Standpunkt 26.06.2025
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Standpunkt Steiger: Der Schuldenhaushalt und seine Gefahren

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger


Im Jahr 1431 lässt Philipp der Gute, Herzog von Burgund, die Stadt Lagny mit insgesamt 412 Kanonenkugeln beschießen. Einziges Opfer: ein Huhn. Auch Bundesfinanzminister Lars Klingbeil feuert mit seinem ersten Haushalt samt der Eckwerte bis 2029 aus vollen Rohren. Ohne die strukturellen Kernursachen der aktuellen Wachstumskrise zu adressieren, droht eine ähnlich ernüchternde Bilanz. Inklusive Sondervermögen plant der Bund im laufenden Jahr eine Nettokreditaufnahme von über 143 Milliarden Euro. Im Laufe der Wahlperiode soll sogar ein Rekordwert von schwindelerregenden 850 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen werden. Besonders rapide nehmen erwartungsgemäß die Verteidigungsausgaben zu. In einer solchen Situation, in der die Verwendungskonkurrenz um öffentliche Mittel steigt, weil geopolitische Entwicklungen höhere Verteidigungsausgaben erforderlich machen, wäre schon eine konstante Quote der Sozialausgaben problematisch. Doch auch die Sozialausgaben sollen auf ein Rekordniveau steigen und 2028 erstmals die Marke von 200 Milliarden Euro durchbrechen. Dass der Finanzminister sich angesichts dieser gigantischen Zahlen noch rühmt, er habe weitergehende Forderungen seiner Kabinettskollegen für Haushalt und „Sondervermögen“ in Höhe von 47 Milliarden Euro abgewehrt, erinnert an die Oma, die sich über das Süßigkeiten-Verbot hinwegsetzt und den erzürnten Eltern erklärt, sie habe dem hungrigen Enkel ja neben der Tüte Chips und der Tafel Schokolade immerhin die Flasche Cola verwehrt.

Niemand bestreitet den Modernisierungsbedarf bei Infrastruktur und insbesondere bei Verteidigung. Doch ein öffentlicher Investitionsschub alleine reicht nicht aus. Gegen die Schuldenaufnahme muss immer auch die Wachstumsperspektive gerechnet werden. Das Geld muss also effizient genutzt und das Potenzialwachstum erhöht werden. Hier sind bereits deutliche Bruchstellen zu beobachten. Ursprünglich hatte die Regierung versprochen, die neuen Mittel ausschließlich für zusätzliche Investitionen einzusetzen. Mit dem Länderanteil des Sondervermögens haben wir aber bereits ein Gleis auf dem Verschiebebahnhof, auf dem dafür gesorgt wird, dass die Zusätzlichkeit entfällt und die Mittel freihändig auch für Projekte wie Sport, Kultur oder Wohnungsbau verwendet werden dürfen.

Es ist zudem ein Irrglaube, dass nur weil Infrastruktur und Verteidigung draufsteht, auch effiziente und zielgerichtete Ausgaben drinstecken, die die deutsche Wirtschaft in eine höhere Umlaufbahn katapultieren und sich so quasi selbst finanzieren. Auch der Straßenrückbau, der Bau von Radwegen sowie von Sicht- oder Lärmschutzwällen werden statistisch als öffentliche Investitionen verbucht, verdienen jedoch nicht das Gütesiegel „potenzialstärkende Wachstumspolitik“. Zudem droht in Zeiten von Fachkräfte- und Materialmangel vieles in bloße Preissubventionen zu laufen. Hier sollte eine aktuelle Ifo-Studie Warnung sein, die aufzeigt, dass 94 Prozent der Ausgaben für Bahninfrastruktur seit 2011 in höheren Preisen verpufft sind. Randstad CEO Sander van`t Noordende hat unlängst gewarnt, dass Europa zwar eine klare Ambition habe, eine gewichtige globale Rolle in der Sicherheitspolitik zu spielen, aber in einen dramatischen Fachkräftemangel für diesen Bereich steuert. Vor diesem Hintergrund und den gewaltigen öffentlichen Mitteln, die in die Verteidigung nun allokiert werden, ist es schlicht bizarr, dass für die meisten Universitäten in Deutschland weiterhin ein Kooperationsverbot mit der Rüstungsindustrie besteht. Solche Zivilklauseln wirken vollkommen aus der Zeit gefallen und sollten konsequent abgeschafft werden. Insbesondere da im Wettbewerb um Schlüsseltechnologien die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Forschung mit zunehmendem technologischen Fortschritt ohnehin verschwimmen.

