenden Mitteln begegnet werden, also mit gigantischen Staatsdefiziten, Interventionismus und Verstaatlichung. Immer wird die Notwendigkeit aus Umständen abgeleitet, die sich angeblich dem eigenen Einfluss entziehen. Heute sind es wahlweise Trump, Putin, der Klimawandel oder technologische Umbrüche, Es wäre deshalb schon viel erreicht, wenn es gelingt, in Deutschland wieder das Verständnis für die moralische und soziale Funktion der Wettbewerbsordnung zu wecken. Der Wettbewerb ist das Entdeckungsverfahren, das die Findigkeit und den Leistungswillen des Einzelnen zum Wohl der Gemeinschaft nützt. Diese Dynamik ist gerade heute gefragt: Denn je komplexer das unübersehbare Geflecht wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen wird, desto mehr brauchen wir den Wettbewerb und umso gewisser ist auch jeder Versuch einer staatlichen Wirtschaftsplanung zum Scheitern verurteilt. 

Wir müssen stärker betonen, dass wenn wir über das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft reden, wir nicht bloß über eine Wirtschaftsordnung und die Frage der Verteilung von Gütern sprechen. Hier geht es nicht nur um die Anschauungen von Adam Smith, David Hume, Friedrich August von Hayek, Walter Eucken, Wilhelm Röpke und Ludwig Erhard. Es geht um ein Menschenbild, die Grundlagen der individualistischen Philosophie und ein Kernstück abendländischer Kultur wie sie aus christlich, römisch und griechischen Elementen entstanden ist und wie wir sie als Vermächtnis von Erasmus und Humboldt, von Cicero und Perikles empfangen haben.