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Standpunkt 16.08.2024
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Standpunkt Steiger: Der vergessene Markenkern der Sozialen Marktwirtschaft

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Der Markenkern der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards war das Versprechen: „Wohlstand für Alle.“ Es war nicht die Formulierung von Ansprüchen und Erwartungen gegenüber dem Staat, sondern es ging darum, jedem die Chance zu geben, durch Leistungsbereitschaft zu Wohlstand zu kommen. „Von dem Begriff des Wohlstandes ist der des Eigentums auf die Dauer nicht zu trennen“ stand für Erhard fest. Vielmehr war er sogar der tiefen Überzeugung, dass unsere freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nur „durch Mehrung des Wohlstandes und private Vermögensbildung dauerhaft ausgebaut und innerlich gefestigt werden könne.“ Dieser wichtige Zusammenhang droht immer weiter aus dem Fokus zu geraten. Es wird vorwiegend über Ideen gesprochen, die Privateigentum leichtfertig infrage stellen und darauf basieren, einem Teil der Gesellschaft etwas wegzunehmen und einem anderen Teil etwas zuzuteilen – Vermögenssteuer und Grunderbe sind nur zwei Stichworte. Das eigentliche Problem wird dabei vollkommen übersehen. Wer das Erfolgsrezept der Sozialen Marktwirtschaft fortschreiben will, der muss auch einen Rahmen schaffen, der das Wohlstandsversprechen Erhards wieder unmittelbar erlebbar macht und privaten Vermögensaufbau ermöglicht.

Verschiedene Vermögensstudien weisen aus, dass das Medianvermögen deutscher Privathaushalte heute deutlich geringer ist als das fast aller anderen Euroländer. Und das trotz relativ hoher Einkommen und einer hohen Sparquote hierzulande. Auch bei der Wohneigentumsquote liegen wir in Europa abgeschlagen auf dem letzten Platz. Als eine der reichsten Industrienationen bringen wir es nur auf eine mickrige Wohneigentumsquote von unter 50 Prozent, in Berlin sind es nicht einmal 20 Prozent. Das ist fatal - private Vermögensbildung schafft Sicherheit, Resilienz und erhöht die Bereitschaft zu Selbständigkeit und Unternehmertum. Vor dem Hintergrund der demografischen Alterung und der hartnäckigen Weigerung der Ampel-Regierung, diese Herausforderungen zu adressieren, kommt der individuellen Altersvorsorge zudem eine ganz besondere Bedeutung zu.

Bei dieser Ausgangslage müssten sich die Parteien längst darin überbieten, Programme für mehr Vermögensbildung aufzulegen. Die öffentliche Debatte macht jedoch skeptisch, ob die Wirkungszusammenhänge von verlässlichen privaten Eigentumsrechten, Sozialer Marktwirtschaft, Vermögensaufbau und schließlich Freiheit noch verstanden werden. Denn genau das Gegenteil passiert: Warum sind die mittleren Vermögen so gering? Wir haben den teuersten Strompreis der Welt und streiten mit Wonne darüber, wie wir ihn weiter verteuern können. Wir haben in Deutschland auch die höchste Steuer- und Abgabenbelastung unter allen Industrieländern. In wesentlichen Einkommensbereichen gibt es leistungsfeindliche und geradezu absurde über mehrere tausend Euro breite Schneisen, in denen mehr Brutto kaum mehr Netto bedeutet. Doch anstatt direkt an der Wurzel anzusetzen, philosophieren die Parteien des linken Spektrums lieber über immer weitergehende Umverteilungsfantasien und hantieren mit Forderungen nach noch höheren Abgaben für die angeblich „Reichen“.

