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Standpunkt 12.12.2024
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Standpunkt Steiger: Die vier Reiter des Optimismus

Die wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

„Ich bin dagegen, dass Beschäftigte entlassen werden sollen, nur um Geld zu sparen“, mahnt Bundeskanzler Olaf Scholz in Richtung VW. Wow – in bester Klassenkampfrhetorik wird unterschwellig das Bild des gierigen Unternehmers bedient und gleichzeitig so getan, als ob es keinen tiefergehenden Grund für strukturellen Anpassungsbedarf gäbe. Weiter gibt der Bundeskanzler zum Besten, dass Staatsbeteiligungen an Unternehmen natürlich immer eine Option seien, um Standortschließungen zu verhindern. Dabei wird uns gerade tagtäglich durch ständig neue Hiobsbotschaften vor Augen geführt, dass der Staat eben nicht bessere Unternehmer ist und sich Wettbewerbsfähigkeit auch nicht herbeisubventionieren lässt. 

Auch die Grünen lassen keinen Zweifel daran, dass sie keineswegs eine Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft anpeilen. Stattdessen wird weiter das behagliche, doch trügerische Leitbild eines Vollkasko-Versorgungsstaates kultiviert. Es mutet geradezu abenteuerlich an, dass sich nun ausgerechnet die Grünen, die bei jeder Gelegenheit nach  neuen Schulden rufen, als Kämpfer gegen Inflation darstellen. Co-Vorsitzende Franziska Brantner warnt vor einem angeblichen Teurer-Schock, den die CDU auslösen würde:  „Sie ist gegen ein dauerhaftes Deutschlandticket.  Sie ist gegen die Verlängerung der Mietpreisbremse.“ Beides auslaufen zu lassen, mache das Leben in Deutschland teurer, so die Begründung. Ja, es ist Wahlkampf  - doch selbst bei allem Verständnis für Zuspitzung und Vereinfachung müssen wir feststellen, das Niveau wirtschaftspolitischer Argumente und Rezepte wird dem dramatischen Zustand des Wirtschaftsstandortes in keiner Weise gerecht.

Solche Aussagen sind Ausdruck eines vollkommenen Unverständnisses ökonomischer Zusammenhänge. Sie stehen für den gefährlichen Trend, bestimmte Marktergebnisse ungeachtet ihrer Ursachen durch politischen Beschluss ändern zu wollen. Eine solche Politik - mit Preisdeckeln und Subventionen Bürger und Unternehmen vor hochschießenden Preisen oder schwindender Wettbewerbsfähigkeit abschirmen zu wollen  - mag kurzfristig populär sein, sie hat jedoch fatale Folgewirkungen. Preisbremsen verschärfen regelmäßig das Problem, das sie beseitigen sollen. Denn die Knappheit, die durch hohe Preise signalisiert wird, besteht auch dann fort, wenn ich das Signal künstlich ausschalte. Angebot und Nachfrage driften durch künstlichen Preisbremsen sogar weiter auseinander. Regierungen müssen dann mit immer mehr Regeln und Eingriffen gegensteuern. Es folgt eine ineffiziente Interventionsspirale. In einem Markt lassen sich auch nicht gleichzeitig Preise, Mengen und Qualität gesetzlich verordnen. Schreibt man Preise fest, variieren halt Mengen oder Qualität. Schließlich muss derjenige, der Marktpreise als Allokationsmechanismus außer Kraft setzt, auch die Frage beantworten, wie denn Verteilungsentscheidungen stattdessen erfolgen sollen – Möglichkeiten reichen von Bürokratie und Schlange stehen über Privilegien bis Zwang. Die gerne herausgestellte moralische Überlegenheit von interventionistischen Lösungen löst sich spätestens an dieser Stelle in Luft aus. Es werden Anreize geschaffen, seine Anstrengungen nicht mehr darauf zu richten, sich am freien Leistungswettbewerb zu beteiligen, sondern vielmehr auf den Umverteilungskampf zu konzentrieren.

