Standpunkt Steiger: Deutschland an der Wegscheide: Leistung, Wettbewerb, Aufbruch
Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger
Das Familienministerium und die Kultusministerkonferenz haben 2021 beschlossen, dass die Bundesjugendspiele in der Grundschule fortan keinen Wettkampfcharakter mehr besitzen werden. Nicht Leistung solle im Mittelpunkt stehen, sondern Freude. Verlieren wurde abgeschafft, die Punktetabelle ebenso. Eine Entscheidung mit traurigem Symbolcharakter für den Zustand unseres Landes. Bloß nicht zu doll anstrengen. Exzellenz, Erfolg und Gewinnen gelten als verdächtig, Wettbewerb als unzumutbar. Auf vielen Feldern sind wir der folgenschweren und unsinnigen Fehlannahme verfallen, Leistung und Freude seien ein Widerspruch - die Illusion vom anstrengungslosen Erfolg hat erschreckende Ausmaße angenommen. Doch „Urkunden für alle“ sind nicht der Nährboden auf dem „Wohlstand für alle“ wächst.
Analog zur Kuschelpädagogik der Bundesjugendspiele breitete sich auch eine Wirtschaftsordnung aus, die immer stärker auf Staat und Subventionen setzt. Freies Unternehmertum, Wettbewerb, Leistungsbereitschaft und vor allem Eigenverantwortung wurden zunehmend verdrängt durch staatlichen Interventionismus, Regulierung und Technologievorgaben. Diese Dynamik erzeugt per Definition Bürokratie. Viel zu wenig wird herausgestellt, dass es bei der Frage des Bürokratieabbaus nicht darum geht, ob einzelne Gesetze oder Verordnungen in sich sinnvoll sind oder im Rahmen eines „One-in, one-out“ ersetzt werden können. Nein, die Taxonomy, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Energieeffizienzgesetz und das Gebäudeenergiegesetz sind erschreckende Mahnmale dafür, dass viele Politiker in Berlin und Brüssel das Grundvertrauen in die Bürger und die Unternehmer komplett verloren haben - sie sind Ausdruck der Abkehr vom Leitmotiv des mündigen Bürgers. Die innere Mechanik dieser Regelwerke ist schon vollkommen falsch angelegt.
Siegen durch weniger Wettbewerb. Erfolg durch weniger Arbeiten, Innovation durch Nach- und Hinterherlaufen – das funktioniert nicht. Nicht im Sport und ganz sicher auch nicht im Wettkampf der Wirtschaftsstandorte. Deutschland ist dramatisch abgesackt. Viel zu lange wurde dem unübersehbaren Leistungsabfall nicht mit mehr Anstrengungen begegnet, sondern mit Ausweichmanövern und dem Wegschieben von Verantwortung. So begründet etwa Robert Habeck die deutsche Wachstumsschwäche gerne als das zwangsläufige Ergebnis exogener Faktoren, die sich dem eigenen Einflussbereich entziehen: „Unser Wirtschaftsmodell beruhte auf billigem russischem Gas und dem chinesischen Markt. Das eine gibt es nicht mehr, und China ist nun ein systemischer Rivale.“ Es ist unbestritten, dass geopolitische Veränderungen massive Auswirkungen haben. Doch wer so argumentiert, nimmt sich selbst und die Auswirkungen seiner politischen Entscheidungen aus dem Fokus. Das verstellt den Blick für die dringend notwendigen Lösungen und Korrekturen.
Die Erosion der Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes ist viel weniger das unvermeidliche Ergebnis weltpolitischer Entwicklungen und Zufälligkeiten als die logische und hausgemachte Konsequenz politischer Entscheidungen, deren katastrophale ökonomische Folgen fahrlässig ignoriert wurden. Wer die ohnehin anspruchsvollen demografischen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft vergrößert, indem er die Rente mit 63 beschließt, wer mitten in der Energiekrise Weltmeister-Kernkraftwerke vom Netz nimmt, ohne Alternativen zu besitzen, wer seine Leitindustrie mutwillig durch ein Verbrennerverbot schwächt, wer bei einer Knappheit von Arbeitskräften Nicht-Leistung in Form eines Bürgergeldes incentiviert und wer es über ein Jahrzehnt nicht schafft, die unkontrollierte Migration in den Griff zu bekommen, der erhält eben die entsprechende Quittung. Selbst dann, wenn er sein Handeln mit guten Absichten bemalt.
Längst werden die Konsequenzen dieser fahrlässigen Entscheidungen sicht- und spürbar. Gerade die Zeit der Ampel-Regierung hat verdeutlicht, dass die bloße Schaffung ständig neuer Narrative die Probleme ebenso wenig zu lösen vermag wie die Tabuisierung einer offenen Diskussion. Im Gegenteil: Beides macht Demagogen von rechts und links stärker, die vermeintlich einfache Lösungen versprechen. Die einzige nachhaltige Möglichkeit, diesen Trend zu durchbrechen, ist es, die entstehenden Ängste ernst zu nehmen und endlich überzeugende Lösungen und Perspektiven darauf zu geben. Es sind insbesondere drei Felder, die zur Verunsicherung beitragen: Migration, Wirtschaft und Energie. Auf allen drei Feldern braucht es einen grundlegenden Politikwechsel. Klar unterscheidbare Politikansätze liegen auf dem Tisch und die Bürger haben die Wahl.
Umso erschreckender ist es mit anzusehen, wie einige rot-grüne Politiker schon vor der Wahl ihre Missachtung über ein mögliches Votum zum Ausdruck bringen und versuchen, das Land auf einem Kurs zu halten, der nachweislich nicht funktioniert hat. So schreibt etwa das Bundesumweltministerium auf die allerletzten Meter noch eine Rahmenvereinbarung für „Rechtsfragen des Atomrechts sowie des Verfassungs- und Verwaltungsrechts “ aus. Noch vor dem Antritt einer neuen Bundesregierung soll der Projektzuschlag vergeben werden und weit in die nächste Legislatur hineinreichen. Im Rahmen der atomrechtlichen Zuständigkeit gibt es einen umfassenden Prüf- und Beratungsbedarf - der betrifft sowohl die fragwürdige Ausstiegsentscheidung der letzten Jahre als auch die Bewertung für mögliche Perspektiven in der Zukunft. Eine Besetzung dieser rechtlichen Expertise durch Kriterien der jetzigen Bundesregierung ist nicht weniger, als der Versuch einen Politikwechsel auf unredliche Weise zu verhindern.
Es wurde in den letzten Jahren viel und mitunter hochtrabend über wertegeleitete Außenpolitik gesprochen. Doch die wertegeleitete Wirtschaftspolitik - wie sie im Erbe der Sozialen Marktwirtschaft angelegt ist - hat schweren Schaden erlitten. Wer sich an der Höhe des Wachstumsbaums erfreuen will, der muss auch wieder achtsam auf die Tiefe seiner Wurzeln schauen. Diese Wurzeln sind die Prinzipien von Freiheit, Markt, Wettbewerb, Leistung und Eigenverantwortung. In diesem Sinne ist es höchste Zeit für einen neuen Aufbruch.