So erfolgt etwa in permanenter Dauerschleife die Beschwerde, dass Kapitaleinkünfte zu gering besteuert würden. Insbesondere im Vergleich zur Besteuerung von Arbeit sei das ungerecht. „Kapitaleinkünfte müssen wie Arbeit besteuert werden!“, heißt es im Grünen-Wahlprogramm. Solche Forderungen verdienen schlichtweg das Prädikat „verantwortungslos“. Nur 18 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren besitzt überhaupt Aktien. In 50 Prozent dieser Depots ist weniger als 14.000 Euro angespart. Für die drittgrößte Volkswirtschaft auf dem Planeten und ein Land mit unserer Demografie sind dies unfassbar geringe Zahlen. Es ist ein gravierendes Versäumnis, auf die Kraft des Zinseszinseffektes zu verzichten. In den USA etwa haben Arbeitnehmer über sogenannte 401(k)-Konten die Möglichkeit, einen Teil ihres Einkommens unversteuert in Wertpapiere zu investieren. Ergebnis: 30 Prozent der US-Bürger geben in Umfragen an, ein Aktienportfolio im Wert von mehr als einer halben Million Dollar zu besitzen. Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Aktienkultur sind dringend geboten. Es braucht eine Anpassung der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen, um den privaten Vermögensaufbau zu unterstützen, statt ihn zu erschweren. Umso begrüßenswerter ist es, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner im Herbst einen Gesetzesentwurf für ein steuerfreies Vorsorgedepot, als Ergänzung zu sicheren Garantieprodukten wie Riester, vorlegen will.

Kaum irgendwo zählen Attacken auf private Eigentumsrechte derart zum Standardinstrumentenkasten, wie bei dem vermeintlichen Kampf um günstigen Wohnraum. Der grandios gescheiterte Mietendeckel und die Berliner Enteignungsinitiative liefern ein trauriges Zeugnis dafür. Lektion gelernt? Nein! Die Berliner Grünen fordern nunmehr einen Vermieterführerschein, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert schlug schon vor geraumer Zeit vor, Wohneigentum auf eine Immobilie pro Person zu rationieren und Bauministerin Klara Geywitz will Wohnungssuchende aufs Land schicken. Dem Einfamilienhaus haben ohnehin viele den Kampf angesagt. Es hat das gleiche zweifelhafte Schicksal wie den SUV ereilt. Politisches Moralisieren funktioniert nicht durch Differenzierung und komplizierte Abwägungen, sondern durch symbolische Codes und Feindbilder – so ist man für Lastenfahrräder und eben gegen SUVs und Einfamilienhäuser. Im Rahmen von angeblich klimagerechten Bauleitplanungen werden deshalb zunehmend entsprechende Restriktionen bei der Ausweisung von Bauland aufgebaut. Als sei es nichts Empörendes, hat der Staat zuletzt immer stärker sein fragwürdiges Selbstverständnis demonstriert, sich in die Beschaffenheit von Eigenheimen einzumischen- etwa bei der Heizungsart oder der Dämmung. Planungsunsicherheit ist jedoch der Feind eines jeden Vermögensaufbaus.

«Schaffe, schaffe, Häusle baue» ist nicht nur in Schwaben eine Tugend des deutschen Bürgertums. 80 Prozent der deutschen Mieter träumt weiterhin vom Eigenheim. Doch die Zahl der Neubauten ist seit den 1970er Jahren um zwei Drittel gesunken. Die Einnahmen der Grunderwerbsteuer haben sich dagegen von 2010 bis 2021 von fünf auf fast 20 Milliarden Euro nahezu vervierfacht. Die lautstarken Rufer nach einer Vermögenssteuer erwähnen opportunerweise nicht, dass 1997 die Grundsteuer zum Ausgleich der Vermögenssteuer von 2 auf 3,5 Prozent angehoben wurde und sich seitdem in den meisten Bundesländern weiter drastisch erhöht hat. Das IW hat berechnet, wie lange Paare und Singles dafür sparen müssen, allein die Grunderwerbsteuer bezahlen zu können (bei einer Sparquote von ca. 10 Prozent). In Berlin müssen Paare 10 Jahre nur für die Steuer sparen. Singles 9 Jahre und fünf Monate. Der Wirtschaftsrat appelliert seit langem für die Abschaffung der Grunderwerbssteuer beim Erstkauf.

„Wohlstand für Alle“ – das wäre auch heute möglich. Doch das Ziel ist aus dem politischen Fokus geraten. Es braucht endlich eine umfassende Agenda zur Vermögensbildung, die deutlich über plumpe Umverteilungsdebatten hinausgeht. Es ist höchste Zeit, das Prinzip der Eigenverantwortung wieder stärker in den Vordergrund zu rücken und die Bürger durch eine kluge Rahmenordnung besser in die Lage zu versetzen, für sich selbst vorzusorgen, um den individuellen Vermögensaufbau breiter Bevölkerungsschichten zu fördern. Jeder Bürger, der weitsichtig und eigenverantwortlich vorsorgt, entlastet den Sozialstaat. Er darf dafür nicht bestraft werden.