Exemplarisch an den genannten Maßnahmen "Deutschlandticket" und "Mietpreisbremse":  Eine sinnvolle Antwort auf Wohnraummangel kann nur in der Angebotsausweitung liegen – sprich massiver Neubau. Das Ausweisen neuer Flächen und die Deregulierung von Bauvorschriften wären die richtigen Ansatzpunkte. Gerade die Grünen sind hier jedoch due größten Bremser. Maßnahmen wie Mietpreisbremsen oder Mietendeckel verschärfen den Wohnungsmangel, weil sie Investoren verunsichern und dem Markt bezahlbare Wohnungen entziehen. In Berlin etwa halbierte sich durch den Deckel die Zahl der inserierten Wohnungen. Beim Deutschlandticket gibt der Staat mehrere Milliarden Euro aus, um Tickets zu finanzieren, für die es bislang eine Zahlungsbereitschaft von Kunden gab. Doch Mittel, die Tickets subventionieren, können nicht in die Schiene und in die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs fließen. Auch der Blick auf die Effizienz der eingesetzten Mittel spricht Bände:  Verlagerungs- und Klimaeffekte sind enttäuschend – kaum messbare Umstiege vom Auto auf die Schiene und die Emissionsminderungen sind unfassbar teuer erkauft. Jede mit dem Deutschlandticket eingesparte Tonne CO₂ kostet astronomische Summen, die zum Teil auf 6000 bis 8000 Euro taxiert werden.

Es mag schwierig erscheinen, gegen den vermeintlich wohlmeinenden Staat  zu argumentieren. Doch, wenn wir eine neue Aufstiegsdynamik durch Leistungswillen und Wettbewerb entfachen wollen, braucht es das Eingeständnis, dass sich etwas ändern muss.  Ebenso ist ein anderer Grundton notwendig. „Resignation vermag das Schicksal nicht zu wenden; es gibt grundsätzlich keine wirtschaftliche Situation, aus der nicht Wille und Vernunft Auswege und Wege zu neuem Aufstieg finden lassen.“ Es war dieser unerschütterliche Optimismus Ludwig Erhards, der später zum Wirtschaftswunder führte. Davon sollten wir uns auch heute leiten lassen.

Es mag sich banal anhören. Aber, wenn wir Lust auf Zukunft machen wollen, dann müssen wir endlich anfangen zu artikulieren, dass es auch eine Zukunft gibt. Die Menschheit droht nicht in den nächsten Jahren auszusterben. Im Gegenteil: Es geht uns Menschen besser als jemals zuvor.  Laut den Berechnungen des Max-Planck-Instituts werden 77 Prozent der neugeborenen Mädchen in Deutschland ihren  90 Geburtstag erleben. Mindestens jedes dritte wird sogar 100 Jahre alt. Das Mädchen, das sich mit dem Schild „Ich sterbe am Klimawandel“ auf der Straße festklebt, wird nicht daran sterben. Sie wird statistisch länger leben als ihre Eltern und Großeltern, in größerem Wohlstand, in einer sauberen Umwelt und in einer Welt in der weniger Menschen arm sind. Wir haben die Dimensionen verloren und unterschätzen unsere Innovationsfähigkeit chronisch. Soziale Marktwirtschaft ist doch gerade deshalb ein Erfolgsmodell, weil es auf das Beste im Menschen setzt – seinen Erfindergeist und seine Kreativität. Der Klimawandel ist eine gewaltige Herausforderung, um die wir uns mit größter Aufmerksamkeit kümmern müssen, aber er ist eben keine Apokalypse.

Der MIT-Ökonom Andrew McAfee nennt technologischen Fortschritt, Kapitalismus, öffentliches Bewusstsein und bürgernahes Regieren die "vier Reiter des Optimisten". Wenn alle vier präsent sind, kann eine Regierung nicht nur die Lebensumstände der Menschen verbessern, sondern auch das Maximum an Nachhaltigkeit erreichen, wie McAfee nachgewiesen hat.  Für diesen Vierklang könnte es im kommenden Jahr einzigartige Voraussetzungen geben.

Anmerkung: Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich "Standpunkt Steiger" bis Anfang Januar in die Weihnachtspause. Ganz herzlich möchte ich mich für die vielen Mut machenden Rückmeldungen, die unfassbare unterstützenden Anregungen und auch manch kritisches Korrektiv bedanken. 

Es geht nicht darum Dinge schlecht zu reden. Aber die Zeit, um die Situation schönzufärben ist fraglos vorbei. Eine Wirtschaftsordnung die Wohlstand schafft muss wieder in den Fokus. Dafür muss das verschüttete Wissen über die Prinzipien und Funktionsweisen der Sozialen Marktwirtschaft wieder freigelegt werden. Die Ideen der Freiheit gilt es zu verteidigen. Und die zerstörerischen Auswirkungen des Kollektivismus und Interventionismus müssen begreiflich und sichtbar gemacht werden. Das nächste Jahr bietet absehbar große Möglichkeiten, um das „Geschäftsmodell Deutschland“ neu zu beleben und in die Zukunft zu führen. Was kann es Schöneres geben, als gemeinsam dafür zu streiten.