Ein beachtliches Beispiel für den zweifelhaften Kapazitätseffekt vieler Ausgaben liefert der Finanzminister selbst. „Eine Sporthalle, die gebaut wird, ist auch eine Investition, die die Wirtschaft ankurbelt“, so Klingbeil. Man kann nicht deutlich genug betonen, wie gefährlich eine solch vulgär-keynesianische Auslegung ist, die einfach alle Ausgaben zu Investitionen umdeklariert. In Kombination mit den gewaltigen Schulden ist sie eine toxische Mischung. Nur eine dauerhaft höhere Wirtschaftskraft kann dauerhaft höhere Schulden tragen. Eine Turnhalle wird kurzfristig die Bauwirtschaft ankurbeln. Sie trägt aber eben nicht dazu bei, dauerhaft das  Wachstumspotenzial zu erhöhen. Es ist ein auf Pump und Nachfrageeffekte gebautes Konjunkturprogramm, das schnell verpufft. Bleiben werden lediglich die höheren Zinskosten und die Rückzahlungsverpflichtungen.

Die gewaltigen Schulden erweitern so zwar heute den Spielraum des Staates, schon morgen können sie jedoch das Gegenteil bewirken und die Möglichkeit einschränken, auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Beispiele dafür muss man nicht lange suchen: In der Corona-Krise waren einige europäische Staaten aufgrund ihrer hohen Schulden nicht mehr handlungsfähig und in den USA droht die Zinslast im kommenden Jahr auf unglaubliche eine Billion US-Dollar anzusteigen. Das wäre mehr als die Ausgaben für Medicare oder Verteidigung. Auch der Bund zahlt schon jetzt jährlich 34 Milliarden Euro an Zinsen für Altschulden. Tendenz steigend, da die Bundesanleihen aus der Nullzinszeit auslaufen und mit höherem Zins refinanziert werden müssen. Darauf noch zusätzliche Schuldenberge aufzustapeln bedeutet auch mehr Zinsen. Und während sich Sondervermögen aus Kernhaushalt und der Schuldenbremse rausrechnen lassen, ist das bei den daraus resultierenden Zinszahlungen nicht der Fall. Diese versteinern den Haushalt, weil immer weniger Ausgaben disponibel werden. In Klingbeils vorgestellter Planung werden sich die Zinsausgaben des Bundes entsprechend bis zum Ende des Planungshorizonts nahezu verdoppeln und bis 2029 auf rund 62 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen. Mit einem durchaus beträchtlichen Risiko, dass es noch schlimmer kommt, wenn der Kapitalmarkt durch externe Schocks oder Krisen eine Neubewertung der Risikosituation vornehmen sollte.

Der Finanzplan ist darauf gebaut, dass die Wirtschaft anspringt und damit die Schuldenlast verkraftbar bleibt. Er dokumentiert jedoch nicht überzeugend, wie das gehen soll. Mit einer Ausweitung der Mütterrente, einem Eingriff in die Rentenformel auf Kosten der Beitragszahler oder dem schuldenfinanzierten Bauen von Turnhallen gelingt es jedenfalls nicht. Die Bundesregierung muss die historischen Summen dringend mit einer klaren Strategie für nachhaltige Strukturreformen unterlegen. Noch in diesem Jahr soll eine Expertenkommission die Reform der Schuldenbremse beraten. Hier muss insbesondere die Union darauf achten, dass  es nicht darum gehen kann, die Schuldenregeln noch weiter zu entwerten. Vielmehr muss eine Reform der Staatsausgaben im Mittelpunkt stehen, die den Bundeshaushalt in Richtung Zukunftsaufgaben steuert und für eine größere Sorgfalt im Mitteleinsatz sorgt.

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